Drei und zwanzigstes Kapitel

[250] Die durchwachte und durchphantasierte Nacht gab unserer Freundin ein etwas kränkliches Ansehen, welches ihren Gatten um so mehr in Verlegenheit setzte, da der guten Albertine wahrscheinlich heute ein kampfvoller Tag, Adelaidens Ankunft, bevorstand. Albertine gestand, daß ihr Herz, sie wisse nicht bestimmt, weshalb, heute unruhiger, als noch sonst je klopfe. »Ist sie sehr schön?« fragte sie beim Frühstück, nachdem sie eine Zeit lang in Gedanken gesessen hatte. – »Mehr, als schön; sie ist hübsch!« sagte Lindenhain. »Die Schönheit, in so fern sie auf Regeln beruht, ist oft kalt.[250] Hübsche Weiber gefallen immer. Du, meine Albertine, bist schön nach allen Erfordernissen der Kunst, und zugleich auch hübsch, durch den Geist, der so annehmlich aus jedem deiner von ihm belebten Züge spricht.« – Albertine seufzte, ohne zu antworten, lächelte ihm du bout des Levres zu, und sprang bei jedem schwer daher rollenden Wagen ans Fester. Louis bemerkte diese innere Unruhe der Geliebten nicht ohne Bekümmerniß.

Was oft in Fällen der Art begegnet, geschah auch hier. Albertine hatte nach ängstlichem Lauschen und Harren und immer gespannter Aufmerksamkeit nach außen hin, den rechten Augenblick doch versäumt. Die Thüre ihres Zimmers ging rasch und weit auf; und plötzlich herein traten der Bruder und seine schöne Begleiterin; und dahin war Albertinens Fassung!

Die Wahrheit zu sagen, war in diesem seltsam entscheidenden Momente selbst Lindenhains festes männliches Herz nicht ganz in seinem Gleichgewichte. Wäre Albertine[251] nicht so ganz mit sich selbst beschäftigt gewesen, würde ihr das Schwankende und Ungewisse in ihres Gatten Benehmen nicht entgangen seyn; die ganze Scene bekam dadurch einen Anstrich von Steifheit und Zwang, welcher der Unbefangensten unter allen, Adelaiden, schmerzlich auffiel; ihre schönen Augen füllten sich mit Thränen; sie reichte ihrem Freunde die Hand und sagte mit unwiderstehlichem Ausdruck: »O mein Gott! ich bin hier nicht willkommen! Albertine nimmt mich nicht auf!«

Albertinens vortreffliches Herz fühlte sich schnell in die Lage des verlassenen Mädchens hinein, deren Thränen bis in ihr weiches Gemüth lebendig eindrangen. Mit unverkennbarer Gutmüthigkeit drückte sie Adelaiden an ihre Brust und hieß sie von Herzen willkommen. »Die freudige Überraschung macht Ihren Freund stumm!« sagte sie, und zog Lindenhain zur Umarmung herbei. Er hatte sich indeß gefaßt, umarmte Adelaiden mit brüderlicher Herzlichkeit, und segnete sein Geschick, daß diese wirklich erste[252] Umarmung des schönen Mädchens in Gegenwart und auf Geheiß seiner Gattin geschah.

Adelaide war keine der gemeinen Französischen Schönheiten, die dem sinnlichen Mann durch dreisten Blick und ein impertinentes Näschen gefallen. Sie hatte bei sehr sprechenden schönen Augen regelmäßige Züge, eine schöne Farbe, schöne Zähne, eine gefallende Mittelgestalt, die, wenn nicht engelschön, doch höchst elegant und graziös war. Albertine hatte das alles im ersten Augenblick weg, und kam sich bei der Vergleichung, die sie in der Geschwindigkeit anstellte, ganz bescheidentlich wie gar nichts, wie ein kleines Landputchen vor. Adelaide fühlte den untersuchenden Blick Albertinens mit einiger Verlegenheit, und ihn von sich abzuwenden, reichte sie ihr die Hand, und fragte: »Sie weisen mich also nicht von sich, schöne Frau? Sie wollen meine Beschützerin seyn?«

Lindenhain hatte, weiß Gott, warum, gar keinen Muth, sich in das Gespräch[253] mit einzulassen; er saß zerstreut da, und als Albertine mit der Antwort zu zögern schien, trat eilig der Bruder dazwischen, und gab in seiner Schwester Seele die bindendsten Zusicherungen, welchen Albertine gleich, ohne Zwang und unbedingt zustimmte.

Aber keiner fand die neue Hausgenossin so sehr nach seinem Geschmack, als Onkel Dämmrig. Er suchte in der Eile den ganzen Vorrath seines veralterten Französischen zusammen, sich in den galantesten Floskeln du bon vieux tems mit ihr zu unterhalten, wobei er die Nasentöne recht nationell zu accentuiren, nicht vergaß. Es war eine Freude zu sehen, wie jung er wurde, wie er die Ohren spitzte und sich zusammen nahm.

Adelaide war die Höflichkeit und Gefälligkeit selbst; sie lieh sich allem und allen. Nur in Lauretten schien ihr sonst so biegsamer Sinn nicht eingehen zu können. Laurette gab ihr zweideutige Seitenblicke und an Seitenhieben ließ sie es auch nicht fehlen.[254] Durch sie wurde die Konversation genirt, weil sie durchaus ihr fehlerhaftes Französisch unter dem Vorwand nicht wollte hören lassen, daß sie, eine Deutsche, es lächerlich finde, mitten in Deutschland Französisch zu sprechen; es sei höflicher, wenn die fremd angekommenen sich bequemten. Adelaide that's mit leichter Art, und lachte dann selbst über ihr gebrochnes Deutsch.

Laurette beschwerte sich über die Unzulänglichkeit des weiblichen Umgangs für gebildete Geister. »Die Weiber im Allgemeinen« – sprach sie – »haben eine so erbärmliche kleine Ansicht der Welt, werden so breit über Dinge, die der Gebildetere liegen oder ganz fallen läßt, sind entweder zu gespannt, oder vegetiren in der traurigsten Schlaffheit; wie soll man mit ihnen auskommen?«

Adelaide nahm die Parthie ihres Geschlechts, und behauptete, es sei demselben nicht zu verargen, wenn seine Ansicht der Welt und ihrer Verhältnisse nicht die Kraft und Eindringlichkeit des männlichen Blicks[255] habe. »Bedenken Sie doch, Mademoiselle, in welchem Licht uns die Welt erscheinen muß, da unser Geist nur zu den infiniment petits gebildet wird, und wie jedes rechtliche Weib, das seinem Gatten oder seiner Familie nützlich werden will, sich zu den unedelsten Details des Hauswesens verstehen muß. Wer so sehen muß, der wird doch gewiß zuletzt ein moralischer Myops.«

Laurette hatte, wie alle dickhäutige und erdfahle Weiber thun, jedes feinere Kolorit im Verdachte des Schminkens; sie ließ es sich auf unfeine Art merken, daß sie die Fremde für geschminkt hielt. Adelaide antwortete ganz unbeleidigt: »Und warum nicht, Mademoiselle? Hätte die Natur mir von der Seite einen Mangel gelassen, würde ich ihm ohne Bedenken nachhelfen, weil ich es für Weibespflicht halte, meine Erscheinung so hübsch als möglich seyn zu lassen, und weil ich das Rothauflegen, in so fern es der Gesundheit unschädlich gemacht wird, für nicht sträflicher halte, als jedes andere Mittel, wodurch wir den Sinnen[256] schmeicheln wollen. Erlaubte ich mir aber je eine moralische Schminke, wollte ich mehr scheinen, als seyn; ich würde meinen Beschützern nie wieder in die gütigen Augen blicken können. Legen Sie äußerlich immer ein wenig auf, Mademoiselle; es würde Ihnen recht gut kleiden.«

Unter dergleichen und andern noch erheiterndern Gesprächen wurde Onkel ganz begeistert, und fing wirklich schon an, der Gesellschaft in entferntere Zimmer nachzuschurren. Adelaide und Ferdinand von Rehthal, Albertinens Bruder, hatten allen neues, rascheres Leben mitgetheilt; nur Albert allein schien nicht ganz zwangfrei. Unbeobachtet war er still und düster, und in seiner Seele schien etwas zu arbeiten, das die Zeit erst daraus loswinden sollte.[257]

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 250-258.
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