25. Frühlingsliebe

[256] Ostern 1783.


Die Lerche sang, die Sonne schien,

Es färbte sich die Wiese grün,

Und braungeschwollne Keime

Verschönten Büsch' und Bäume:[256]

Da pflückt' ich am bedornten See

Zum Strauß ihr, unter spätem Schnee,

Blau, rot und weißen Güldenklee.

Das Mägdlein nahm des Busens Zier,

Und nickte freundlich Dank dafür.


Nur einzeln grünten noch im Hain

Die Buchen und die jungen Mai'n;

Und Kresse wankt' in hellen

Umblümten Wiesenquellen:

Auf kühlem Moose, weich und prall,

Am Buchbaum, horchten wir dem Schall

Des Quelles und der Nachtigall.

Sie pflückte Moos, wo wir geruht,

Und kränzte sich den Schäferhut.


Wir gingen atmend, Arm in Arm,

Am Frühlingsabend, still und warm,

Im Schatten grüner Schlehen

Uns Veilchen zu erspähen:

Rot schien der Himmel und das Meer;

Mit einmal strahlte, groß und hehr,

Der liebe volle Mond daher.

Das Mägdlein stand und ging und stand,

Und drückte sprachlos mir die Hand.


Rotwangicht, leichtgekleidet saß

Sie neben mir auf Klee und Gras,

Wo ringsum helle Blüten

Der Apfelbäume glühten:

Ich schwieg; das Zittern meiner Hand,

Und mein bethränter Blick gestand

Dem Mägdlein, was mein Herz empfand.

Sie schwieg, und aller Wonn' Erguß

Durchströmt' uns beid' im ersten Kuß.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 256-257.
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