2. Der Winter

[168] An Herrn P[astor] Br[ückner].


1771.


Reif im Haupthaar, den Bart voller Eis, taumelt der Alte Winter anitzt aus der benachteten

Höhle Grönlands hervor, rufet, erbost umher

Schauend, Boreas weitstreifenden Brüdern, und

Schirrt das wilde Gespann lärmend am Deichsel des

Schwarzen Wagens. Und bald wird er im Donnersturm

Durch den Äther daher stürzen, mit Flocken und

Scharfen Schloßen bewehrt. Dann flieh, Autumnus! Dann

Flieh, Pomona! Und du, sanfter Lyäus, der

Obotritiens Flur herbere Trauben bräunt!

Flieht des Rasenden Grimm, welcher den heulenden

Forst entwurzelt, den Fels spaltet, und luftige[168]

Berg' erschüttert! Verkriecht, tief in der Terra Schoß,

Euch, ihr Nymphen des Quells, welcher, versteinert, bald

Zwischen Blumen nicht mehr murmelnd sich schlängeln wird,

Und du, brausender Belt, decke, mit stählernem

Harnisch, dich vor der Wut grauser Orkane zu!


Aber, Knaben, itzt eilt, eilt, mit geschliffner Axt,

In die Wälder; zerstückt wolkenberührende

Bäum', und führt sie auf lautknarrender Axe zu

Meinem Br[ückner]! Und ihr, Götter des Feuerherds,

Milde Laren, o schützt, schützt ihn, mit flammender

Eiche, vor der Gewalt drohender Stürme, die

Ums beschneiete Dach brüllen: wenn er, entzückt,

Am Kamine, sein Lied, gleich dem harmonischen

Schwan der Sprea, beginnt, oder den trägen Lauf

Der verlängerten Nacht mit den Gesängen spornt,

Die uns Gellert gelehrt, und der helvetische

Schäfer! Horchend umschließt ihn der entzückte Kreis

Und Dorine, die sanftlächelnd die Augen bei

Chloens Körbchen verschlägt, und bei dem blutenden

Abel zärtlichen Tau über die glühende

Wange tröpfelt; doch bald, nickend von Schlummer, das

Lied der kämpfenden Hand tändelnd entdreht, und dann

Ihm mit schalkhaften Hauch plötzlich die Lampe löscht.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 168-169.
Lizenz:
Kategorien: