I.

[62] Das Interesse genuesischer und venetianischer Kaufleute, das Innere Asiens zu erschließen. – Die Familie Polo und ihre Stellung in Venedig. – Die beiden Brüder Nicolo und Matteo Polo. – Sie geben von Konstantinopel an den Hof des Kaisers von China. – Ihr Empfang am Hofe Kublaï-Khans. – Der Kaiser ernennt sie zu seinen Gesandten beim Papste. – Ihre Rückkehr nach Venedig. – Marco Polo. – Er reist mit seinem Vater Nicolo und seinem Onkel Matteo nach der Residenz des Herrschers der Tataren. – Der neue Papst Gregor X. – Marco Polo's Reisebericht, von ihm selbst dictirt und von Rustician aus Pisa niedergeschrieben.


Den Unternehmungen so vieler kühner Reisender in Mittelasien, Indien und China gegenüber konnten die Kaufleute Genuas und Venedigs natürlich nicht gleichgiltig bleiben. Sie erkannten, daß diese Länder bald neue Absatzgebiete für ihre Producte bilden müßten und daß andererseits durch Einführung der orientalischen Waaren nach dem Occident ein großer Gewinn zu erzielen sei. Ein solches Handelsinteresse trieb erklärlicher Weise bald neue Forscher auf den Weg der Entdeckungen hinaus. Aehnliche Gründe bestimmten auch zwei vornehme Venetianer, ihr Vaterland zu verlassen und allen Mühsalen und Gefahren so weiter Reisen zu trotzen, um ihre Handelsbeziehungen zu erweitern.[62]

Diese beiden Venetianer gehörten der aus Dalmatien stammenden Familie Polo an, welche in Folge ihrer durch rege Handelsthätigkeit erworbenen Reichthümer zu den Patrizierkreisen Venedigs zählte. Im Jahre 1260 begaben sich die Brüder Nicolo und Matteo von Konstantinopel aus, wo sie ein Zweiggeschäft errichtet und schon mehrere Jahre verlebt hatten, mit einer Ladung Galanteriewaaren nach der von ihrem älteren Bruder Andrea Polo geleiteten Filiale in der Krim. Von hier wendeten sie sich nach Nordwesten, zogen durch das Land von Comanien und erreichten auf der Wolga das Lager Barkaï-Khans. Dieser Mongolenfürst empfing die beiden venetianischen Kaufleute sehr gut und kaufte ihnen den ganzen Vorrath an Galanteriewaaren ab, den sie ihm zum doppelten Preise anboten.

Ein Jahr lang verweilten Nicolo und Matteo Polo in dem mongolischen Lager; dann brach aber, im Jahre 1262, zwischen Barkaï und dem Fürsten Hulagu, dem Beherrscher von Persien, Krieg aus. Da die beiden Brüder die von den Tataren überschwemmten Gegenden zu vermeiden wünschten, zogen sie vor, sich nach Bukhara, die erste Residenz Barkaï's, zu begeben, und hielten sich daselbst drei Jahre lang auf. Als aber Barkaï besiegt und seine Hauptstadt eingenommen ward, zwangen die Parteigänger Hulagu's die beiden Venetianer, ihnen nach der Residenz des Groß-Khans der Tatarei zu folgen, der ihnen übrigens gleichfalls einen ausgezeichneten Empfang bereiten würde. Dieser, Kublaï-Khan, der vierte Sohn Gengis-Khans, war Kaiser von China und bewohnte jener Zeit die Sommerresidenz in der Mongolei, an der Grenze des chinesischen Reiches.

Die venetianischen Kaufleute brachen auf und gebrauchten ein ganzes Jahr zur Fahrt durch die ungeheure Landstrecke, welche Bukhara von der nördlichen Grenze Chinas trennt.

Kublaï-Khan fühlte sich ganz glücklich, Fremdlinge aus dem Abendlande bei sich zu empfangen. Er veranstaltete ihnen zu Ehren große Festlichkeiten und erkundigte sich eindringlich nach den Ereignissen in Europa, fragte nach allen Einzelheiten über die Kaiser und Könige, über ihre Regierungsweise und die Art der Kriegführung; dann unterhielt er sich mit ihnen auch längere Zeit über den Papst und die Angelegenheiten der italienischen Kirche.

Matteo und Nicolo, welche der tatarischen Sprache schon vollkommen mächtig waren, beantworteten freimüthig alle Fragen des Kaisers. Dieser ging da mals mit dem Gedanken um, an den päpstlichen Stuhl eine Gesandtschaft zu schicken, und ersuchte die beiden Brüder, als seine Gesandten zu Sr. Heiligkeit zu gehen.


Kublaï-Khan veranstaltete den venetianischen Kaufleuten große Festlichkeiten. (S. 63.)
Kublaï-Khan veranstaltete den venetianischen Kaufleuten große Festlichkeiten. (S. 63.)

Die Kaufleute nahmen das dankbar an, da sie in Folge der Bekleidung mit diesem neuen Charakter jedenfalls[63] unbehelligter zurückzukommen glaubten. Der Kaiser ließ Karten in türkischer Sprache anfertigen und bat den Papst um Absendung von hundert gelehrten Männern, um die Götzendiener zum Christenthume zu bekehren; den Venetianern gab er auch einen seiner Großen, Namens Coyatal, bei und beauftragte diesen, ihm etwas Oel aus der heiligen Lampe mitzubringen, die fortwährend über dem Grabe Christi in Jerusalem brannte.[64]

Mit Pässen ausgerüstet, die ihnen im ganzen Bereiche des Kaiserthums Menschen und Pferde zur Verfügung stellten, nahmen die beiden Brüder vom Khan Abschied und machten sich im Jahre 1266 auf den Weg.[65]

Coyatal verfiel bald in eine Krankheit. Die Venetianer mußten sich von ihm trennen, setzten also ihren Weg fort und brauchten aber, trotz aller Hilfe, die sie fanden, nicht weniger als drei Jahre, um Laïas, einen Hafen Armeniens, der jetzt unter dem Namen Issus bekannt ist und im Grunde des Issi'schen Golfes liegt, zu erreichen. Von Laïas aus begaben sie sich nach Acre im Jahre 1269; dort erfuhren sie den Tod Papst Clemens IV., an den ihre Sendung lautete. In genannter Stadt residirte jedoch der Legat Tebaldo. Er empfing die Venetianer, und als sie ihn mit der vom Khan ertheilten Botschaft bekannt machten, veranlaßte er sie, die Wahl eines neuen Papstes abzuwarten.

Matteo und Nicolo, welche seit fünfzehn Jahren aus ihrem Vaterlande abwesend waren, beschlossen, nach Venedig zurückzukehren. Sie wandten sich nach Negroponte und schifften sich dort auf einem Fahrzeuge ein, das sie direct nach ihrer Vaterstadt geleitete.


Marco Polo. (S. 66.)
Marco Polo. (S. 66.)

Bei der Ankunft erfuhr Nicolo das Ableben seiner Gattin und die Geburt eines Sohnes, der ihm wenig Monate nach seiner Abreise im Jahre 1254 geboren worden war. Dieser Sohn hieß Marco Polo. Zwei volle Jahre warteten die Brüder, denen die Ausführung ihres Auftrages am Herzen lag, auf Erwählung eines neuen Papstes. Da es hierzu aber immer noch nicht kam, glaubten sie, ihre Rückkehr zu dem mongolischen Kaiser nicht länger hinausschieben zu dürfen; sie fuhren also nach Acre ab und nahmen auch den jungen Marco mit, der damals höchstens siebenzehn Jahre zählen konnte. In Acre trafen sie auch den Legaten Tebaldo wieder, der sie ermächtigte, Oel aus der ewigen Lampe zu Jerusalem zu entnehmen. Nachdem sie sich dieses Vorhabens entledigt, kehrten die Venetianer nach Acre zurück und ersuchten wegen Mangels an einem Papste den Legaten um ein Schreiben für Kublaï-Khan, in welchem er diesen den Tod Clemens' IV. anzeigen möchte. Tebaldo kam dem Wunsche nach und die beiden Brüder kehrten nach Laïas zurück. Dort kam ihnen zu ihrer größten Freude die Nachricht zu, daß Tebaldo am 1. September 1271 unter dem Namen Gregor X zum Papste gewählt worden sei. Der Neuerwählte rief sie sofort zu sich und der König von Armenien stellte eine Galeere zu ihrer Verfügung, um sie so schnell als möglich nach Acre zu bringen. Der Papst empfing sie mit großer Auszeichnung, händigte ihnen Briefe an den Kaiser von China aus, gab ihnen auch zwei predigtgewandte Brüder, Nicolas de Vincence und Wilhelm von Tripolis, mit und ertheilte Allen seinen Segen.[66]

Die Gesandten nahmen darauf von Sr. Heiligkeit Abschied und segelten nun wiederum nach Laïas. Kaum in dieser Stadt angelangt, waren sie aber nahe daran, von den Banden des Mameluken-Sultan Bibars, der jener Zeit Armenien verheerte, gefangen genommen zu werden. Die beiden Prediger-Mönche verzichteten, durch diesen Anfang abgeschreckt, darauf, nach China zu gehen, und überließen es den beiden Venetianern und Marco Polo, dem Mongolen-Kaiser die Briefe des Papstes zu überreichen.

Jetzt beginnt nun die eigentliche Reise Marco Polo's. Ob er wirklich alle von ihm beschriebenen Länder und Städte besucht oder nur gesehen hat? Sicher nicht; auch ist in der von ihm dictirten und von Rusticien aus Pisa französisch niedergeschriebenen Erzählung seiner Reise ausdrücklich ausgesprochen ».daß Marco Polo, ein gelehrter und vornehmer Venetianer, alles dieses mit eigenen Augen sah oder, was er nicht selbst sah, doch aus dem Munde glaubwürdiger und wahrheitsliebender Männer hörte«. Wir fügen jedoch gleich hier die Bemerkung bei, daß der größte Theil der von Marco Polo erwähnten Königreiche und Städte wirklich von ihm selbst besucht wurde. Wir folgen also seinem Berichte und bezeichnen nur das ausdrücklich, was der berühmte Reisende selbst erst vom Hörensagen mittheilt, während der Ausführung der wichtigen Missionen, mit denen ihn der Kaiser Kublaï-Khan betraute. Bei der zweiten Reise hielten die Venetianer nicht dieselbe Route ein, der sie gefolgt waren, als sie sich zum ersten Male zum Kaiser von China begaben Sie waren damals an der Nordseite der Himmlischen Berge oder des Gebirges Thian-chan-pe-lu dahingegangen, was ihren Weg nicht wenig verlängerte. Diesmal hielten sie sich an der Südseite jener Berge, doch brauchten sie trotz der geringeren Länge dieses Weges nicht weniger als dreiundeinhalb Jahr, da sie von häufigen Regen und Ueberschwemmungen der großen Flüsse zurückgehalten wurden. Dieser Reise kann Jedermann auf einer Karte von Asien leicht nachgehen, denn wir haben im Folgenden an Stelle der alten Namen Marco Polo's überall die Bezeichnungen der modernen Geographie eingesetzt.[67]

Quelle:
Jules Verne: Die Entdeckung der Erde. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXIX–XXX, Wien, Pest, Leipzig 1881, S. 62-68.
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