Eilfte Szene.

[29] Faust. Robertus.


FAUST mit off'nen Armen.

O Jüngling, Jüngling –

ROBERTUS.

Sagt, wie nahet ihr

Durch die verwahrte Thür?

FAUST.

Das kümm'r euch nicht.

Wohl barg ich hohe Meinung schon für Euch,

Den kühnen Anwald tief gebeugter Brüder,

Doch nun ich dem Gesange horchte, der

Den Edeln seinem nahen Grabe heiligt,

Erkenn' ich das Geheimniß seiner Seele,

Als hätt' uns schon der Knaben Spiel umfangen.[29]

Von Rom und Hellas borgt ihr Ideale,

Euch lehren Sokrates und Cato sterben.

Wohl kniet' ich vor dem Heißbewunderten,

Ermannte mich kein glücklich Machtgefühl,

An meine Brust den hohen Freund zu ketten.

ROBERTUS.

Erschwert mir nicht die Trennung, da ihr mir

Verführend holde Lebensgüter zeigt,

Die Kette untersagt euch zu umarmen. –

FAUST.

Von Liebe sang dein Lied. O nenne sie,

Die deine Kraft zum Göttlichen vollendet!

ROBERTUS.

Anmuth'ger füll' ich nicht die Spanne Lebenstag,

Als wenn ich euch des Schönen Hoheit bilde.

Vernehmet! Liebe heißt des Jünglings Fall,

O nein! des Jünglings wolkenhohes Steigen –

Dem Manne, der im Staate waltend lenkt,

Blüht eine Tochter – ungleich dem Erzeuger,

So hold wie gut, so zart wie seelenstark.

Die Huldin weinet liebend Sappho's Thräne,

Den kühnen Sinn erhebt Thalastris Hochgefühl. –

Zu ihrem Lehrer wurde ich erkohren,

In schöner Wissenschaft und Saitenspiel,

Da in ihr Herz nun meine Blicke sanken.

Ich selbst entfaltete des Geistes edle Blüthe,

War's Wunder, daß der ersten Liebe Himmel,

Dem Jüngling nun die Göttin aufgethan?

Daß unsre Seraphsschwingen sich berührten?

FAUST.

Entzückender Roman! Glücksel'ger Abälard!

Nicht heiliger umstrahlen sich Gemüther,

Wie im verklärenden Kamönenhain![30]

ROBERTUS.

Der Vater bringt den Ahnen Götterkultus,

An Stammbaums Zweigen reift ihm Menschenwerth,

Doch warb Aurelia um meine Hand,

Zum Ritter, sprach die Hohe, schlägt das Herz!

FAUST.

Dich grüße Hoffnung, edelmüth'ger Heros!

ROBERTUS.

Wie donnerte des Alten Zorn auf mich!

Ich mußte tiefgeschmäht der reizenden

Gefahr entfliehn. – Da kam des Volkes Noth,

Ich fühlte sie, und die Geliebte auch,

Die in geheimen Briefen sie beweinte.


Sehr sanft.


Da schrieb ich furchtlos nieder, was als recht ich fühlte

Und sandt es furchtlos dem Tirannenhelfer.

FAUST umarmt ihn.

Bald höre mir von der erfund'nen Kunst,

Die auch dem Volk des Weisen Lehre spendet,

Da strahl' ihm über seine Rechte Licht!

ROBERTUS mit Nachdruck.

Gerechtigkeit will Opfer, sprach die Rache nun,

Die Todtverhängende –

FAUST.

Sie sei dein Spott!


Bedeutend.


Indem ich deine hohe Liebe kröne,

Will ich der hohen Liebe Lohn empfangen.

ROBERTUS.

Nur Wünsche lodern – aber nehmet Dank!

Aurelia jammerte umsonst auf wunden Knieen.[31]

In streng Gewahrsam wurde sie gebracht,

Bis mich umschattet tiefe Gräbernacht –

Fahr schönes Leben hin! – horcht! horcht! die Trommeln klingen.


Man hört Trommeln in der Ferne.


FAUST.

Beim Gott der Unterwelt! Ich will dir Hülfe bringen!


Durch die Mauer ab.

Kerkermeister tritt ein. Winkt, die Thränen trocknend. Robertus erhebt sich und geht.


KERKERMEISTER wirft sich hin.

Dem Amt Verzeihung!

ROBERTUS reicht ihm die Hand.

KERKERMEISTER.

O segne noch den Greis, du Heiliger

Des Vaterlandes!

ROBERTUS legt ihm die Hand aufs Haupt und geht ab. Trommeln wirbeln in der Nähe, man hört Waffengeklirr und Volkslärmen. Viele Stimmen rufen draußen: »Es lebe Doktor Robertus!« Andre: »Gnade!« Das Getümmel entfernt sich.

KERKERMEISTER noch auf den Knieen.

Für mich nicht bitte ich, für ihn!


Quelle:
Voß, Julius von: Faust. Trauerspiel mit Gesang und Tanz. Berlin 1890, S. 29-32.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon