Vierzehntes Kapitel

[174] Albert hatte sich mehr Stärke zugetraut, als er wirklich besaß. Albertinens Antwort versenkte ihn in stillen Gram, der endlich in ein gefährliches Fieber überging. In den Paroxismen rief er Albertinen und den Tod, ihn zu retten aus dem Abgrund, worein er versinke. Die redliche Euler hielt sich verpflichtet, da es ihm in seiner blos verdungenen Hausgenossenschaft durchaus an einer zarten, pflegenden Hand fehlte, sich über die Regeln eines ängstlichen Wohlstandes hinauszusetzen und sich in sein Haus zu begeben. Durch sie erhielt Albertine alle Stunden Nachricht von seinem Befinden; denn bei allem, was wir an Albertinen mißbilligen könnten, hatte sie immer noch[174] nicht den Sinn für einen Freund, wie Albert ihr war, eingebüßt, wenn gleich ein flüchtiger Übergang von Frivolität sie jetzt einigermaßen gefangen hielt.

Ein Ereigniß, das nicht zu den glücklichen gehörte, veränderte, während Alberts Krankheit, gänzlich das Innere des Dämmrigschen Hauses. Der Herr Prinzipal hatte. nach einer vieljährigen Gewohnheit, sein ganzes Handelsgeschäft seinen Buchhaltern überlassen, wovon einige an Aufwand es ihm beinahe gleich thaten; weil sie aber der Rosamunde ungeheure Zahlungen leisteten, sich ihrer kräftigsten Protection zu erfreuen hatten. Jetzt brach, was man einen vollständigen Bankerutt nennen möchte, über das Haus ein, ohne daß der sorglose Herr Dämmrig die fernste Ahnung einer solchen Katastrophe gehabt hätte. Nachdem die ersten unmäßigen Regungen seines unmännlichen Schmerzes vorüber waren, ließ er seine Hausgenossen zusammenkommen, und erklärte ihnen, was geschehen war und nun fürder geschehen müsse, nemlich eine[175] totale Reform der eingeführten Lebensweise. Rosamunde sagte, nachdem sie in der Geschwindigkeit verschiedene Ohnmachten abgethan hatte, sie werde nun nicht mit ihm Misere schmelzen, nachdem sie ihm ihre schönste Jugend aufgeopfert habe, welche sie doch, im Vorbeigehen gesagt, baare zwei und vierzig Jahre mit aller Anstrengung einer tapfern Koulissenheldin genossen hatte; und was das Misere schmelzen betrifft, hatte sie auch diesem mit großer Klugheit vorgebeugt, indem sie sich ein beträchtliches Kapital, ohne die kostbaren Juwelen, welche sie besaß, von ihm gerichtlich hatte schenken lassen. Indeß erklärte sie doch großmüthiglich, sie wolle vor der Hand im Hause bleiben, so lange, als man es ihnen selbst noch gestatten werde – setzte sie trocken hinzu.

»Elise hat das Beste erwählt; sie hat sich vor dem Sturm gerettet,« sagte Dämmrig gerührt; »aber ihr, meine Nichten, wie wird es euch armen Kindern ergehen? Du, meine Philosophin, wirst in deiner Vernunft[176] Gründe gegen das Ungemach finden.« – »Seyn Sie unbekümmert, Onkel! Noch nie darbte der Verstand; es wäre traurig, wenn die höhere Ausbildung zu nichts weiter führte. Ich bin nicht gemacht, um verlassen zu werden; die ersten Häuser stehen mir offen und die besten Köpfe finden sich durch meinen Umgang geehrt,« sagte sie stolz und entfernte sich, die Thränen verbergend, welche die Aussicht in eine beschränktere Lage ihrem verzärtelten Sinne entlockte.

»Und du, Albertine, meine Gute, wirst du den armen Onkel nun verlassen wollen?« – »Nein, mein theurer, guter Onkel. Ich genoß Ihre Großmuth, und theile von nun an jedes Schicksal mit Ihnen. Nimmer, nimmer verlasse ich den Pflegebedürftigen, und was die Vorsehung mir zugetheilt hat, theile ich ehrlich mit Ihnen.« – »Daß sich der Himmel erbarme, armes Albertinchen!« indem er die Hände verzweifelnd zusammen schlug; »du weißt nicht alles, du Arme! du bist mit zu Grunde gerichtet.[177] Dein Vormund gab mir dein Kapital zu Acht Procent, und – ach, ich bin ein unglücklicher Mensch! Aber, Albertine, nenne mich einen Schurken, wenn ich nicht den letzten Bissen mit dir theile!«

Albertine war wirklich etwas betäubt; indeß, nachdem sie die Hände gefaltet und andächtig in die Wolken geblickt hatte, warf sie sich ihrem Onkel mit treu er Herzensergießung an die Brust, und bat, er möchte nur für sich sorgen; sie traue auf die Güte Gottes, der sie nicht verlassen werde. Sie wolle ihren theuren Verwandten nun und immer nicht verlassen.

In einem Briefe meldete sie ihrer Euler, was sich zugetragen und was sie beschlossen hatte. Henriette gab ihr, ohne Vorwurf, zu verstehen, wie gut es gewesen wäre, wenn sie Alberten angenommen hätte; jetzt verbiete es freilich ihre Ehre, ihn anzunehmen. Sie bot ihr auf jeden Fall ihr Haus an, billigte aber doch sehr das Zartgefühl, womit sie sich ihrem Onkel geweiht hatte.

Die Reformen im Dämmrigschen Hause[178] gingen so schnell von statten, daß die Tischfreunde nicht einmal Zeit hatten, sich nach und nach mit Anstand zurück zu ziehen, sondern urplötzlich abbrachen, und, so zu sagen, mit dem Pariser Koch zugleich abzogen. Noch einmal trank Wassermann einen einsamen, einfachen Thee mit der Familie, wobei ihn Laurette nach ihrer Weise in der Stille fragte: wann er denn nun um Albertinen anhalten werde? jetzt sei er doch eines Mitbewerbers los; welches er blos mit einem: »Ich habe warlich keine Eil!« beantwortete. Deutlicher erklärte er sich in einem Lachen, welches nur seinem Gesichte gehörte, und auch von Laurettens eignem Lachen beantwortet wurde.

Auffallend verschieden war das Benehmen der bei den Hausfreunde Ulmenhorst und Weißensee. Jener, dessen erster Ausgang nach seiner Genesung zu dem befreundeten Hause gerichtet wurde, begegnete Albertinen jetzt mit einer delikaten Zurückhaltung, die er mehr auf ihren Verlust, als seine Verwerfung bezog, und in die ihr eignes[179] zartes Gemüth leichter einging, als in die zunehmende Galanterie und lebhaftere Annäherung des Barons, worin die kleine Weiblichkeit des guten Kindes erhöhete Leidenschaft sahe und nichts von der Undelikatesse ahnete, die ihre verschlimmerte Lage zu benutzen strebte.

Das eitle Gemüth Rosamundens ertrug nicht lange die erfolgte Stille des Hauses, worin Frivolität und frivoler Genuß die stete Losung gewesen war. Der literarische Klub brachte, außer Verspottung und Ridicules, wenig ein; sie ließ ihn eingehen und etablirte eine förmliche Pharaobank in ihrem Zimmer, wobei Albertine, ohne es in ihrer Unschuld zu ahnen, die Lockung war. Außer einigen Spielern von Profession waren verschiedene alternde Damen aus der alten Kameradschaft, ein abgesetzter Hofmarschall, ein getaufter Jude, zwei oder drei junge Edelleute und der Baron Weißensee die tägliche Genossenschaft. Die erste Zeit ging Albertine[180] blos ab und zu, ihren Onkel mit allerlei kleinen Bedürfnissen, deren er unendliche hatte, zu versorgen; denn nie rührte Laurette auch nur eine Hand, ihm einen Trunk Wasser zu reichen. Nach und nach weilte Albertine längere Zeiten als Zuschauerin, weigerte sich aber immer noch standhaft, Theilnehmerin zu werden, bis endlich einmal der Baron, der, ganz unleidenschaftlich, sich blos dem geselligen Zeitvertreibe zu leihen schien, und Rosamunde es von ihr erhielten, daß sie mit pointirte. Sie gewann, pointirte noch einmal und gewann wieder. Aufgemuntert durch diesen Erfolg, war sie jetzt fast jeden Abend von der Parthie, bei der Laurette anfing eine wichtige Rolle zu spielen, indem sie mit unausgesetztem Glücke spielte. Auch die arme Albertine wurde immer tiefer verwickelt, und das um so leichter, da der Baron ihr nicht von der Seite wich, immer zwischendurch auf das Spiel und dessen Unmoralität loszog, es indeß billigte, wenn Albertine, so wie er[181] selbst that, auch diese Lebenserfahrung erwarb, um dann das Ganze wie ein schmutziges Gewand abstreifen zu können.

O, der unwürdigen Ränke, durch welche die unschuldigste und reinste ihres Geschlechts in's Garn gelockt werden sollte! Die Spieler-Flitterwochen gingen für Albertinen bald vorüber. Der bisherige Gewinn samt den zweihundert Louisd'or, die Albert ihr eingehändigt hatte, gehörten im kurzen der Räuberbande am grünen Tische, und die unglückliche Albertine gerieth in Verlegenheiten, wovon wir bald Bericht erstatten wollen.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 174-182.
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