Erster Auftritt

[133] Valentins Wirtsstube. Valentin, Bärbel.


VALENTIN.

Was jetzt wohl unser Doktor macht?

Wird schöne lange Weil ausstehn!

BÄRBEL.

Weißt, Vältl, hab schon manches Mal gedacht,

Es müsse hinter dem, den damals wir gesehn,

Ein zweiter Himmel noch, ein nicht so leerer, sein

Mit viel Musik und schönen Engelein.

VALENTIN.

Vielleicht hast recht, doch nicht wahr, der Verzicht,

Den wir geleistet, reut dich darum nicht?

BÄRBEL.

O nein! Ich wüßte keinen bessern Stand,

Als Wirtsfrau sein dahier am Himmelsrand!

Ich wünschte nur, es gäb' noch mehr zu tun,

Mag niemals gerne mehr als nötig ruhn.

Je mehr der Gäste sind, so wohler wird es mir,

Laut muß es hergehn, so gefällt's auch dir.

Zu still nur war's die letzten Tage her,

Bergauf geht jetzt der Reisezug nicht sehr.

VALENTIN.

's gibt eben Zeiten, wo hinauf zum Himmel

Nicht eben stark der Reisenden Gewimmel,

Jetzt vollends, wo sie in gedrängten Haufen

Nach Gelde nur, zu Bank und Börse laufen.

Doch, hör ich, ist, den Frömmeren zu dienen,

Ein Reisebuch im deutschen Land erschienen,

Ein Himmelsbädeker. Die Wirkung wird sich zeigen.

Der Himmelsgang wird wohl zum Modereigen;[133]

Fehlt nur noch eine Himmelszahnradbahn,

Wie finge dann die Völkerwandrung an!

Schließt man dort oben strenge nicht die Pforte,

Sie drücken sich hinein ins Heiligtum,

Besehen sich die ungewohnten Orte

Und kehren dann gelangweilt wieder um.

Bald werden sie den Himmel selbst verderben,

Denn wo es hintritt, das Kulturgeschmeiß,

Da wird der Boden hohl und mürb und heiß,

Da muß der Grashalm dorrend sich verfärben;

Das letzte Tal, tief im Gebirg versteckt,

Ist bald von dem Touristenpack entdeckt,

Bald lernt an den verbrühten, heikeln Tröpfen

Der letzte Hirte, der vor einem Jahr

Genügsam treu der Vätersitte war,

Die schnöde Kunst, zu saugen und zu schröpfen.

Zwar bin ich Wirt, auf Einkehr muß ich halten,

Doch ehrbar will ich meines Amtes walten,

Mein Tisch und Keller sollen einfach bleiben,

Die Preise werd ich nimmer übertreiben,

Und kommt ein Gast, dem hoch die Nase steht:

Sollst sehen, Bärbel, wie es ihm ergeht.

BÄRBEL am Fenster.

Komm her, da guck hinaus und sieh:

Da kommt ja eine ganze Kompanie

Mit roten Büchlein in der Hand

Heraufgekeucht in Sand und Sonnenbrand.

VALENTIN hinausschauend.

Die sehen nach gelehrten Schluckern aus,

Sie werden nicht von den Verwöhnten sein,

Nicht abgereizt durch überwürzten Schmaus,

Denn ihre Löhnung ist, man weiß es, klein.

Geh nach der Küche! Halt, besorge schneller

Ein Fäßchen gutes altes aus dem Keller.


Bärbel ab.


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 133-134.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon