Zu Hause

In dem holsteinischen Städtchen Pinneberg, das damals noch ein Flecken war, stand vor ungefähr hundert Jahren am Ufer der Pinnau das Häuschen des alten Schneidermeisters Kroll. Ein Gemüsegarten reichte vom Hof bis zum Wasser herab, und mehrere baufällige Scheunen beherbergten unter ihren moosbewachsenen Ziegeldächern allerlei Tiere, die auf dem Lande die meisten Leute selbst halten und schlachten: Schweine, Hühner und Tauben; außerdem aber auch noch eine Kuh und zwei Ziegen. Daneben gab es einen Holzstall, eine Geschirrkammer und einen kleinen ausgemauerten Raum, den etwa zehn bis zwölf Kaninchen bewohnten. Sie gehörten Robert, dem fünfzehnjährigen Sohn des Meisters, der als Oberaufseher über alle Bewohner des Hofes von seinem Vater angestellt worden war, obgleich er dies Amt nicht immer zur Zufriedenheit des Alten verwaltete. Besonders an Sommerabenden brüllte, grunzte und piepste es in den Ställen jämmerlich durcheinander, bis der Meister mit der Brille auf der Nase herauskam und all die leeren Futtertröge sah. »Wo steckt nur wieder der Junge? Auf und davon, sobald die Feierabendglocke geschlagen hat, anstatt sich noch in Haus und Hof nützlich zu machen, noch einen Groschen extra zu verdienen oder wenigstens ein gutes Buch zu lesen. Der schwimmt irgendwo auf der Aue oder auf dem Mühlteich, und wenn es mir nicht gelingt, ihn zahm zu machen, so wird er ein Vagabund, ein Taugenichts.«

Und kopfschüttelnd versorgte der Alte die Tiere, kopfschüttelnd nähte er wieder seine Flicken auf die schadhaften Kleidungsstücke der Ortsbewohner und überlegte zum hundertsten Male, womit er seinen einzigen Sohn zur Vernunft bringen sollte. Robert war ein so kluger Junge, konnte alles spielend vollenden, was andern die größte Mühe machte, aber er hatte »seinen eigenen Kopf«, wie der Vater seufzend dachte, und er verachtete heimlich[5] das Schneiderhandwerk, zu dem er doch erzogen werden sollte. Ja, er verachtete es, er warf Schere und Bügeleisen in den Winkel, sobald es irgend möglich war, und lief lieber mit einem Loch im Ärmel herum, als es sich fein säuberlich zuzunähen.

Meister Kroll ließ die Hand mit der Nähnadel in den Schoß sinken und schaute vom Tisch herab ganz trübsinnig auf die Straße hinaus. »Könnte es so schön haben«, murmelte er vor sich hin, »könnte so warm sitzen und will durchaus in die weite Welt laufen, um sich erst einmal mürbe machen zu lassen und auszuprobieren, wie fremder Leute Brot schmeckt. Soll aber nichts daraus werden, so wahr ich Hans Fürchtegott Kroll heiße. Den einen Jungen besitze ich nur, das Häuschen ist schuldenfreies Eigentum und die Kundschaft nährt ihren Mann, also was will der Robert weiter? Sag, Mutter, was meinst du dazu?«

Die alte Frau fuhr mit der Schürze über die Augen. »Es nützt ja nichts, Vater, du kannst ihn nur halten, bis er ausgelernt hat, dann geht er zur See.«

Der Alte nickte vor sich hin. »Hat dir's wohl schon alles anvertraut, nicht wahr?« brummte er, »aber daraus wird nichts.«

Die Mutter schwieg, um ihren Mann nicht noch mehr aufzubringen und dadurch dem Jungen zu schaden. Sie machte Robert vielmehr, wenn er spät nach Hause kam, allerlei heimliche Zeichen, daß er nur ganz still ins Bett schlüpfen und sich gar nichts merken lassen solle.

»Der Junge muß sich doch am Abend ein bißchen austoben«, dachte sie. »Er ist ja noch ein Kind, das vergißt der Alte.«

Sie nahm sich auch, wenn es irgend möglich war, der Tiere an und verschwieg es dem Vater, wenn Robert heimlich fortgelaufen war. »Er mag nun einmal nicht sitzen«, überredete sie sich, »und den einzigen Jungen habe ich nur. Warum soll er immer arbeiten, als wären wir arme Leute, die das Brot trocken essen müssen? Laß ihn nur laufen.«

Die Folgen dieser falschen Erziehung zeigten sich aber bald. Der Vater schlug den Jungen mehr als er verdiente, die Mutter dagegen half ihm immer wieder, sich durch kleine Lügen diesen Bestrafungen zu entziehen, und Robert selbst wurde immer trotziger und ungehorsamer.

»Ich will kein Schneider werden«, erklärte er eines Tages dem Alten rund heraus, »ich habe dazu keine Lust. Das Seemannshandwerk ist auch ein ehrliches Gewerbe, nicht schlechter als sonst[6] eins. Ich möchte mehr von der Welt sehen als nur das kleine Pinneberg.«

Der Meister schüttelte den Kopf. »Ist alles dummes Zeug«, antwortete er. »Sollst in die Kundschaft hereinwachsen, dies Häuschen übernehmen und eines Tages hier begraben werden, wie schon mein Großvater selig und mein Vater hier begraben worden sind. Sie waren Schneider vom Vater auf den Sohn, und du wirst es auch, verstanden?«

Robert weinte bitterlich. »Ich sehe es aber gar nicht ein!« schluchzte er.

»Ich desto besser. ›Bleibe im Lande und nähre dich redlich!‹ heißt der alte Spruch. Wer's nicht getan hat, der mußte es bitter zu seinem Schaden erfahren.«

Robert hob plötzlich den Kopf. »Wenn aber jeder in seinem Lande geblieben wäre, dann sähe doch die Welt ganz anders aus!« rief er. »Christoph Kolumbus und –«

»Ach laß doch die greulichen Heiden. Es hilft dir alles nichts, die Krolls sind von jeher Schneider gewesen, und du wirst auch einer. Da, diese Naht nähst du mir mit einem sauberen Steppstich. Finde ich einen Fehler daran, so schmeckst du den Stock, und nun den Mund gehalten, wenn ich bitten darf. Lehrjungen plappern nicht während der Arbeitsstunden.«

Robert mußte sich fügen, aber das Verlangen nach Erlösung aus diesen Verhältnissen wurde immer stärker. Hier bleiben fürs ganze Leben, nie etwas anderes sehen als den engen Hof und die enge Straße, das war schrecklich. Der Vater erlaubte gar kein Vergnügen und keine Erholung, er durfte nicht ein einziges Mal mit der Eisenbahn nach Hamburg fahren oder mit anderen Jungen eine Wanderung machen. »Das alles kostet Geld und Zeit«, war die Antwort, die er seinem Sohn gab. »Was willst du in Hamburg? Da stehen Häuser und laufen Menschen wie hier. Das Geld wäre ganz umsonst ausgegeben.«

Robert senkte mutlos den Kopf. »Und die Schiffe und die Elbe?« fragte er kleinlaut. »Das ist doch sehenswert.«

Der Alte wich und wankte nicht. »War mir allezeit ein Greuel, das Matrosenleben«, antwortete er. »Die Kerle fluchen und trinken und sind Verschwender; hat so einer seine Heuer empfangen, dann geht es darauf los, als könnte die Geschichte gar kein Ende nehmen. In die Sparkasse wandert kein Pfennig.«

So endete jeder Versuch, etwas mehr Freiheit zu erringen, und[7] Robert wurde endlich ganz stumm und sprach nicht mehr mit seinem Vater.

Um diese Zeit machte er eine Bekanntschaft, die für seine ganze Zukunft von Bedeutung werden sollte. Der Seilermeister, dessen Bahn an den Krollschen Garten stieß, hatte einen neuen Gesellen genommen, und Georg, so hieß er, suchte sehr bald die Freundschaft des Schneiderlehrlings.

Nur wenige Jahre älter als Robert, hatte er von der Welt schon ein gutes Stück gesehen, war als Schiffsjunge in fremden Ländern gewesen und kannte das Seemannsleben genau. Kein Wunder also, daß sich Robert mit ihm befreundete.

Zuerst sprachen die beiden nur über den Zaun hinweg, dann aber schlüpfte Georg hindurch, und auf dem Heuboden entspann sich die lebhafteste Unterhaltung. Robert hörte auf das, was ihm der Seiler erzählte, wie auf eine Verkündigung. Endlich hatte er gefunden, was er suchte, endlich durfte er alle diese Dinge kennenlernen, nach denen er sich sehnte. Selbst an die Bootsfahrten auf dem Mühlteich dachte er nicht mehr, sondern verbrachte jede freie Stunde neben dem neuen Kameraden auf dem Heuboden oder im Holzstall. Georg mußte fortwährend erzählen.

Der schlaue Bursche wußte sehr bald seinen Vorteil wahrzunehmen. »Willst du eine Zigarre?« fragte er einmal, »oder ist dir eine Pfeife lieber?«

Robert errötete. »Ich – ich habe noch nie geraucht!« stammelte er.

»Was? Nicht geraucht?« lachte der andere. »Darfst wohl nicht, kleiner Junge, was? Gibt dir der Alte noch Schläge?«

Robert sah zur Seite. »Oh nein. Und das Rauchen verbietet der Vater auch nicht, ich – habe schon manche Zigarre verdampft, aber –«

»Ha, ha, ha, und vor zwei Minuten sagtest du das Gegenteil, Bürschchen. Dich haben sie aber schön in der Zucht.«

»Gib her!« rief Robert, gereizt durch den Spott des anderen. »Gib her! Auch wenn es mein Vater verbietet, würde ich mich nicht daran kehren.«

»Das meine ich aber auch. Wie alt bist du eigentlich, Junge?«

»Bald sechzehn«, entgegnete Robert. »Du brauchst mich übrigens gar nicht ›Junge‹ zu nennen, Georg. Ich bin fast so alt, wie du selbst.«

Der Seiler lächelte überlegen. »Wirst ja noch wie ein kleines[8] Kind behandelt, mein Bester«, sagte er, »daher kommt es wohl. Ich glaube, du mußt um Erlaubnis fragen, wenn du niesen willst. Na, da war ich ein anderer Kerl!«

»So?« fragte Robert, mannhaft gegen den Tabakrauch kämpfend, »und wie fingst du die Geschichte an? Warst du da schon Schiffsjunge?«

»Natürlich. Ach, das ist ein herrliches Leben, sage ich dir. Es geht nichts über die See. Sollte ich so wie du auf dem Tisch sitzen und immer mit der Nadel in die Lappen hineinbohren, das wäre mir was rechtes. Weiberarbeit und weiter nichts, – ich danke!«

Robert hatte große Lust zu weinen. Die Beschäftigung, die ihm von seinem Vater aufgedrängt wurde, erschien ihm in diesem Augenblick wie eine Art Schande.

»Ja, du hast gut reden«, seufzte er. »Aber was soll ich machen? Mein Alter läßt mich nicht los, sooft ich ihn auch bitte.«

Er verbiß das Unwohlsein, das ihm die Zigarre verursachte. Um keinen Preis hätte Robert dem anderen eingestanden, daß ihn dies männliche Vergnügen jämmerlich über den Haufen zu werfen drohte. »Warum verspottest du mich immer?« fragte er. »Erzähle mir lieber von deinen Reisen.«

Der Seiler gähnte. »Die Kehle wird einem trocken dabei«, antwortete er. »Hat dein Alter nirgends einen Schluck hinter seinen Flicken und Lappen verborgen?«

»Branntwein?« fragte Robert, »den trinkt er nie.«

»Welch ein Muster von einem Mann.«

Robert erhob sich, etwas schwankend, aus dem Heu. »Bier haben wir«, sagte er. »Ich will dir eine Flasche holen.«

»Du!« rief ihm Georg nach, »bring auch einen Bissen Brot mit und ein Stück Speck oder dergleichen. Deine Alte hat ja natürlich die Speisekammer voll.«

Robert winkte ihm. »Pst, – laß es doch niemand hören.«

Dann aber schlich er fort und gelangte durch eine zerbrochene Scheibe in den kleinen Vorratskeller. Sein Herz klopfte zum Zerspringen, als er eine Bierflasche und ein tüchtiges Stück Schinken an sich nahm. Das war gestohlen, sein Gewissen sagte es ihm laut genug.

Jeden Augenblick glaubte er den schlürfenden Schritt des Vaters zu hören. Und nannte nicht dort jemand seinen Namen – »Robert!«

Er horchte; aber alles blieb still. Leise wie ein Dieb kroch Robert wieder durch das Fenster in den Hof hinauf und brachte seinem[9] Freund das Verlangte. »Da, nun iß«, sagte er, »und dann erzähle. Warum bist du überhaupt für immer an Land gegangen?«

Der Seiler setzte die Flasche erst wieder auf den Fußboden, als sich kein Tropfen mehr darin befand. »Warum?« wiederholte er. »Hm, ich habe einmal das Bein gebrochen, – bin aus dem Mast gefallen und kann daher nicht mehr klettern.«

»Aus dem Mast gefallen?« wiederholte Robert. »Binden sich denn die Seeleute nicht fest da oben?«

Der Seiler wollte sich ausschütten vor Lachen. »Festbinden!« rief er, »das ist köstlich. Nein, du, sie machen sich's noch bequemer, will ich dir sagen. Die Mutter muß mit an Bord und an Deck die Schürze ausbreiten, dahinein fällt der Junge, wenn er das Gleichgewicht verliert.«

Robert errötete. Das und so vieles andere waren Anspielungen auf seine abhängige Lage und auf den strengen Gehorsam, den der Vater von ihm forderte.

»Du bist glücklich«, sagte er, »kannst tun und lassen, was du willst. Aber ich muß Schneider werden, weil mein Vater durchaus will. Wenn er nur erfährt, daß ich einmal auf dem Mühlenteich gefahren bin, so gibt es schon –«

»Ohrfeigen!« ergänzte gleichmütig der andere. »Kann ich mir genau denken. Aber warum fährst du nicht in der Nacht? Eben jetzt haben wir die günstigste Jahreszeit dazu. Wahrhaftig, ich möchte einmal an des Müllers Segelboot meine Kunst wieder üben.«

Roberts Herz klopfte. Wie mutig war Georg, wie leicht schien das alles, wenn man ihn so sprechen hörte. An das Segelboot des reichen Müllers hatte er selbst noch nicht einmal zu denken gewagt. Das lag ja mit einer Kette und einem Schloß fest an dem zierlichen, über das Wasser hinausgebauten Gartenhaus, es war das Eigentum fremder Leute, wie konnte man also davon sprechen, als dürfte es der erste beste zu seinem Vergnügen besteigen?

»Ja«, sagte er ganz verwirrt, »aber das ist nicht erlaubt!«

»Ach, dummes Zeug. Was schadet es den Planken, wenn wir einmal darauf herumtrampeln? Du glaubst gar nicht, wie angenehm es ist, bei stillem Wetter im Boot zu liegen und sich von den Wellen schaukeln zu lassen.«

»Das weiß ich!« rief mit glänzenden Augen der Junge. »Oh, es ist ein Vergnügen wie kein anderes. Den Kahn des Holzhändlers darf ich benutzen, weil ich den Leuten manchmal einen Gefallen[10] tue, und dann fahre ich oft nach Feierabend quer über den Teich. Der Vater darf es aber nicht wissen.«

Georg kaute noch an dem mitgebrachten Schinken. »Der platte, schwerfällige Kahn«, sagte er verächtlich, »der Klotz, an dem man sich die Arme lahm rudern muß. Nein, mein Junge, was erst große Anstrengung kostet, das ist kein Vergnügen mehr. Ein Segelboot fliegt wie eine Möwe über das Wasser, aber dein Kahn ist ja wie ein Schubkarren. Versuch erst einmal den Unterschied.«

Robert war bereits halb besiegt. »Meinst du, daß es ginge?« fragte er. »Ich glaube, das Boot ist angeschlossen.«

»Nun, dafür hat man krumme Nägel. Wir wollen ja nicht stehlen.«

»Wie komme ich nur aus dem Hause, daß es die Eltern nicht merken?« murmelte Robert. »Den Schlüssel darf ich auf keinen Fall nehmen.«

»Ist ja auch gar nicht nötig. Die Hoftür hat doch einen Riegel, und den zieht man leise zurück, das ist das Ganze. Die Alten schnarchen ruhig weiter.«

»Ja«, rief Robert, »aber dann stände das Haus offen!«

»Nun, und was schadet das weiter? Schätze werden in dem alten Kasten nicht verborgen sein, denke ich.«

Robert lächelte. »Schätze wohl nicht, aber ein paar hundert Taler hat der Alte doch im Schrank. Er bringt es immer erst zur Sparkasse, wenn das Tausend voll ist, so alle zwei oder drei Jahre.«

Georg hatte aufmerksam zugehört. »Sieh an,« rief er, »also ein Krösus im kleinen. Ja, die Schneider sind kluge Leute und sparsam dazu.«

Robert seufzte. »Die Schneider sind doch überall verachtet«, sagte er. »Ich mag keiner werden, und wenn es auch noch so viel Geld abwirft.«

Georg nickte. »Wäre auch schade um einen so frischen, kräftigen Jungen wie du bist«, meinte er. »Gott, wenn ich mir dich als Leichtmatrosen vorstelle, – du könntest es in ein paar Jahren zum Kapitän bringen. Und ein Kapitän ist ein König im kleinen.«

Robert fuhr mit der Rückseite der Hand über die Augen. »Es hilft mir ja doch nichts«, stammelte er. »Ich darf nicht fort.«

»Ach, Unsinn. Komm nur erst einmal mit mir auf den Mühlenteich hinaus, dann wird dir der Mut schon wachsen. Wie wäre es, wenn wir morgen die Geschichte versuchten? Du legst dich um neun Uhr in deine Koje und schnarchst wie ein Bär, bis du merkst,[11] daß die Alten von ihren Sparkassenbüchern träumen, dann schlüpfst du zur Hoftür hinaus.«

Robert fühlte, wie ihn die Versuchung ergriff. Was wäre es denn auch weiter? Die Söhne des Müllers durften nach getaner Arbeit im Boot fahren, soviel sie wollten, er hatte es oft gesehen und auch dem Vater vorgehalten; dann schüttelte der Alte ärgerlich den Kopf. »Der Müller ist ein reicher Mann«, antwortete er, »da kann er es schon treiben, wie es ihm gefällt. Du aber bist armer Leute Kind und mußt Pfennig auf Pfennig legen. Ich hab's auch so gemacht.«

Es war dem Jungen, als höre er die warnende Stimme des alten Vaters, aber doch konnte er nicht widerstehen. »Ich komme, Georg«, flüsterte er, unwillkürlich leise sprechend, als fürchte er sich vor dem Verbotenen. »Wo treffen wir uns?«

»Hm, ich denke am Mühlenteich – und bring mir von dem Schinken ein tüchtiges Stück mit. Deine würdige Frau Mutter hat dies verstorbene Borstenvieh außerordentlich schmackhaft zubereitet.«

Robert versprach es, und dann trennten sich die beiden Genossen. Während der Seiler zufrieden lächelnd seine Dachkammer aufsuchte, stahl sich Robert, an allen Gliedern wie gelähmt, mit brennender Zunge und schwerem Kopf zunächst wieder in den Vorratskeller hinunter, um dort die leere Flasche an ihren Platz zu stellen, und dann ging er schleunigst zu Bett. So unwohl hatte er sich noch nie im Leben gefühlt.

Am folgenden Morgen sah er ganz blaß aus. Er mochte kaum essen, aber er arbeitete den Tag über mit besonderem Fleiß, um nur keinen Verdacht auf sich zu lenken, und ging früh wieder zu Bett.

O wie lang wurde dieser Abend! Der Vater hatte noch spät eine fertige Arbeit ausgetragen, und die Mutter knetete das Brot, wer weiß wie lange. Es schien dem ungeduldigen Robert, als sei ein Jahr vergangen, seit er sich in die Federn legte. Zehnmal war er im Begriff wieder aufzustehen, aber immer hinderte ihn die Furcht, sich dadurch verdächtig zu machen. Sein böses Gewissen ließ ihn vor jedem Geräusch erzittern.

Aber alles nimmt ein Ende, auch der längste Abend. Endlich war der Teig fertig und der Vater wieder nach Hause gekommen, endlich das Licht ausgelöscht und die Eltern zur Ruhe gegangen. Robert konnte geräuschlos aus dem Bett und in die Kleider schlüpfen.[12]

Seine Stiefel behielt er in der Hand. Nur noch rasch wieder in den Keller – heute schon viel gleichgültiger als gestern, – dann zog er den Riegel von der Hoftür. Noch einmal sah er sich ängstlich um. Sollte er wirklich die ahnungslosen Eltern hintergehen, ihr Hab und Gut preisgeben, ihr Verbot übertreten? – Noch auf der Schwelle zögerte er. »Kein guter Sohn tut das!« flüsterte die Stimme des Gewissens.

Ja, aber wie wird Georg lachen, wie wird er mich morgen verspotten, dachte er. Ich höre es schon, daß er sich lustig macht. »Bist kein Kerl, du kleiner Schneider, hast keinen Mut. Geh und laß dir von den Alten die Lehren der Weisheit und Tugend vorpredigen, bis du ganz dumm geworden bist. Die Schafsköpfe leben am längsten.«

Er murmelte eine Entschuldigung, als stände Georg mit seinem mageren, blassen Gesicht und dem höhnischen Blick im Mondlicht unmittelbar vor ihm. Nein, so feige und unzuverlässig konnte er sich nicht zeigen. Hingehen mußte er.

Mit drei Sätzen war die Hecke des Nachbargartens überklettert, und nun ging's in eiligem Lauf weiter. Der schlurfende Schritt des einzigen alten Nachtwächters, sein Stolpern über das schlechte, unebene Pflaster waren schon von weitem zu hören, – er konnte einer Begegnung leicht ausweichen. In weniger als einer Viertelstunde hatte er die Gruppe hoher alter Linden erreicht, in deren Schatten sich der Eingang zum Garten des Müllers befand.

Georg trat ihm plötzlich von der Seite entgegen, so daß er erschrak.

»Ach, – du bist's«, flüsterte er. »Ich dachte schon der Müller –«

»Lag hier auf der Lauer, um uns zu fangen, nicht wahr?« lachte der Seiler. »Na, komm nur; im Garten ist niemand, ich habe es schon ausgekundschaftet.«

Die beiden durchschritten den langen Kiesgang und kamen an ein kleines chinesisches Gartenhaus, dessen Tür verschlossen war. Robert wandte sich bedauernd zu seinem Gefährten. »Was nun?« fragte er.

Der Seiler suchte in allen Taschen. »Wirst gleich sehen«, sagte er. »So mußt du die Sache anfassen! – Das ist keine Hexerei.«

Er hatte ohne große Mühe das Schloß geöffnet, noch ehe Robert eine Einwendung machen konnte. Mit pochendem Herzen folgte er ihm in den kleinen offenen Raum, an dessen Treppe das Segelboot auf dem Wasser lag. Heller Mondschein überflutete den[13] breiten Teich und seine hübschen, von grünen Wiesen umrahmten Ufer; weiße Schwäne zogen langsam vorüber.

Georg wandte sich blinzelnd zu seinem jüngeren Gefährten. »Wie angenehm ist es doch, ein reicher Mann zu sein, nicht wahr, Robert?« fragte er. »Aber der Einfältige, der Schüchterne wird es nie im Leben. Sieh, wie oft hast du schon im stillen die Söhne des Müllers um ihr hübsches Segelboot beneidet, aber hingehen und es dir nehmen, das wagtest du nicht. Jetzt fahren wir und kehren uns nicht daran, wer das Ding bezahlt hat, – so macht es der Kluge überall.«

»Aha, ein hübsches Fahrzeug«, fuhr er fort, »verteufelt nett. Alles so fein gemalt und sauber gehalten, man sollte meinen, daß es richtige Teerjacken wären, die es unter den Händen haben. Wahrhaftig, auch ein Flaschenkorb! Prosit, Müller!«

Er trank ein paar Schluck von dem Branntwein, den er fand, und öffnete dann das Schloß des kleinen Bootes, alles mit einer Sicherheit, als sei er der rechtmäßige Eigentümer dieser Dinge. Robert folgte ihm, der Seiler setzte das Segel, und dann stießen sie ab. Er schien so recht in seinem Element zu sein; das Vergnügen lachte ihn aus den Augen.

»Paß auf, Landratte«, rief er, »so bedient man ein Boot.«

Robert horchte fast andächtig. Sein Herz hüpfte vor Freude. Unter sich den blauen Spiegel des Teiches und über sich das weiße, bauschende Segel, – er glaubte, daß es auf der Welt kein größeres Vergnügen geben könne. Vergessen war der Ungehorsam, das Unrecht, fremder Leute Schlösser gewaltsam geöffnet zu haben, und die Gefahr einer etwaigen Entdeckung. Robert empfand nur die Seligkeit, in einem wirklichen Schiff, wie er es nannte, fahren zu dürfen. Langsam glitt das Boot über die Wellen dahin.

»Du bist ja ganz stumm geworden«, lachte der Seiler. »Hast am Ende noch nie die Planken eines Schiffes betreten?«

»Ach«, seufzte Robert, »nie eins gesehen sogar.«

»Unmöglich! Du bist doch gewiß oft in Hamburg gewesen?«

»Noch nie. Vater gibt keinen Pfennig unnötig aus.«

Georg zog verächtlich die Schultern empor. »Dein Alter ist ein Narr«, sagte er, »aber du bist ein dreifacher. Paß nur auf, die Gelegenheit zu einem Abstecher nach Hamburg soll sehr bald kommen. – Hast du etwas zu leben mitgebracht?«

Robert reichte dem Freund das Bier und den Schinken. »Sind[14] alle Boote so eingerichtet wie dieses?« fragte er. »Ach, das Segeln ist doch ganz etwas anderes als das Rudern.«

»Habe ich dir's nicht gleich gesagt, Däumling? Aber das Ei will immer klüger sein als die Henne. Was wirst du erst für Augen machen, wenn wir einmal auf einem Dampfer sind.«

»Wie sind die eingerichtet?« fragte der Junge wißbegierig.

Georg lachte laut. »Wie tief ist das Meer bei Grönland? Ebensogut könnte ich das auf Stecknadelbreite angeben wie ohne weiteres beantworten, wie Dampfschiffe gebaut sind. Sehr verschieden, das ist erst einmal alles, was du zu wissen brauchst.«

Der Seiler zog aus der Brusttasche seiner Jacke eine kleine Flasche hervor und tat einen tüchtigen Zug. Dann reichte er Robert den Rest. »Trink aus, mein Junge«, sagte er.

Der hielt verlegen das Fläschchen in der Hand. »Branntwein?« fragte er.

»Natürlich, es ist kein Gift. Hast wohl noch nie ein paar Tropfen über die Zunge laufen lassen?«

Robert umging die Antwort, indem er das Getränk eilends verschluckte. Es schmeckte ihm schlecht, aber er fühlte sehr bald eine angenehme Wirkung, so etwas wie ein Wachsen und Dehnen aller Kräfte, eine Unternehmungslust, wie er sie nie vorher in dem Maße gekannt hatte.

»Ich möchte, daß das Amerika wäre oder Afrika«, sagte er, auf die bewaldeten Ufer deutend, »und daß dort Wilde hausten, die wir bekämpfen oder überlisten würden. Hast du wohl schon wirkliche Schwarze gesehen, Georg?«

»Gesehen?« lachte der Seiler »Das ist nicht schlecht, wahrhaftig. Ich bin über ein Jahr lang als Heizer auf den Red-River-Dampfern gefahren, mit lauter Negern als Schiffsmannschaft.«

Roberts Augen glänzten. »Habt ihr da Abenteuer erlebt, du?«

»Mit den Schwarzen? Das sind urgemütliche Kerle, sage ich dir. Wenn ihre Arbeit getan ist, so balgen sie sich wie die Kinder und stoßen mit den eisenharten Köpfen zum Spaß wie die Ziegenböcke gegeneinander. Einmal, als bei einer großen Überschwemmung alle Holzlager weggespült waren und auch in den durchnäßten Wäldern kein brauchbares Feuerungsmaterial aufgetrieben werden konnte, nahmen wir zum Ersatz die Staketpfähle der Farmen, und unsere Neger mußten, sooft der Vorrat zur Neige ging, an Land, um wieder Nachschub herbeizuschaffen. Das war überaus komisch.

Stell dir vor, daß unser harmloses kleines Gehölz der Urwald[15] wäre, mit breiten, himmelhohen Stämmen, von Unterholz und Schlingpflanzen in eine grüne, unentwirrbare Wildnis verwandelt und von unzähligen Tieren bevölkert. Affen und Papageien in den Wipfeln, ein brauner Bär mit seiner Familie am Ufer oder ein schwerfälliger Alligator, der, so schnell es ihm seine kurzen, unbehilflichen Beine erlauben, die Flucht ergreift; dazu alle Arten von kleineren Tieren, alle möglichen Stimmen, alle erdenklichen Geräusche. Jeden Abend entzündeten wir riesige Feuer, um das Gesindel aus unserer Nähe zu vertreiben, und dann mußten die Neger in das Wasser hinein, an einzelnen Stellen sogar bis unter die Arme. Sie jauchzten dabei vor Vergnügen und trugen auf ihren Schultern größere Lasten, als sie ein Weißer auf ebener Erde fortbringen könnte.«

Robert legte den Arm über die Augen. Er weinte.

»Erzähle mir lieber gar nichts mehr, Georg«, schluchzte er. »Solche Abenteuer möchte ich erleben, die ganze weite Welt sehen, wilde Tiere und wilde Menschen, – aber ich soll ja Schneider werden. Am liebsten möchte ich sterben, Georg.«

Der Seiler pfiff spöttisch durch die Zähne. »Du bist ein Narr, dir den Tod herbeizuwünschen. Halte dich doch lieber an das Leben und erobere es mit Gewalt, wenn andere es dir mit Gewalt aus den Händen reißen wollen. In Hamburg gibt es Kapitäne genug, die einen solchen Jungen, wie du bist, an Bord nehmen, ohne viel nach Papieren oder der Erlaubnis des Herrn Vaters zu fragen. Weil sich so ein alter Schneidermeister in den Kopf gesetzt hat, daß sein Sohn unbedingt auch mit gekreuzten Beinen auf dem Tisch sitzen und allerlei Flicken zusammenstoppeln soll, darum ist die Welt noch nirgends mit Brettern vernagelt. Laß mich nur machen.«

Robert fühlte wohl, daß es nicht recht war, Reden mit anzuhören, die seinen Vater beleidigten. Georg hatte ja recht, der Vater mißhandelte sein eigenes Kind.

»Es sind schon viele Jungen auf- und davongegangen, weil es ihnen in der Heimat nicht mehr gefiel«, fuhr der Seiler fort. »Ich selbst hab's ja so gemacht!«

Robert fuhr auf. »Du?« fragte er ganz erstaunt.

»Natürlich, ich und kein anderer. Meine Mutter war eine Milchhändlerin, die mich an jedem Morgen vor ihren Wagen spannte, bis es mir nicht mehr gefiel. Da ging ich durch die Lappen, – wer wollte mir das verdenken? Zum Hund fühlte ich mich nicht geschaffen.«[16]

Robert saß da mit heißer Stirn und unruhigen Gedanken. Seine Augen gingen sehnsüchtig über das Wasser und den dunklen Wald.

»Laß uns umkehren, Georg«, seufzte er, »und am linken Ufer entlangfahren. Da liegen die kleinen Inseln, auf denen wir als Schuljungen oft Krieg spielten und denen wir Namen gaben. Ich war immer der König.«

Georg musterte die Umgebung. »Vor allen Dingen müssen sich Eure Majestät die Landratten-Bezeichnungen abgewöhnen«, antwortete er. »Vom Umkehren weiß der Seemann nichts, und mit einem Segelboot so ohne weiteres einen andern Kurs einschlagen, das kann er auch nicht. Die verschiedenen Arten der Fortbewegung nennt man erstens, wie wir es bisher taten, ›vor dem Wind segeln‹, wenn er von hinten, zweitens ›bei dem Wind‹, wenn er von der Seite weht, ›mit halbem Wind‹ oder ›backstags‹, wenn er halb von hinten, halb von der Seite kommt, und ›kreuzen‹ oder ›lavieren‹, wenn er entgegenweht. Dabei kann man sein Ziel natürlich auf geradem Wege nicht erreichen, sondern segelt in stumpfem oder mindestens doch rechtem Winkel von einem Ufer zum andern. Was du eben in richtiger Fuhrmannssprache ›umkehren‹ genannt hast, heißt ›über Stag gehen‹, das Kommando lautet: ›Klar zum Wenden!‹ und dann, wenn alle Schooten bedient sind: ›Wenden!‹«

Er hatte während dieser Auseinandersetzung die erforderlichen Handgriffe ausgeführt, und Robert verfolgte mit fast zärtlichen Blicken jede Bewegung seines Freundes.

»Georg«, rief er, »jetzt fahren wir ›beim Wind‹, nicht wahr?«

»All right, Sir«, lachte der Seiler. »Wahrhaftig, du bist zum Seemann geboren. Gib doch noch einmal die Flasche da aus dem Kasten herüber. Der Müller wird ja nicht arm werden, wenn ich mit seinem Kognak auf dein Wohl trinke.«

Robert gehorchte widerstrebend, nur um in seines Freundes Augen als ein ganzer Mann dazustehen. Georg machte sich ja aus solchen Kleinigkeiten nichts, also durfte er nicht weniger mutig erscheinen.

Der Seiler hielt die Flasche gegen das Licht. »Wird gar nicht bemerkt«, sagte er, »und darauf kommt im Leben alles an.«

Robert verbarg aufatmend die Flasche. Obwohl niemand dabei war, so schien es ihm doch, als sähen tausend Augen den Diebstahl. – Jetzt hatte das Boot den eigentlichen Mühlenteich wieder erreicht, und Georg hielt sich links, wo verschiedene kleine Inseln wie grüne Punkte im ruhigen Wasser lagen. Durch alle diese einzelnen Arme[17] des Teiches kreuzte das kleine, wendige Fahrzeug, während der Seiler von seinen Reisen erzählte und den lauschenden Jungen so gut zu fesseln wußte, daß er tief seufzte, als der Garten des Müllers wieder erreicht war.

»Du fährst noch manches Mal mit mir, nicht wahr, Georg?« fragte er.

»Sooft du willst, mein Junge. Aber für heute müssen wir es genug sein lassen, glaube ich. Mitternacht ist vorüber, und bald wird es heller Tag werden.«

Die beiden brachten nun das Segel wieder in seine vorige Lage, schlossen das Boot an den Eisenring der Treppe und versperrten auch die vordere Tür. Dann schlichen sie durch den Garten auf die Straße hinaus.

»Geh du allein«, flüsterte Georg, »und ich auch. Wenn dann einer gesehen wird, so ist doch wenigstens der andere nicht entdeckt. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!« gab Robert zurück. »Und vielen Dank, Georg.«

»Hat nichts zu sagen«, lachte der. »Aber du, wenn einmal deine Alte ein bißchen zu essen im Küchenschrank hat, dann denk an mich. Etwas Warmes bekomme ich nie.«

Robert stand vor Erstaunen still. »Nie ein Mittagessen?« wiederholte er. »Aber du verdienst doch wöchentlich dein bestimmtes Geld.«

Georg zuckte die Achseln. »Fürs Verhungern zu viel und fürs Sattessen zu wenig«, antwortete er. »Ich bin ja noch ein Anfänger in diesem Handwerk, mußt du wissen. Es kommt alles durch den gebrochenen Fuß, sonst wäre ich längst Steuermann.«

»Du Armer!« rief der Junge gerührt. »Ich will für dich tun, was ich kann und werde dir auch in Zukunft deine Kleider flicken. Der Schneider soll doch zu etwas gut sein.«

»Es tranken ihrer neunzig, ja neunmal neunundneunzig aus einem Fingerhut!« – summte Georg spöttisch, und dann winkte er im Halbdunkel der Linden noch einen lachenden Abschiedsgruß. Robert war jetzt allein. Schnell die Flaschen ergriffen, einen letzten Blick zum Teich hinüber, eine Rundschau, ob auch alles ganz ruhig sei, und dann Fersengeld gegeben. Husch, husch, über den Bahnkörper, vorbei am hohen, alten Gefängnis, durch die Straße, an deren Ende erst der Nachtwächter daherklapperte, und dann in den Garten gekrochen.

Nichts regte sich. Jetzt stand er auf dem Hofplatz seines elterlichen[18] Hauses und probierte die Tür, – sie war offen. Pikas, der Spitz, kroch ihm wedelnd entgegen, alles atmete so tiefen Frieden, war so ganz ungestört, ganz wie immer, daß es dem Jungen mit jeder Minute leichter ums Herz wurde. Er warf Stiefel, Mütze und Jacke von sich, dann schlich er an die angelehnte Tür zur Schlafkammer seiner Eltern und sah hinein. Die beiden alten Leute schliefen fest.

Robert lächelte, als er jetzt den Riegel der Hoftür vorlegte. Welche unnötigen Sorgen hatte er sich gemacht. Georg verspottete ihn wirklich nicht mit Unrecht, das begriff er erst in diesem Augenblick und beschloß, daß das nicht mehr so bleiben dürfe.

»Ich will kein Stubenhocker werden, wie Georg sagt, keiner, der Branntwein und Zigarren nur dem Namen nach kennt. Andere Lehrjungen haben auch ihre freien Stunden; ich nehme also nur, was mir als mein gutes Recht zusteht.«

Er schlüpfte in sein Bett und träumte in verworrenem Durcheinander von Segeln und Booten, von erbrochenen Schlössern und leeren Flaschen. Am Morgen hatte er zwar ein Gefühl, als müßte das Geheimnis der Nacht auf seiner Stirn zu lesen sein, aber das verzog sich auch bald wieder.

Gegen Mittag schaute Georg verstohlen durch die Lücke im Zaun. »Hast du etwas zu essen, Kleiner?«

Robert schob hindurch, was er unbemerkt hatte beiseite bringen können, und so ging es auch an den folgenden Tagen. Er bestahl seine Mutter, um sich die Freundschaft des ehemaligen Matrosen zu erhalten und um mit ihm bei jedem günstigen Wetter zu segeln. Der Gedanke, daß das Boot dem Müller gehörte, daß die Benutzung Unrecht sei, war längst vergessen.

Die beiden Kameraden sprachen nur noch darüber, wie man es einrichten könnte, hinter dem Rücken des alten Schneiders einen Abstecher nach Hamburg zu machen. Robert brannte vor Begierde, wirkliche Schiffe und Schiffswerften zu sehen. »Wenn ich nur Geld hätte!« seufzte er.

Der Seiler schien diesen Ausruf erwartet zu haben. »Besitzt du keinen Spartopf, Kleiner?« fragte er. »Alle wohlerzogenen Kinder haben doch einen.«

Dieser Ton reizte jedesmal den ganzen Trotz Roberts. Er wollte nicht wie ein kleines Kind behandelt werden. »Ich habe Geld«, antwortete er, »aber den Schlüssel zum Spartopf gibt mir der Vater[19] nicht. Jeden Weihnachten wird der Inhalt auf die Sparkasse getragen und für mich angelegt.«

Georg lachte. »Du bist ja ein reicher Mann. Weißt du aber, daß ich es von deinem Alten sonderbar finde, dir das Verfügungsrecht über dein Eigentum zu entziehen? Ich wenigstens ließe mir das nicht gefallen.«

Robert errötete. »Aber was soll ich dabei tun?« fragte er kleinlaut.

»Hm, Notwehr ist erlaubt. Hat er deine Sparbüchse, so halte du dich an seinen Geldkasten. Wo er steckt, das wirst du ja wissen.«

Roberts Herz pochte schneller. »Natürlich weiß ich das«, antwortete er, »aber –«

»Nun, und das kleine Instrument, das über eigensinnige Schlösser hinweghilft, kennst du ja. Hier ist es.«

Robert wehrte mit erhobenen Händen ab. »Du«, stammelte er, »das kann ich doch nicht tun. Es ist Vaters Geld, und nähme ich es, so wäre es gestohlen.«

Der Seiler steckte gelassen den Dietrich wieder in die Tasche. »Bleib bei deinen Ansichten, Kleiner«, sagte er, »ich habe nichts dagegen. Aber sag doch einmal, für wen spart und geizt denn eigentlich dein Alter? Wem wird einmal alles gehören, was er zusammenstichelt?«

Robert machte bei dieser Frage seines Freundes ein sehr vergnügtes Gesicht. »Mir natürlich«, antwortete er. »Ich bin ja das einzige Kind meiner Eltern.«

Georg nickte leicht. »Siehst du«, sagte er, »es ist alles dein rechtmäßiges Eigentum, aber du läßt dich willig knechten.«

Und nachdem er achselzuckend das gesagt hatte, sprach er von etwas anderem. Er wußte, daß Robert an seiner empfindlichsten Stelle getroffen war. Wirklich vergingen auch nur wenige Tage, bis der Sohn des alten Schneiders auf allerlei Umwegen wieder zu dem Geldkasten seines Vaters zurückkehrte.

»Hör mal, du, wäre es eine große Sünde, wenn ich es täte?«

Der Seiler sah ihn mit dem unschuldigsten Gesicht an. »Was denn?«

Robert wandte sich errötend ab. »Nun, du weißt doch, – mit dem Geld!« stammelte er.

»Ach! – Das hatte ich längst vergessen. Du meintest ja, es sei ein Diebstahl, also tu's um Himmels willen nicht.«

»Aber man kann doch davon sprechen«, rief Robert unwillig.[20]

»Du sagtest, es sei mein gutes Recht, aus dem Geldkasten des Vaters das herauszunehmen, was er mir vorenthält. Glaubst du das wirklich, Georg, oder hast du es nur so hingeworfen?«

Der Seiler lächelte. »Komische Frage, – ob dein Eigentum dein Eigentum ist. Sechs oder acht Taler wirst du wohl im Spartopf haben, und über die mußt du allezeit frei verfügen können, denke ich. Ob es nun gerade dieselben Münzen sind oder andere, was macht das? Es handelt sich ja um den Wert, nicht um das Geldstück, und mehr als acht Taler brauchst du ja nicht aus dem Kasten zu nehmen.«

Robert warf stolz den Kopf zurück. »Oho, du, – sechsundzwanzig habe ich bestimmt drin«, sagte er. »Ich bekomme immer das neue, blanke Geld, das sich hier und da findet, außerdem etwas zum Geburtstag, und wenn ich den Kunden das Zeug bringe, manchmal ein Trinkgeld. Das wandert alles in die Sparbüchse.«

»Hahaha«, lachte der Seiler, »weshalb lieferst du denn die Trinkgelder an den Alten ab, du dummer Junge?«

Robert stutzte. Er hatte immer angenommen, daß das so sein müsse, sich aber über das »Warum« nie Rechenschaft abgelegt. Jetzt, unter dem Einfluß Georgs, hielt er sein früheres kindliches Betragen für albern.

»Du hast recht!« sagte er zögernd. »Ich glaube, daß es kein so großes Verbrechen wäre, aus dem Geldkasten einige Taler herauszunehmen. Aber wir brauchen ja nur wenig.«

Der Seiler zog die Stirn in krause Falten. »Hm«, machte er, »wie man's nehmen will. Die Groschen fliegen nur so, kann ich dir sagen.«

»So laß uns einen ganzen Taler nehmen!« rief ungestüm der Junge.

»Einen? – Unter fünf ist nicht daran zu denken.«

Robert erschrak, aber das Verlangen, die Elbe und wirkliche Schiffe zu sehen, ließ sich nicht mehr unterdrücken. »So nehme ich fünf«, entschied er nach kurzem Bedenken. »Aber wie fangen wir es denn überhaupt an, unbemerkt von hier fortzukommen?«

»Das ist kinderleicht. Dein Vater fährt in ein paar Tagen zum Elmshorner Jahrmarkt, um dort seinen Bruder zu treffen, der mit Schusterwaren aus Oldenburg herüberkommt. Ist er erst einmal fort, so haben wir freie Hand. Deine Mutter verrät nichts.«

Roberts Augen leuchteten. »Wie du dir alles ausdenken kannst«, rief er. »Das wäre mir gar nicht eingefallen.«[21]

»Weil du dir die strenge Herrschaft deines Alten so gutmütig gefallen läßt, Junge.«

Robert wechselte schnell den Gegenstand des Gesprächs. »Du, wollen wir nach Hamburg fahren oder zu Fuß gehen?« fragte er.

»Natürlich fahren. Zum Gehen hätte ich keine Stiefel. Ach, es ist ein jämmerliches Leben so auf dem Trocknen, wo man bald dies und bald das Kleidungsstück anschaffen muß, – mit leeren Händen natürlich. An Bord braucht der Seemann das blaue Wollzeug und etwas Wäsche, damit Schluß.«

Robert sah mitleidig auf das blasse, kränkliche Gesicht seines Freundes und auf die zerfetzten Schuhe, die Georg trug. »Ob ich fünf Taler aus dem Kasten nehme oder acht«, dachte er, »das bleibt sich im Grunde ganz gleich. Zurückgeben werde ich dem Vater alles, und zwar von meinen Trinkgeldern. Georg hat ganz recht, ich bin früher ein dummer Junge gewesen.«

Er sprach nicht weiter von der Sache, aber er beschloß, für seinen Freund ein Paar neue Stiefel zu kaufen, und fühlte sich in diesem Gedanken ganz glücklich. Georg war ja doch, wie er glaubte, der einzige Mensch, der es wirklich gut mit ihm meinte.

»Du verrätst aber nichts!« bat er ihn, »darauf muß ich mich verlassen können.«

»Ganz bestimmt!« nickte Georg, »obwohl die Geschichte gar nichts auf sich hat. Ich sollte nur an deiner Stelle sein, Himmel noch einmal, der Alte würde einiges lernen. Kein Meister darf seinen Lehrjungen schlagen, also auch deiner nicht!«

Robert errötete. »Aber er ist ja mein Vater, Georg, nicht allein mein Meister!«

»Das ist gleich. Du bist konfirmiert und in der Lehre, gerade so gut wie irgendein anderer. Er kann dich ja fortschicken, sich von dir lossagen, mehr verlangst du ja nicht, glaube ich.«

Robert seufzte tief. »Ach, wenn er das tun wollte!«

»Siehst du, Kleiner! Laß dir alle Gewissensbisse vergehen, sie sind wirklich unnötig. Nähe und stopfe mit wahrer Andacht, bis der Alte nach Elmshorn unter Segel geht, sei recht freundlich und gehorsam, damit er keinen Verdacht faßt, und wir werden einen angenehmen Tag verleben, das verspreche ich dir. Du sollst es nicht bereuen, ein paar Taler geopfert zu haben.«

»Wann ist Elmshorner Markt?« fragte der Junge.

»Nächsten Mittwoch. Ich weiß, daß dein Alter am Dienstag hinfährt[22] und am Donnerstag zurückkommt, also haben wir den ganzen Mittwoch für uns.«

»Noch vier Tage!« seufzte Robert. »Ach, wäre es erst so weit.«

»Das kommt alles eins nach dem anderen«, tröstete Georg. »Bleib du nur recht fleißig, und laß uns lieber während der ganzen Zeit nicht mehr miteinander sprechen, nur wenn du mir mittags ein paar Bissen durch den Zaun schiebst. Dann fährt der Alte ab und hält das heilige Grab für wohl verwahrt, während wir fort sind. Gar zu gestrenge Herren werden betrogen, das ist der Welt Lauf.«

Robert sah ein, daß sein Freund einen klugen Rat gegeben hatte, und obgleich es ihm sehr schwer wurde, hielt er sich doch bis zur Abreise ganz von dem Seiler fern und arbeitete auch tapfer drauf los, so daß ihn der Vater sogar lobte, was selten oder nie geschah. »Bist doch richtiges Schneiderblut!« murmelte er, mit innigem Vergnügen eine Naht betrachtend, die sein Sohn und Lehrjunge gerade vollendet hatte, »kannst es noch weit bringen in der Welt. Vielleicht erlebe ich ja, daß der Herr Branddirektor oder der Herr Bürgermeister bei dir ihre neuen Anzüge bestellen, und das wäre eine Auszeichnung, der die Krolls bis jetzt nicht für würdig befunden wurden. Vor allen Dingen laß dich nie verleiten, irgendeinem Verein beizutreten oder das neuerfundene Ding, die Nähmaschine, im Hause zu dulden. Solch moderner Firlefanz ist mir ein Greuel, hat auch nie zum Segen geführt, das weiß ich gewiß. Wie es mein Großvater und mein Vater gemacht haben, so mache ich es wieder, und damit basta.«

Der brave alte Mann sah nicht, wie sein Sohn errötete, als er ihn lobte. Robert fühlte jedes Wort wie eine Beschämung, wie einen bitteren Vorwurf. Er war fast im Begriff, dem Vater um den Hals zu fallen, ihm alles zu gestehen und ihn zu bitten »Vergib mir!« – aber dann mußte er ja zugleich den Freund verraten und mußte den Ausflug nach Hamburg aufgeben! – Nein, nein, das konnte er nicht. Die weichere Regung, das letzte Mahnen seines guten Engels wurde gewaltsam erstickt, und der Alte traf alle Vorbereitungen zur Abreise, ohne zu ahnen, welche Pläne sein Sohn im Kopfe hatte. Er bestellte und ordnete alles, als ob er mindestens ein Jahr lang ausbleiben wollte. »Mutter, vergiß das nicht, Mutter, behalte, was ich sage, und Mutter, hier auf diesen Kasten gib acht, du weißt, was darin steckt!« so klang es den ganzen Tag. Der Vater verdarb sich selbst die Freude an der kleinen Reise, weil er alles von der schwersten[23] Seite ansah. Robert hätte lachen mögen, als er den dicken Wintermantel und das ungeheure Paket sah, das der Alte für die bei den Tage im schönsten Oktoberwetter mit sich herumschleppte. Er dachte an die Spottlieder seines Freundes und errötete für seinen Vater. Nein, unmöglich konnte er das Leben so auffassen; er wollte frei sein und genießen, nicht nur immer vorsichtige Schritte gehen und einmal sterben, ohne je gelebt zu haben.

Endlich war der Alte nach vielen Ermahnungen und dreimaligem Umkehren glücklich zum Bahnhof gekommen, und Robert sah mit erleichtertem Herzen dem Zug nach, wie er am Mühlenteich vorüber ins weite dampfte. Der Vater hatte daran keine Freude, weil er vielmehr seiner ganzen Natur nach die schwärzesten Bilder entwerfen und die schlimmsten Möglichkeiten als wahrscheinlich ansehen würde. Ob Mutter auch die Schweine gehörig versorgen, ob der Junge keinen Unfug machen, und ob das Haus nicht niederbrennen wird!

Robert ging durch das Gehölz nach Hause. Mochte sich sein Vater mit Grillen plagen so viel er wollte, das konnte ihn selbst nicht hindern, sein Schicksal nach Belieben einzurichten. Er wußte, mit welcher Freude er morgen nach der anderen Seite davonfahren würde. Ach, hätte doch Georg zu Fuß gehen wollen, dann brauchte man nicht bis um halb neun Uhr zu warten, sondern konnte um fünf schon unterwegs sein. Aber das ließ sich nun nicht mehr ändern, und die Hauptsache mußte überhaupt erst getan werden, bevor der ganze Plan einen sichern Boden besaß. Noch steckte das Geld im wohlverschlossenen Kasten.

Robert besah pochenden Herzens den kleinen Dietrich, den ihm Georg neulich ohne weitere Bemerkungen überreicht hatte. Ein Ruck, und jeder Widerstand war besiegt.

»Mein ist alles«, dachte er, »ich nehme nur, was mir gehört.«

Er wartete, bis die Mutter in den Stall hinausging, um die Kuh zu melken. Dann öffnete er mit schnellem Griff den altmodischen Eckschrank, der den Blechkasten mit Geld und Papieren enthielt. Jetzt nur noch der letzte Schritt – dann war die Reise gesichert.

Er schlich zum Küchenfenster und blickte vorsichtig hinaus in den offenen Stall. Die Mutter begann erst ihre Arbeit, nachdem sie das Tier mit frischem Futter versorgt hatte; sie rückte gerade jetzt den kleinen, kreiselförmigen Bock zurecht. Warum sollte sie sich auch beeilen, wie hätte sie denken können, daß ihr einziges Kind im Begriff war, die Kasse des Vaters zu erbrechen![24]

Da erschien plötzlich am Zaun das blasse Gesicht des Seilers. Georg winkte leicht mit der Rechten.

Robert nickte errötend. Schnell entschlossen eilte er in das Wohnzimmer, öffnete den Kasten und griff hinein. Seine Sparbüchse stand auch darin – wie schwer fühlte sie sich an! – aber das war zu weitläufig, er hatte keine Zeit zu verlieren. »Ob ich diese Taler nehme oder die«, dachte er, »das ist ja gleich. Eins – zwei – drei –«

Die Münzen klirrten in seiner zitternden Hand, er gab daher das Zählen auf und griff nur noch einmal hinein, dann schloß er den Kasten. Das Geraubte war schnell in der Tasche verborgen.

Robert war nur bei halbem Bewußtsein; er handelte wie im Traum ohne viel zu überlegen. Pfeifend schlenderte er in den Hof, wo immer noch der Seiler am Zaun stand, und winkte hinüber. »Komm!« flüsterte er.

Georg verschwand und erschien in der nächsten Minute an einer Lücke hinter dem Hühnerstall. »Schnell«, raunte Robert, ihm die gestohlenen Taler zusteckend, »da, bei mir könnte es gefunden werden.«

Der Seiler versteckte mit der größten Geschwindigkeit, was ihm sein junger Freund reichte. »Wieviel ist es?« fragte er.

»Das weiß ich nicht, aber genug wird es sein, auch zu einem Paar Stiefel für dich. Kauf dir welche und komm später wieder hierher.«

Der Seiler nickte nur, dann verschwand er geräuschlos, während Robert sich am Hühnerstall zu schaffen machte. Als nach einiger Zeit die Mutter zu ihm kam, erschrak sie über sein blasses Gesicht. »Fehlt dir etwas?« war die bange Frage.

Robert wußte kaum, was er antwortete. »Ich habe Kopfschmerzen«, sagte er.

»Leg dich ins Bett, Kind«, ermahnte die besorgte Frau. »Der Vater läßt dich zuviel sitzen«, fuhr sie fort, »du hast nicht genug Bewegung.«

Robert ergriff die gute Gelegenheit. »Das ist es ja gerade, Mutter«, schmeichelte er, »und darum fühle ich mich auch nicht mehr so wohl wie früher. Ach, wenn du mir einen rechten Gefallen tun wolltest – – –«

Er zögerte absichtlich und sah nur mit seinen fieberhaft glänzenden Augen in das Gesicht der Mutter. »Aber du erlaubst es doch nicht«, fügte er hinzu.

»Nun«, lächelte die alte Frau, »erst laß einmal hören, was du auf dem Herzen hast.«[25]

»Nur ganz wenig«, bat der Junge, »einen einzigen freien Tag, – morgen. Was mir der Vater zu tun hingelegt hat, das mache ich fertig, du kannst es mir glauben.«

Die Alte schüttelte den Kopf. »Wieder den ganzen Tag auf dem Wasser liegen, nicht wahr? Das geht nicht, Junge. Was sollte ich dem Vater sagen, wenn ein Unglück geschieht?«

»Ich denke nicht an den Mühlenteich«, rief Robert hastig. »Nur ein bißchen herumstreifen wollte ich, weiter nichts.«

»Auch nicht mit dem Kahn des Holzhändlers fahren?« forschte die Mutter.

»Ganz bestimmt nicht.«

»Nun, dann lauf. Mußt aber abends zurück sein, das sage ich dir.«

Wer war froher als Robert? Kaum ließ er sich Zeit, dem Seiler noch durch die Hecke ein paar Worte zuzuflüstern, dann ging es an die Vorbereitungen zur Reise. Die Stiefel blank gebürstet, den Konfirmationsanzug von jedem Stäubchen gesäubert und das weißeste Hemd hervorgesucht, – auch das Taschentuch durfte nicht vergessen werden. Aber einen Stich durchs Herz gab es ihm doch, als er die Mutter an dem wenigen Wirtschaftsgeld zählen und rechnen sah, bis sie ihm endlich vier Groschen in die Hand drückte. »Da, mein Junge«, sagte sie gutmütig lächelnd, »und kauf dir etwas dafür. Ich komme schon zurecht, bis der Vater wieder hier ist.«

Robert wurde dunkelrot vor Scham, dennoch aber drängte es ihn unwiderstehlich, gerade jetzt von dem Geldkasten des Vaters zu sprechen. Er wußte nicht weshalb, aber er mußte es tun. »Du hast ja die ganze Kasse«, sagte er in möglichst sorglosem Ton, »wie könntest du also in Verlegenheit kommen, Mutter?«

Die alte Frau nahm ihre Brille ab und sah ihn voll Erstaunen an. »Du meinst das Geld des Vaters, Robert? – Wie dürfte ich das ohne seine Einwilligung berühren!«

»Oh«, murmelte etwas fassungslos der Junge, »warum denn nicht? Was dem Vater gehört, das ist ja auch dein Eigentum, Mutter.«

»Freilich«, nickte die Alte, »aber Vater ist doch der Herr im Hause, und was er mir anvertraut, das muß ich heilig halten. Berechtigte Wünsche versagt er mir nie.«

Robert seufzte. »Mir versagt er alle, Mutter. Ich wollte, daß mit ihm so gut umzugehen wäre wie mit dir, dann –«

Er stockte. Das, was er hinzufügen wollte, durfte ja niemand wissen, aber er gab seiner Mutter einen herzhaften Kuß und schlich sich dann zu Bett, um heimlich zu weinen. Er wußte selbst nicht[26] weshalb, die Tränen kamen fast von selbst, und das Vergnügen des andern Tages schien ihm nun nicht mehr halb so verlockend wie früher.

Am andern Morgen gingen er und Georg in aller Frühe fort, um erst auf der nächsten Station, dem benachbarten Testorf, den Eisenbahnzug zu besteigen. Da war denn freilich im hellen Sonnenlicht und während der Fahrt nach Altona aller Kummer des vergangenen Abends vergessen. Robert hatte nie eine Reise gemacht, nie in einem Eisenbahnwagen gesessen und überhaupt vom Leben noch nichts gesehen als nur das kleine Pinneberg; er war daher vor Freude ganz außer sich. Seine Fragen nahmen kein Ende, besonders als man sich der Stadt näherte. Er wollte alles sehen, alles wissen.

»Du, Georg, wo ist denn hier die Elbe? Wo sind die Schiffe?« fragte er.

Der Seiler zog ihn so schnell wie möglich in die nächste Straße hinein. »Erst will ich mir einmal Stiefel kaufen«, antwortete er. »Und höre, Junge, du darfst hier nicht so laut sprechen, alle Menschen sehen nach dir.«

Robert stolperte jeden Augenblick über seine eigenen Füße. Er konnte sich an all dem Ungewohnten, Großartigen gar nicht sattsehen. Jeder Wagen, jedes Schaufenster erregte seine Neugier in höchstem Maße.

Als Georg die neuen Stiefel gekauft hatte, ging es hinab zur Hafengegend. Der Seiler spielte immer den Kassenmeister. »Du, es waren im ganzen neun Taler«, sagte er mit einem prüfenden Blick auf Roberts glühendes Gesicht, »kannst du dich dessen erinnern?«

Der Junge schüttelte den Kopf. »Das ist ja gleichgültig, Georg«, antwortete er, »wenn nur genug übrig bleibt, daß wir nicht zu hungern brauchen. Ach – da sehe ich die Elbe!«

Georg nickte. »Wir haben Glück, mein Junge. Gestern ist das Kanonenboot ›Blitz‹ bei Neumühlen vor Anker gegangen – dahin wollen wir zuerst.«

Robert jubelte laut. Er hatte die größte Lust, in den belebten Straßen der Hafengegend einen echt dörflichen Trab anzuschlagen, um nur desto schneller das Wasser zu erreichen. Der Seiler hielt ihn lachend am Arm. »Wir müssen uns erst einen Mann von der Besatzung aufpicken«, sagte er. »So ohne weiteres an Bord kommen, das geht nicht.«

Robert stand vor Schreck plötzlich still. »Aber wenn wir keinen finden, Georg!«[27]

»Ach, dummes Zeug! Wer keinen Dienst hat, nimmt Urlaub und sieht sich die Stadt an«, sagte er. »Habe es ja selbst überall so gemacht.«

Die beiden wanderten weiter, und wirklich sollte sich Georgs Vermutung schon sehr bald bestätigen. Vor der offenen Tür eines Wirtshauses mit dem Schild »Zur Seemannsheimat« saßen zwei Matrosen in Marineuniform mit blanken Knöpfen auf ihren blauen Jacken und in den Nacken geschobenen Mützen, deren flatternde Seidenbänder die goldenen Buchstaben »Königliche Marine« trugen. Die viereckigen, weißumsäumten Kragen gefielen Robert ganz außerordentlich.

»Du«, flüsterte er, »du, – was sind das für welche?«

Der Seiler sah hinüber. »Aha, da wäre ja, was wir suchen«, rief er. »Komm, laß uns Anker werfen; durstig bin ich auch schon.«

Er zog Robert mit sich in die offene Tür des Wirtshauses hinein und bestellte zwei Gläser Bier. Es war dem Jungen wie ein Traum, besonders als ihn der Kellner mit »Herr« anredete. Er in einem Wirtshaus, das schien unerhört.

Die Bekanntschaft mit den beiden Matrosen war bald gemacht, und einer erklärte sich bereit, die beiden Freunde an Bord zu führen.

»Unser Leutnant ist auf Urlaub«, fügte er hinzu, »aber der Obersteuermann erlaubt schon, daß ich euch das Ding zeige. Die feine Welt von Hamburg kommt ja doch später in Schwärmen an Bord, also warum solltet ihr es nicht tun?«

Er schob den Priem von einer Backe in die andere und musterte Robert halb lachend.

»Du bist ja verflucht fein getakelt«, sagte er, »ordentlich in Kneifzange, Schraube und mit Leesegeln auf beiden Seiten!«

Robert errötete wie ein Mädchen. Obwohl er nur ahnen konnte, daß der Matrose mit diesen Kunstausdrücken seinen schwarzen Anzug und das weiße Hemd meinte, fühlte er doch den Spott und antwortete, daß er auch Seemannszeug tragen werde, wenn erst für ihn ein Schiff gefunden sei.

Der Matrose lachte. »Hast's Maul an der rechten Stelle«, sagte er gutmütig. »Na, komm nur mit, ich will dir den ›Blitz‹ zeigen.«

Die drei wanderten also zum Fischmarkt hinab, und hier nahm der Matrose eine Jolle, die bald zwischen Milchewern, Schuten mit Früchten und Gemüse, Kohlenschiffen und Booten aller Art den Weg nach Neumühlen hinaus einschlug. Robert war ganz Auge und Ohr. Sobald einer der vielen Elbdampfer, wie sie diese Gegend[28] ständig passieren, an der Jolle vorüberkam, jubelte er laut vor Vergnügen, sehr zur Freude des Matrosen, der über seine einfältigen Ausrufe nicht genug lachen konnte. Die Jolle tanzte im Wellengang der Dampfschiffe, die Oktobersonne sandte auf all das bunte, bewegte Treiben des Stromes ihre hellsten Strahlen herab, und das Herz des Jungen schlug in grenzenloser Freude.

Hier ein Blankeneser Dampfer, der eine Gesellschaft hinausbeförderte in die freie Luft des Herbsttages. An Bord Gesang und Musik, Grüßen mit Taschentüchern und Hüten – dort einer der großen Hamburg-Amerika-Dampfer, die »Hammonia«.

Ihr entgegen kam aus dem Hafen ein anderes, und – »was ist das? – Zwei Schiffe mit einem langen, starken Tau aneinander gebunden und noch dazu ein kleineres voran. Wie unsinnig! Sollen die so zusammen auf den Atlantik hinausgehen?«

Der Matrose wollte sich ausschütten vor Lachen. »Junge, du bist Geld wert!« rief er. »Wahrhaftig, ich glaube, du hast dein Klößedorf noch niemals verlassen.«

Robert behielt immer die beiden Schiffe im Auge. »Das habe ich auch nicht«, sagte er, »aber einmal muß das erste Mal sein, und anstatt mich auszulachen, könnten Sie mir wohl sagen, was das da bedeutet.«

Der Matrose nickte. »Na, dann paß auf, Landratte«, sagte er. »Der Kleine ist ein sogenannter ›Schlepper‹, der die auslaufenden Überseeschiffe aus dem Hafen herausbugsiert – das kannst du zehnmal an einem Tage sehen. Dort kommt schon wieder ein Schleppzug, und dort der dritte!«

Roberts Blicke flogen von einem zum andern. Wie schwimmende Häuser erschienen ihm diese großen Schiffe, wie bewunderte er die Matrosen, die er in der Takelage herumklettern sah. »Georg«, fragte er halblaut, »hast du auch so – da ganz oben gesessen?«

»Natürlich, Kleiner. Auch Seine Königliche Hoheit Prinz Adalbert von Preußen hat das getan, ehe er Admiral wurde. Praktisch lernen muß jeder.«

Robert seufzte. »Ach, du sagst ›muß‹, Georg, und ich denke es mir als das schönste Vergnügen von der Welt. Sich so oben im Mast schaukeln, alles sehen können und auf seine eigenen Kräfte angewiesen sein, das ist doch ganz etwas anderes, als –«

»Den Ziegenbock reiten«, ergänzte äußerst ernsthaft der Matrose, indem er aus einem Augenwinkel dem Seiler vertraulich[29] zublinzelte. »Du hast doch jedenfalls deinen Anzug selbst genäht, nicht wahr?«

Robert errötete. »Woher wissen Sie – – –«

»Ach, das sieht man an den Füßen«, lachte der Matrose, »sie legen sich immer übereinander, weißt du. Na und warum wolltest du denn von der Nähnadel zur Ruderpinne übergehen, mein Junge? Wird dir nicht bange bei dem Gedanken an die See?«

Robert lächelte verächtlich. »Bange?« wiederholte er. »Was ist das?«

»Schau, wie der junge Hahn kräht! – Na, du scheinst gerade für das Salzwasser geboren zu sein. Und nun sieh einmal dorthin, – das ist der ›Blitz!‹«

Robert folgte der ausgestreckten Hand des Matrosen und konnte dann einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken. »Das da?« rief er. »Aber das ist ja ein ganz kleines, unscheinbares Ding!«

Der Matrose lächelte wohlgefällig. »Unscheinbar!« wiederholte er, »unscheinbar, du Gelbschnabel? Und doch hat sich das ›Ding‹ in den flachen Gewässern bei der Insel Föhr einmal fast hundert Meter weit mit voller Maschinenkraft durch den Sand gewühlt, um im Dänischen Krieg 1864 den Kapitän Hammer zu fangen; es ist so stark gebaut, daß kein Splitter davonfliegt, wenn es in voller Fahrt auf Grund läuft. Hätte es das nicht gekonnt, so würde sich Kapitän Hammer niemals ergeben haben, weil ja schon am folgenden Tage die Waffenruhe begann. Aber unser Kapitänleutnant wußte, was sein Fahrzeug wert war.«

Die Jolle hatte sich mittlerweile dem ankernden Kanonenboot so weit genähert, daß der Matrose das Fallreep ergreifen und dem Führer andeuten konnte, wie er die kleine tanzende Nußschale festmachen solle. Dann stiegen alle drei an Bord.

Robert berührte Georgs Arm. »Du«, flüsterte er, etwas eingeschüchtert durch die letzte Zurechtweisung des Matrosen, »du, zeig mir alles genau und sag mir die Namen.«

Georg nickte. »Du kannst es doch nicht behalten, Kleiner.«

»Dann schreib' ich mir's auf«, beharrte der Junge. »Ein Kriegsschiff sehe ich ja sobald nicht wieder.«

Der Matrose war inzwischen fortgegangen, um die Erlaubnis des wachhabenden Obersteuermanns einzuholen, und als er zurückkam, begann die Wanderung durch das Schiff. Wie sauber waren alle Fußböden gescheuert, wie schön das Holz in Farbe gehalten, Robert konnte es nicht genug bewundern. Nach außen hin glänzten[30] die Wände im tiefsten Schwarz, während nur ein weißer breiter Streif um das ganze Fahrzeug herumlief und die fein gebogene Form der Reeling scharf begrenzte. Die Innenseite, in der Seemannssprache das »Schanzkleid« genannt, war schneeweiß, die Kanonenpforten feuerrot und alles sauber lackiert.

Es gab zwei schwere Geschütze an Bord, und der Matrose erklärte dem lautlos horchenden Jungen, daß sie ein Panzerplatte von zwölf bis fünfzehn Zentimeter durchschlagen könnten.

Robert drängte sich immer näher an seinen freundlichen Lehrmeister heran. »Dürfen Sie mir auch zeigen, wie eine Kanone bedient wird?« fragte er verlegen.

»Natürlich!« lachte der gutmütige Matrose. »Sieh mal, so wird das gemacht.«

Er zog eins der beiden Geschütze unter Aufbietung aller seiner Kräfte zurück, nahm den Wischer – eine Stange mit einer runden Bürste am einen und einem hölzernen Kolben zum Hineinstoßen der Granate am anderen Ende – und fuhr damit in das Rohr hinein, brachte zum Schein die Kartusche an ihren Platz, stieß mit dem Ladestock nach, zog das Geschütz mit den Seitentaljen, wie die Flaschenzüge an beiden Seiten der Lafette genannt werden, wieder nahe an die Pforte heran, richtete, befahl selbst »Feuer« und zog ab.

Robert hatte mit einem fast andächtigen Gefühl zugesehen. »Ich will zur Marine«, sagte er unwillkürlich, »ich will Seemann und Soldat werden, wenn ich auch zuerst auf einem Handelsschiff anfangen muß, – zur Marine will ich doch.«

Der Matrose schlug ihn ermunternd auf die Schulter. »Bleib dabei, mein Junge«, antwortete er. »Der Seemann muß geboren werden; lernen läßt sich die Vorliebe für das Wasser nicht und vergessen auch nicht. Ich halte es keine vier Wochen an Land aus, ohne trübsinnig zu werden.«

Der Matrose sah zu Georg hinüber, der inzwischen mit mehreren anderen Leuten von der Besatzung ein Gespräch angeknüpft hatte. »Du«, sagte er, »ich glaube, es wäre für dich wahrhaftig das beste, wenn du hierbleiben könntest. Das Galgengesicht da will mir durchaus nicht gefallen.«

Robert errötete stark. Der ehrliche Pommer mit seinen blauen, treuherzigen Augen und dem gutmütigen Gesicht sah freilich ganz anders aus, als der schmächtige, blasse Georg, aber dafür lebte der eine auch einen guten Tag, während der andere kaum das trockene[31] Brot besaß. Robert mußte doch den unglücklichen Freund in Schutz nehmen.

»Georg ist ein ehrlicher Mensch«, sagte er, »nur geht es ihm schlecht, und daher sieht er so verkommen aus.«

Der Matrose schüttelte den Kopf. »Hm, hm«, brummte er, »seine Flagge deutet aber auf nichts Gutes, mein Junge, – ist eine wahre Piratenflagge, kann ich dir sagen. Wissen deine Eltern, daß du mit ihm unterwegs bist?«

Robert sah zur Seite. »Die kennen ihn gar nicht«, stammelte er.

»Das dachte ich mir schon. Na, laß dich von ihm in kein unrechtes Fahrwasser steuern, kleiner Kerl, darauf kommt es allein an. Hast ja den Kompaß da drinnen in der Brust, und der weist allemal auf den richtigen Kurs, wenn du nur genau acht gibst. Jetzt geh mit mir, ich werde dir ein wenig von diesen Masten und Segeln erzählen.«

Robert folgte nur zu gern der Aufforderung seines neuen Freundes. Das Gespräch war ihm schon äußerst peinlich geworden, um so mehr, da er recht gut wußte, zu welchem Ungehorsam ihn Georg schon verleitet hatte. Was würde dieser ehrliche, gutmütige Seemann gesagt haben, wenn er ihm die Geschichte von dem Geldkasten des Vaters erzählt hätte! –

Sein Herz klopfte lebhaft, als der Matrose den Unterricht begann. Er hörte nur halb, was man ihm vortrug.

»Siehst du«, erläuterte der Pommer, »das da ist der ›Fock- oder Vormast‹, der mittlere der ›Großmast‹ und der dritte der ›Kreuz- oder Besanmast‹. Alle drei sind gleich getakelt, und alle Einzelteile tragen die Bezeichnung desjenigen Mastes, zu dem sie gehören. Dadurch wird die Sache ungemein erleichtert. Bis zum ersten Absatz, den du da oben siehst und den wir den ›Mars‹ nennen – bei euch Landratten der ›Mastkorb‹ – heißt jeder Mast der ›Untermast‹, dann folgt die ›Marsstenge‹ und darauf die ›Bramstenge‹. Die starken Taue, die auf beiden Seiten der Untermasten herabreichen, sich unten auseinanderspreizen und an den Wänden des Schiffes befestigt sind, heißen ›Wanten‹, diejenigen aber, die von den Masten nach vorn gespannt sind, nennt man ›Stage‹. Die Querstangen, an denen die Segel befestigt werden, heißen ›Raaen‹. Jede Raa hat ihr besonderes Tauwerk; worin sie hängt, nennt man den ›Hanger‹, womit sie an dem betreffenden Mast oder der Stenge gehalten wird, das ›Reck‹, womit sie auf- und herabgezogen wird, das ›Fall‹. Die Taue, durch die sie schräg, ein Ende nach unten, das[32] andere nach oben, geheißt wird, sind die ›Topwanten‹, diejenigen, durch die sie in waagerechter Lage gedreht wird, die ›Brassen‹. Wanten und Stage nennt man das ›stehende‹, die Takelage der Raaen und Segel das ›laufende Gut‹. Das vordere Rundholz am Bug des Schiffes heißt der ›Bugspriet‹ und das darauf liegende der ›Klüverbaum‹. Von diesem gehen nach beiden Seiten die ›Klüverbackstage‹ und nach oben bis zu den Stengen das ›Bram- und Stengenstag‹, woran die dreieckig geformten Klüversegel fahren.«

Es brauste in Roberts Ohren. »Das ist verwirrend«, gestand er.

Der Matrose lachte. »Hast du genug, Kleiner, soll ich aufhören?« fragte er.

»Nein, nein, – es kehrt mir später alles ins Gedächtnis zurück. Nur im Augenblick wollte es mich verwirren! Bitte fahren Sie fort.«

»Na, dann wollen wir das Garn weiter spinnen, mein Junge. Also die unteren, größten Segel heißen ›Untersegel‹, die darauf folgenden ›Marssegel‹ und die noch höheren ›Bramsegel‹, während die letzten hoch oben in der Spitze oder vielmehr an den Stengen die ›Oberbramsegel‹ genannt werden. Die Takelage jedes Mastes erhält nach ihm die Vorbezeichnung ›Groß‹, ›Vor‹ und ›Kreuz‹. – Was nun noch die beiden Seiten des Schiffes betrifft, so heißt diejenige, von der der Wind kommt, die ›Luvseite‹, während die entgegengesetzte die ›Leeseite‹ genannt wird.

An den Marssegeln von oben nach unten befinden sich vier Querabteilungen, jede mit einer Reihe dicht nebeneinander hängender Bindfaden versehen, die ›Reffbendsel‹ heißen und dazu dienen, bei starkem Wind die Marssegel zu verkleinern. Das nennt man ›reffen‹. Zum Aufholen oder Wegnehmen der Segel dienen die ›Geitaue‹, die von den Schooten bis unter die Mitte der Raaen reichen, und die ›Gordings‹.

So, da hätten wir nun alles. Jetzt brummt es im Kopf wie ein Bienenschwarm, nicht wahr? Aber ich will dir sagen, daß du die Geschichte leichter im Gedächtnis behältst, wenn du sie schon einmal gehört hast, und daß dir darum dieser kleine Vorgeschmack später beim wirklichen Lernen zugute kommen wird. Steht dein Entschluß, Seemann zu werden, schon ganz fest?«

Robert seufzte. »Ach, wenn mich der Vater nur fortließe?« kam es zaghaft über seine Lippen. »Aber er tut es nicht.«

Der Matrose schob die Mütze in den Nacken und die Hände in die Taschen. »Das tut er nicht, dein Alter? Warum denn nicht?«

»Weil die Krolls alle Schneider gewesen sind!«[33]

Der Seemann machte ein äußerst bedenkliches Gesicht. »Du«, sagte er, »das ist schlimm. Das ist eine richtige Klippe, an der der beste Segler scheitern kann. Siehst du, mein Vater war ein Seemann und mein Großvater auch, – ich glaube bis zu Adams Zeiten. Fünf Brüder habe ich, aber alle sind Seeleute.«

Der Matrose spuckte mit großer Kraft seinen Priem über Bord. »Aber da sollen doch hunderttausend Teufel dreinschlagen«, rief er, »wenn das nicht zu ändern wäre. Du mußt deinem Alten nur richtig in den Ohren liegen, dann wird er schon klein beigeben, denke ich.«

Robert schüttelte den Kopf. »Ich habe es oft versucht«, antwortete er, »aber nichts ausgerichtet. Was fange ich nur an, um meinen Lieblingswunsch in Erfüllung gehen zu sehen?«

Der Matrose heftete auf den Jungen einen langen, ernsten Blick. »Lauf nicht bei Nacht und Nebel davon, Kleiner«, sagte er, »das bringt kein Glück. Der zähe alte Kerl ist immer dein Vater, mußt du bedenken, aber schlag einmal vor ihm auf den Tisch, daß die Schere aus Angst zusammenklappt und sage: ›Ich will kein solcher Stichelant und Lappenbohrer werden, der den ganzen Tag in der Stube hockt und einen krummen Buckel kriegt von all dem Nähen, ich bin ein Kerl und will hinaus auf die See!‹ – was denkst du, würde er dir wohl antworten?«

Robert sah zur Seite. Er wußte genau, was sein Vater auf ungehörige Reden des Sohnes erwiderte, aber er wollte davon lieber nicht sprechen, sondern schüttelte nur stumm den Kopf.

Der Matrose pfiff durch die Zähne. »Hat am Ende vielleicht noch ein Tauende in Bereitschaft, dieser wütende Schneider«, sagte er. »Na, heule nur nicht; was kommen soll, das kommt doch, und wenn einer keinen Wagen kriegen kann, so nimmt er mit der Speiche fürlieb, wie sie bei mir zu Hause sagen. Du mußt deine drei Lehrjahre herunternähen, und dann gehst du auf und davon. Offen am hellen Mittag nimmst du Abschied, das kann dir der Alte nicht wehren.«

Robert wechselte erschreckt die Farbe. »Noch drei Jahre«, stammelte er.

»Die vergehen auch, mein Junge. Und ich will dir was sagen, du kannst dich schon während dieser Zeit für deinen zukünftigen Beruf ausbilden, wenn es dir wirklich Ernst ist mit dem Seewesen. Komm, ich habe ein Spielzeug für dich!«

»Ein Spielzeug?«[34]

Ungläubig folgte ihm der Junge in das »Logis«, den Schlafraum der Matrosen. Er sah sich vorher noch flüchtig nach Georg um, aber der war in so lebhafter Unterhaltung, daß er ihn gar nicht bemerkte.

Unter Deck setzte sich der Matrose auf eine Seekiste und öffnete dann eine andere mit einem Schlüssel, den er aus der Tasche nahm. »Nun sieh einmal her«, sagte er, »was ist das? Sag mal, Junge, kannst du auch so etwas schnitzen?«

Er hob mit spitzen Fingern aus einem Blechkasten ein ganz kleines Schiffchen hervor, das bei voller Takelage nur etwa zwanzig Zentimeter lang und entsprechend hoch war. »Das habe ich gemacht«, fügte er voll Stolz hinzu.

»Sie? – Aber wie denn? Womit?«

Der Pommer klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers auf den Blechkasten. »Darin ist das Gerät«, sagte er »und auch das Buch, aus dem ich die Geschichte gelernt habe. Willst du es einmal sehen?«

Robert faltete vor lauter Begeisterung die Hände. »O bitte«, sagte er, »sind denn in dem Buch auch Bilder?«

»Natürlich. Na, komm nur her und schau hinein.«

Robert setzte sich zu ihm auf die Kiste, und beide blickten andächtig in das Buch. Zeichnungen aller Schiffsteile gab es da, und je weiter der Matrose blätterte, desto freudiger glänzten Roberts Augen. Zuerst war nur mit einigen Grundstrichen die ungefähre Form des Fahrzeuges angedeutet, hier als Längs-, dort als Querschnitt, oder »Spantenriß«, wie der Pommer sagte, dann weiter bis zum deutlich erkennbaren Kiel, auf dem sich nur allmählich der Rumpf erhob. Immer verwickelter wurde das Ganze, immer mehr Einzelbilder folgten; in alle Lagen, alle Verbindungen und Fugen, des Schiffes konnte man sehen, alles, was dem Jungen unverständlich blieb, erläuterte ihm in seiner derben, aber klaren Redeweise der Seemann. Wie lachte er, wenn Robert eine plötzliche Bemerkung dazwischenwarf. »Nun sieht es aus wie ein Fisch«, rief er einmal, und sein neuer Freund antwortete ernsthaft: »Gewiß tut es das. Von der Gestalt des Fisches hat der Mensch die Bauart der Schiffe entlehnt. Alle Weisheit stammt aus der Natur!«

»Weiter!« drängte Robert, »da sind noch mehr Bilder. Wenn mich Georg rufen sollte, muß ich ja fort.«

Der Pommer sah herausfordernd nach der Gegend der Treppe hinüber. »Wenn Georg kommt, so gebe ich ihm eins hinter die Ohren«, sagte er. »Mag den Nußknacker nicht leiden!«[35]

Und dann ging es wieder an das Buch. Abbildung neunundzwanzig zeigte schon einen bedeutenden Fortschritt. »Nun ist es eine Wiege!« rief Robert. »Aha, und hier sind die Abbildungen ganz fertiger Schiffe: Fregatte, Dreimaster, Brigg, Schoner und Kutter. Welches haben Sie denn nun nachgemacht?«

»›Modelliert‹ heißt das. Sieh her, zu welchem paßt das Ding?«

Robert verglich Schiffchen und Bild, aber nur einen Augenblick. Dann hatte er es herausgefunden. »Eine Fregatte!« rief er, »ein Vollschiff unter allen Segeln!«

»Bravo!« rief der Pommer. »Sieh, das Buch und das Gerät will ich dir schenken. Einen Klotz Ellern-oder Lindenholz wird dir ja leicht jeder Tischler geben, und ein paar Leinwandreste deine Frau Mutter, dann kannst du dir mit Hilfe dieser Anweisungen ein ganzes Schiff von Grund auf selbst herstellen, jeden Namen, jede Einzelheit und jede, auch die geringste Kleinigkeit genau kennenlernen, bevor du Schiffsjunge wirst. Das nennen die Leute ›theoretisch‹ gebildet, und es taugt den Teufel nichts, wenn einer damit auf seiner Bodenkammer sitzen bleibt, ohne die Sache auch praktisch auf dem Wasser zu erproben, aber es kann für die Seemannslaufbahn gut vorbereiten. In New York kannte ich ganze Gruppen junger Leute, die sich ihre kleinen Boote von Grund auf selbst zimmerten und dann Wettfahrten damit veranstalteten. Na – willst du's haben?«

Robert war stumm vor Freude. Er sah nur in das gutmütige Gesicht des Matrosen, und der lachte zufrieden. »Nimm's mit«, sagte er, »und lerne daraus, so gut du kannst. Wenn die Feierabendglocke schlägt, wird dir dein Alter nicht wehren, daß du ein bißchen Schiff baukunst betreibst, denke ich. Gibt es denn in dem verwünschten Dorf, wo du wohnst, gar kein Gewässer für das zukünftige Fahrzeug?«

Jetzt lachte Robert und erzählte seinem Kameraden von den kleinen Reisen im Segelboot und von Georgs früheren Seefahrten. Er gestand auch, daß der Abstecher nach Hamburg heimlich unternommen sei und wartete mit Herzklopfen, was der Matrose dazu sagen werde. Merkwürdigerweise wünschte er lebhaft von ihm nicht getadelt zu werden, – das war so ganz etwas anderes als mit Georg.

Um den breiten Mund des Pommern zuckte ein Lächeln. »Recht ist es nicht«, sagte er, sich hinter den Ohren kratzend, »durchaus[36] nicht, aber einmal ist keinmal, wollen wir denken. Was hast du denn für den Rest des Tages noch vor?«

Robert dachte plötzlich wieder an den Freund, den er so treulos verlassen hatte. »Ja – was Georg meint«, erwiderte er. »Ich bin noch nie hier gewesen.«

»Hm, dann halte dich nur von der Flasche fern, und wenn du Geld bei dir hast, laß dich zu keinem Würfel- oder Kartenspiel verleiten. Geh auch nicht mit in die Hamburger Matrosenschenken, ich rate es dir.«

Robert sah ihn mit seinen hellen Augen fragend an. »Warum denn nicht?« meinte er.

»Weil du noch ein dummer Junge bist, und weil mancher von diesen Wirten ein ganz geriebener Kerl ist, der –«

»Aber das verstehst du nicht«, brach er ab. »Willst du einmal eine Stelle als Schiffsjunge haben, so wendest du dich an den Kapitän selbst, aber nicht an solche Zwischenhändler, die manchmal zwar sehr brave Geschäftsleute sind, manchmal aber auch Spitzbuben, die man kielholen müßte, bis sie das Luftschnappen vergessen. Davon brauchst du deinem liebenswürdigen Kameraden mit den Eulenaugen nichts zu sagen, Junge, aber glaub mir, daß ich es aus Erfahrung weiß.«

Robert steckte seufzend Buch und Kasten in die Tasche. »Ach«, sagte er, »bis dahin ist es weit. Wer kann wissen, ob jemals etwas daraus wird?«

»Aber jetzt muß ich mich beeilen. Georg wird sich wundern, wo ich bleibe.«

Er dankte dem Matrosen noch herzlich für das schöne Geschenk, und dann gingen die beiden wieder hinauf an Deck, wo inzwischen der wachhabende Unteroffizier mehrere Segel hatte »anschlagen«, das heißt an den Raaen befestigen lassen, um sie bei dem schönen Wetter zu lüften. Für Robert war dies Manöver wieder etwas ganz Neues.

Aber dann sah er um sich und entdeckte den Seiler, der schon ungeduldig wartete. Georg winkte ihm, ohne aber näher heranzukommen; es schien, als teile er den Widerwillen des Matrosen, wenigstens wartete er ruhig, bis Robert zu ihm kam. Dem wurde der Abschied von dem freundlichen Pommer schwer genug. Er gab ihm wohl dreimal nacheinander die Hand und dankte immer wieder für das lehrreiche Buch und das zierliche, allerliebste Arbeitsgerät. »Ich will es in Ehren halten«, versprach er, »und tüchtig daraus lernen.«[37]

»Bravo, mein Junge«, antwortete der Matrose. »Wer weiß, wo wir uns noch einmal im Leben begegnen. Vielleicht bin ich dein Bootsmann, wenn du für den Flottendienst eingezogen wirst. Und nun leb wohl! Nimm dich vor deinem Kameraden in acht – ich mag ihn nicht.«

Er winkte verstohlen mit den Augen zu Georg hinüber und entließ mit mehrmaligem herzlichen Händedruck den Jungen, der jetzt neben seinem Begleiter in der Jolle Platz nahm. Der Pommer sah von Bord des »Blitz« den beiden nach. »Davonlaufen wird er doch«, dachte er, »und in eine schwere Schule rennt er blindlings hinein; Junge, dir steht noch manches bevor, aber das wird nun einmal dein Schicksal sein.«

Die beiden im Boot sprachen inzwischen leise miteinander. »Na, was hattest du denn so Geheimnisvolles unter Deck zu suchen?« fragte der Seiler etwas ärgerlich. »Bliebst ja eine halbe Ewigkeit da unten – und was ist denn das hier?«

Robert zeigte ihm Buch und Kasten. Georg besah es mit prüfendem Blick. »Das erlaubt ja dein Alter nie«, sagte er, »du erlebst höchstens, daß er es dir vor der Nase wegnimmt und daß du einmal wieder so recht den kleinen Jungen spielst, das Kind, das Schläge bekommt. Gib den Trödelkram her, ich will ihn für dich verkaufen.«

Aber Robert schüttelte den Kopf. »Laß es mich behalten, Georg«, antwortete er, »der freundliche Matrose würde es sehr undankbar finden, wollte ich sein Geschenk für wenige Groschen verkaufen – meinst du nicht auch?«

»Ach, dummes Zeug, er sieht's ja nicht.«

»Das ist einerlei, Georg, ich – ich müßte doch immer denken, er sähe es. Was soll ich auch mit dem Geld?«

Der Seiler antwortete nicht. Er spürte offenbar den Widerstand des Jungen und gab nach. »Wollen wir uns nun eine Schiffswerft ansehen?« änderte er ohne Übergang das Gespräch.

Robert jubelte laut. »Ja, ja, – ach Georg, was für ein schöner Tag ist das!«

»Weil wir Geld haben!« konnte sich der Seiler nicht enthalten, beziehungsreich zu antworten. »Nach Steinwärder!« rief er dem Jollenführer zu, und schon sehr bald landeten sie an der kleinen angebauten Elbinsel, die mitten im Hafen liegt und einen so großartigen Anblick bietet. Die Schiffe aller Völker, die Gesichter aller Rassen, vom kohlschwarzen Neger durch alle Schattierungen[38] von braun und gelb des Malaien, Mulatten, Chinesen und Mongolen bis zum blonden Engländer oder Schweden – die Flaggen und Wimpel in jeder erdenklichen Farbe, das Rufen und Sprechen in fremder Mundart, der Anblick dieser unübersehbaren Reihen ankernder Schiffe, alles zusammen überwältigte den Jungen, so daß er stumm dasaß. Welche wunderlichen Namen trugen die verschiedenen Schiffe, wie seltsam und geheimnisvoll erschienen die geschnitzten Figuren an ihrem Bug. Hier ein Greis mit Krone und Dreizack und langherabwallendem weißen Bart, dort der Oberkörper einer Frau in einen Fischschweif auslaufend, und hier sogar ein greulicher Götze, dort wieder ein Tierbild – –

Das alles zog an dem Jungen vorüber und hinterließ einen einzigartigen Eindruck. Er war überwältigt von all dem Neuen. Hier begann für ihn das Leben, hier öffnete sich ihm eine Welt, von der er bisher nur geträumt hatte. Das war es, wonach er sich sehnte und was er nicht vergessen konnte, sooft auch die Eltern ihm eindringlich vorstellten, wie schrecklich und gefährlich das Seemannsleben sei.

Er verschlang mit den Augen jeden neuen Gegenstand, und als ihn Georg aufforderte, aus dem Boot zu steigen, da tat er es wie im Traum. Er war wie berauscht.

»Komm«, lächelte der Seiler, »du zeigst ja ganz den Neuling, Junge, das Dorfkind, das noch nie etwas anderes gesehen hat, als seine heimatlichen Gänseweiden. Hier ist die Seemannsschule, und hier die Werft der ›Hamburg-Amerikanischen Dampfschiffahrts-Aktiengesellschaft‹. Weiter hinauf kommt die weltbekannte Firma Godeffroy mit ihrer großen Werft für Handelsschiffe. Aha, da liegt ein neuer Dreimaster, dessen Stapellauf wohl in den nächsten Tagen stattfinden wird. Wir wollen doch versuchen, das Ding zu besehen.«

Die beiden gingen an den verschiedenen offenen Arbeitshallen vorüber, und Robert sah in natürlicher Größe eine Menge solcher halbvollendeter Einzelteile von Schiffen, solcher Modelle und Anfänge, wie sie das Buch des Matrosen zeigte. Besonders ein halbfertiger kleiner Kutter zog ihn lebhaft an. Das Ding sah aus wie ein Gerippe von Holz, und die in seinem Innern arbeitenden Zimmerleute klopften im Takt des lustigen Liedes, das sie bei ihrer Arbeit sangen. Er wäre schon gern hier geblieben, um zu beobachten und zu bewundern, aber Georg hatte mittlerweile den Schiffszimmermann gebeten, das neue Schiff besichtigen zu dürfen, und so kletterten denn beide die Leiter hinauf, um an Bord zu kommen.[39]

Alle Türen, alle Luken waren geöffnet, um die Sonnenstrahlen recht eindringen und den frischen Lack trocknen zu lassen. Das Schiff sollte schon binnen vierzehn Tagen seine erste Reise über den Atlantik antreten.

»Das hier ist die Kapitänskajüte«, erläuterte der Mann, auf einen mäßig großen Raum deutend, dessen Decke sehr niedrig schien, und durch dessen am Fußboden befestigten Tisch der Mast in schräger Stellung mitten hindurchlief. Der war aber hier nicht bloß mit Ölfarbe gestrichen, wie draußen an Deck, sondern mit Mahagoni belegt und als Träger einiger schwebender Blumengestelle eingerichtet. Dazu gab es ein behagliches Sofa und an beiden Seiten des Tisches gepolsterte Bänke, während sämtliche Wände aus beweglichem Fachwerk bestanden und große Schränke hinter ihren Türen verbargen. Den Boden bedeckte ein Strohteppich in bunten Farben, so daß das Ganze sehr wohnlich aussah. Robert hatte sich nicht träumen lassen, welche Behaglichkeit eine solche Schiffskajüte entwickeln könne.

»Das hier ist die Schlafecke«, fuhr der Zimmermann fort, »denn ein Zimmer kann man es wohl kaum noch nennen. Aber an Raum muß eben gespart werden. Nur das Bett, an der Wand befestigt, das der Seemann ›Koje‹ nennt, ein Tisch und ein Bücherschrank, mehr findet sich hier nicht; gegenüber, ganz ähnlich eingerichtet, liegt die Steuermannskajüte, und das Ganze wird mit dieser Tür vollständig abgeschlossen.«

»Willst wohl auch Seemann werden?« lächelte der Zimmermann. »Sieh, Junge, dort ist das ›Logis‹. Wollen es gleich näher ansehen.«

Er führte seine Gäste am großen Mast vorüber nach dem Vorderteil des Schiffes, und hier sah Robert den wenig einladenden Raum, in dem die Matrosen ihre freien Stunden verbringen. Eine enge, schmale Koje, so niedrig, daß der darin sitzende Mann kaum Platz hat, sich ganz auszustrecken, die Schiffskiste als Stuhl und ein Tisch aus Tannenholz, – das ist alles, was der Matrose an Freiheit und Eigentum besitzt, wenn er auf See ist.

Aber Robert fand es schön, er sehnte sich immer mehr nach dem Seemannsleben, je mehr er davon sah. Auf dem Tisch sitzen und nähen, nach genau festgesetzten Stunden, und zum Schlafen das Bett im Winkel der Diele – war denn das nicht noch viel schrecklicher als die halbe Gefangenschaft an Bord eines Schiffes?

Er wäre am liebsten gleich hier geblieben, hätte sich als Kajütenjunge[40] »anmustern« lassen und die erste Reise des neuen Seglers mitgemacht. Sein Herz klopfte ungestüm, als der Zimmermann in eine andere Tür hineindeutete. »Das da ist die Kombüse«, sagte er, »und diese eisernen Hähne, die ihr hier seht, sind die Pumpen. Wollen wir nun auch in den Schiffsraum hinabsteigen?«

Unten angekommen meinte Robert, es sei fast wie in einem Grabe. Er freute sich, als ihm die Sonne wieder ins Gesicht schien. »Aber wenn das alles ganz mit Ladung gefüllt ist«, fragte er, »wie untersucht man dann, ob nicht das Schiff vielleicht ein Leck bekommen hat?«

Georg und der Zimmermann lächelten. »Die Decksluken werden vor der Abreise ›kalfatert‹, ›das heißt wasserdicht verschlossen‹, und während der ganzen Fahrt nicht wieder geöffnet. Erst in dem Hafen, wo die Ladung ›gelöscht‹ wird, kommt ein Mann der Reederei an Bord, und bezeugt dem Kapitän schriftlich den Zustand, in dem sich die Luken befanden. Nur wenn dieser ganz vorschriftsmäßig; ist, trifft den Kapitän für die etwaige Beschädigung der Ladung keinerlei Verantwortung. Den Wasserstand dagegen untersucht man täglich zweimal durch die Pumpen, wobei sich bis auf einige Linien feststellen läßt, wieviel Wasser in das Schiff eingedrungen ist. Man nennt dies Verfahren ›Peilen‹.«

Der Zimmermann sah sinnend vor sich hin. »Es ist schrecklich, wenn so ein Leck in das Schiff kommt«, sagte er, »unheimlich, weil man ihm nicht offen begegnen kann. Ich hab's einmal erlebt, sechs Tagereisen vor Kalkutta. Da stieg das Wasser so schnell, daß alle Arbeit auf Deck liegenblieb, daß nicht mehr gekocht und nicht mehr geschlafen wurde, weil wir nur unablässig pumpen mußten, um das nackte Leben zu retten. Wenn einer von der Mannschaft umfiel wie ein Toter, dann sprang ein anderer an seine Stelle, wortlos, ohne einen Blick auf den Röchelnden, ohne Rücksicht auf die eigenen zerfetzten Hände. Es war gräßlich, – wir brachten das Schiff nach Kalkutta, aber von unseren dreizehn Leuten lebten nur noch vier, die übrigen sind in ihren Kojen oder an Deck vor Erschöpfung gestorben, ohne daß wir uns um sie kümmern konnten. Wenn das Wasser im Schiffsraum steigt und nur zwei Minuten die Arbeit an den Pumpen eingestellt wird, dann ist das so, als stände der Tod hinter einem, und man würde nicht einmal darauf achten, wenn der eigene Bruder ein paar Schritte weit davon im Sterben läge. Nun – gottlob passiert das nicht alle Tage.«[41]

Robert hatte atemlos zugehört. »Waren Sie längere Zeit hindurch Seemann?« fragte er.

Der Zimmermann nickte. »Sechzehn Jahre«, antwortete er. »Da lernt man das Meer kennen.«

Robert hatte noch eine Frage auf dem Herzen, das sah der Mann und ermunterte ihn freundlich, sie aus zusprechen. »Na«, sagte er, »was wolltest du wissen, Junge, ob ich den fliegenden Holländer gesehen habe und den Klabautermann, oder das berühmte Meerweib, das sie hier auf St. Pauli jedem gläubigen Binnenländer für zwei Groschen zeigen, das aber aus Wachs und Kitt zusammengeflickt ist, wie ich dir lieber gleich sagen will.«

Robert schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht«, sagte er schüchtern, »aber ob es wohl im Meer noch unbekannte Tiere gibt, große, fürchterliche, die man in den naturgeschichtlichen Werken gar nicht aufgeführt findet.«

Der alte Zimmermann spielte mit der Hand an einer Leine, die gerade vor ihm in der Luft hing. »Ja, ja«, sagte er, »darauf sollte ich eigentlich gar nicht antworten. Das Erzählen ist leicht, wenn niemand die Geschichte widerlegen kann. Aber dennoch – ich habe so etwas Ähnliches erlebt.«

»Ach«, rief Robert ungestüm, »bitte, erzählen Sie doch.«

Der Zimmermann nickte. »Ich will es tun«, antwortete er, »nur fehlt der Sache eigentlich die Pointe, das heißt die Erklärung, aber wahr ist sie, darauf kann ich einen Eid leisten. Wir waren auf dem Atlantik und trieben bei fast völliger Windstille langsam dahin. Ich hatte gerade die Wache am Ruder, ungefähr um fünf Uhr morgens, da erhielt plötzlich das Schiff einen Stoß, daß ich beinahe gefallen wäre, und daß alles an Bord aus dem Schlaf auffuhr. Zugleich rumorte und tobte es in dem stillen Wasser; weiße Schaumblasen kräuselten sich am Bug, während die Wellen langsam wieder ruhiger wurden. Wir sahen uns mit bangen Gesichtern an, und dann ging es ans Untersuchen. Es wurde alle Stunden gepeilt, aber kein Tropfen Wasser war in das Schiff hineingekommen. Erst als es später zur gründlichen Überholung auf der Werft lag, sah ich, woher der Stoß gekommen war. In dem gekupferten Boden steckte bis zur Länge von fünfzehn Zentimeter ein Horn von der Dicke eines starken Männerarmes. Es war abgebrochen, und vielleicht hatte der rasende Schmerz das unbekannte Tier zu so starken Bewegungen getrieben, daß sich die Wellen ringsum auf bäumten. Jedenfalls muß es ein riesenhaftes Geschöpf gewesen sein, das einen so[42] spürbaren Anprall verursachen und den Boden des Schiffes fünfzehn Zentimeter weit durchbohren konnte. Der Kapitän hat das Horn später überall gezeigt und bei vielen Männern der Wissenschaft angefragt, aber niemand kannte es.«

Robert berührte den Arm des alten Mannes. »Haben Sie es?« fragte er mit leuchtenden Augen. »Ich möchte es so gern sehen.«

Der Zimmermann schüttelte den Kopf. »Es ist in England geblieben«, sagte er bedauernd. »Da ich dir aber diesen Wunsch nicht erfüllen kann, so wollen wir dafür vielleicht einen Gang durch unsere Maschinensäle machen, mein Junge. Ich will dir ein eisernes Schiff zeigen, das ist mehr wert. Den Grund des Meeres werden wir nicht erforschen, so wenig wie den Mittelpunkt der Erde oder den Weltenraum. Aber die Welt, in der wir leben und die uns Brot geben soll, müssen wir möglichst genau kennen lernen, vor allem da, wo wir unseren Lebensberuf ausüben. Kannst ja vielleicht auf hoher See einmal einem solchen Tiefseeungeheuer begegnen, wie damals unser Fahrzeug – wer weiß? Willst du jetzt das eiserne Schiff sehen?«

Robert glaubte, daß ihn der Zimmermann necken wolle. »So dumm bin ich nun aber nicht mehr«, erwiderte er. »Wie könnte denn Eisen schwimmen?«

Der Alte und auch Georg lachten herzlich. »Komm nur mit, wenn du auch recht klug bist, zu lernen findet sich doch noch immer etwas.«

Robert fühlte, daß er errötete. Ob es doch möglich war, daß Eisen schwämme? – Schleunigst folgte er den beiden anderen und kam nun mit ihnen an einen schmalen Arm der Elbe, wo ein eben vollendetes kleines Dampfschiff lag, ein Schraubenschiff und ganz aus Eisen, in blaugrauer Farbe, mit schlanken, schönen Linien. Der Junge sah deutlich die einzelnen Eisenplatten und ihre Vernietungen. Die Säume der oberen Platten griffen über die darunterliegenden, deren Dicke höchstens drei Millimeter betragen mochte.

»Ach«, rief Robert, »also es schwimmt, weil es so dünne Platten hat? Ja natürlich –«

»Das wußtest du nicht!« lachte der Alte. »Na, gib dich gefangen. Es ist nicht das letztemal, daß du deine Unwissenheit eingestehen mußt. Und was die dünnen Platten betrifft, so habe ich schon Schiffe mit zentimeterdicken Platten gesehen, wie zum Beispiel unsere jetzigen Panzerfregatten. Und wie das möglich ist, will ich[43] dir genau auseinandersetzen. Jeder Körper schwimmt überhaupt nur dann im Wasser, wenn sein Gewicht kleiner ist, als das der Wassermenge, die er verdrängt. Ob ich also das hölzerne Schiff mit Eisen belade, oder ein Fahrzeug ganz aus Eisen baue, das muß sich in seinen Folgen vollkommen gleich bleiben.«

Robert hatte aufmerksam zugehört. »Das habe ich verstanden!« rief er. »Wenn man nur ein wenig nachdenkt und sich eine Sache in ihren Einzelheiten vor Augen führt, dann scheint alles einfacher und selbstverständlicher.«

»Siehst du!« nickte lächelnd der Alte. »Das ist das große Geheimnis allen Lernens. Nicht in sich hineinreden lassen muß der Mensch, sondern mit offenen Augen sehen und selbst denken, sonst bleibt das Ganze nur an der Oberfläche und wird nie großen Nutzen stiften können. Jetzt geht mit, wir wollen uns auch das Innere ansehen.«

Sie stiegen, nachdem die Laufbrücke passiert war, eine hübsche gewundene Treppe hinab, und nun sah Robert den Dampfkessel. Ein langes, dickes Rohr ging vom Kessel aus und teilte sich in zwei Arme, von denen jeder in einen gußeisernen Zylinder mündete, dem er den im Kessel erzeugten Dampf zuführte.

Der Zimmermann nahm von einem dieser Zylinder den Deckel herab, so daß der Kolben sichtbar wurde, auf den der Dampf seine unmittelbare Wirkung ausübt, indem er bald von oben, bald von unten in den Zylinder einströmt und so die ständige Bewegung verursacht. Fest verbunden mit diesem Kolben ist eine Kolbenstange, welche die mit einem Gelenk versehene ›Pleuelstange‹ aufnimmt. Diese übersetzt die hin- und hergehende Bewegung des Kolbens in eine drehende, die wiederum durch die ›Kurbeln‹ auf die Schraubenwelle übertragen wird und so die Schiffsschraube in Gang bringt.

Robert begriff das alles weit leichter, als er es für möglich gehalten hätte, und folgte mit großem Interesse jetzt auch seinen Begleitern durch die Maschinensäle. Es war fast vier Uhr nachmittags, als sich die beiden nach einem herzlichen Abschied von dem alten Zimmermann mit der Dampffähre wieder nach Hamburg übersetzen ließen. Robert meinte etwas kleinlaut, daß er sich vor diesen Häusermassen wirklich fürchte. Es bleibe ja für Menschen gar kein Platz mehr.

Georg zog ihn am Arm mit sich fort, den Baumwall entlang bis zu den Vorsetzen. »Ich bin fast ohnmächtig vor Hunger«, sagte er.[44] »Laß uns nur erst einmal das Wirtshaus erreichen, das ich suche. Hier herum muß es sein.«

Er überflog die vielen Wirtschaftsschilder und schien es dann entdeckt zu haben. »Aha, da wäre ja der ›Fliegende Holländer‹!« sagte er. »Komm nur, daß wir jetzt erst etwas essen.«

Er führte den Jungen in eine niedere, unsaubere Gaststube, deren Besitzer hinter dem Schenktisch stand und die Groggläser füllte, die ein kleiner Kellnerjunge unablässig den spielenden und rauchenden Matrosen bringen mußte. Das Zimmer war Kopf an Kopf von Gästen besetzt, und Würfel und Karten gingen aus einer Hand in die andere. Man hörte überlautes Lachen, Flüche und Ausrufe in fremden Sprachen. Spanier, Engländer und Schwarze saßen hier, in verworrenstem Kauderwelsch durcheinander schreiend, neben den Hamburgern, die in breitem Platt mit ihren Kameraden sich unterhielten. Alles sang und lachte, fluchte und lärmte.

Der Wirt war ein untersetzter Mann mit kurzem, dickem Hals und riesenstarken Armen, die in schmutzigen Hemdsärmeln steckten. Auf borstigen, fuchsroten Haaren saß im Nacken eine schmierige Mütze, und die Augen lagen lauernd in blutunterlaufenen tiefen Höhlungen.

»Sieh da, auch mal wieder da?« redete er Georg an. »Wen bringst du mir da, mein Junge? Auch ein Früchtchen von deiner Art oder eine junge, unschuldige Landratte, die Seewasser kosten will? Da, fangt erst mit einem Glas Genever an.« Und damit bot er Georg das Glas mit dem brennenden Getränk an, das Robert mit Widerwillen ausschlug.

Der Seiler winkte dem Wirt verstohlen mit den Augen. »Ein Freund von mir, dem ich Hamburg zeigen will; bei Ihnen wollen wir erst einmal etwas Vernünftiges essen.«

Damit bestellte er bei dem Kellner zwei Portionen Beefsteak mit Kartoffeln und zwei Glas Bier, was auch sehr bald kam, und worüber sich die beiden mit dem ganzen Appetit der Jugend hermachten. Als sie satt waren, drängte Robert zum Fortgehen. Der Matrose vom »Blitz« hatte gewiß recht, wenn er ihn vor dieser Art Schenken eindringlich warnte, denn was er sah, das konnte ihm durchaus nicht gefallen, und vor dem Wirt empfand er geradezu Widerwillen.

»Es ist einer von denen, die ›gekielholt‹ werden müßten«, dachte er.

Georg stand auf und knöpfte die Jacke zu. »Bleib noch einen[45] Augenblick sitzen«, sagte er, »ich möchte mit dem Wirt noch ein paar Worte sprechen. Der Mann ist ein alter Freund von mir.«

Robert machte große Augen. »Der?« sagte er.

»Nun, warum nicht?« fragte mit ungewohnter Schärfe der Seiler. »Ein solcher Wirt kann nicht mit Lackstiefeln herumgehen wie ein großer Herr. Er muß häufig genug die streitenden Gäste selbst auseinanderbringen und dazu dauernd die Gläserspülen. – Peter Volland ist ein kreuzbraver Mann, sage ich dir.«

Und mit diesen Worten ging Georg, um hinter dem überschwemmten Schenktisch den Wirt aufzusuchen. Robert sah, daß sich die beiden wie alte Bekannte begrüßten, und daß die Worte seines Freundes den stämmigen Schenkwirt äußerst angenehm zu berühren schienen. Ein wiederholtes Kopfnicken, eine Handbewegung und der ganze Ausdruck des Gesichtes sagten deutlich, als habe er laut ausgerufen: »Ja! Jawohl, ganz gewiß!«

Dann folgte, halb versteckt hinter einer großen braunen Kanne, eine Fingerbewegung, die des Zählens. Jetzt nickte Georg, und die beiden Vertrauten trennten sich. Der Seiler kam wieder in das Schenkzimmer.

»So«, rief er, »nun laß uns gehen, Kleiner. Jetzt sollst du auf dem Weg zum Altonaer Bahnhof noch die Läden der Schiffshändler kennen lernen. Paß nur auf, es beginnt gleich hier in der Nähe.«

»Was hattest du mit dem Wirt?« fragte Robert. »Ihr beide spracht und tatet so, als hättet ihr einen Handel abgeschlossen.«

Der Seiler lachte etwas gezwungen. »Einen Handel? Dummes Zeug, Junge. Sieh her, hast du schon einmal solche Ankerketten gesehen und solches Ölzeug?« –

Er zog Robert von Schaufenster zu Schaufenster und ließ ihn alles bewundern. Der ganze Weg neben der Hafenmauer führte an Läden und Werkstätten vorüber, die mit der Seefahrt in unmittelbarer Berührung standen. Außer den zahllosen Matrosenschenken und großen Auswandererhäusern gab es da die Niederlagen der Anker- und Kettenschmiede, Tauwerks-, Teer- und Farbenhandlungen, die Werkstätten der Blockdreher und Segelmacher, die Läden mit Schiffsproviant, Auswandererbedarf und Ölzeug, dann die Geschäfte der Makler, Agenten und Ballastlieferanten, und hundert andere mehr.

An der unbebauten, dem Strom zugekehrten Seite der Straße befanden sich viele alte hölzerne, nach holländischer Art gebaute oder eiserne Kräne und Winden, dann führten Treppen in kurzen[46] Zwischenräumen hinunter an das Wasser, und an schweren Ketten lagen die zahlreichen Jollen, die hier zwischen Schiffen und Ufer einen ununterbrochenen Verkehr herstellten. In der Straße selbst wogte es von Hafenarbeitern und Seeleuten aller Rassen, von Ewerführern, Schauerleuten, Jollenführern, Agenten der Schiffshändler und Makler. Hier sprach man alle Sprachen, hier kannte man alle Münzen der Welt. Hart an den Vorsetzen lagen Torf- und Kartoffelewer von der Unterelbe, die einen bedeutenden Teil des Bedarfs an diesen Artikeln in die Stadt bringen. Überall lebte und webte auf jedem Fußbreit der schmalen Straße das geschäftige Treiben einer Hafenstadt, überall regte sich der Handel nach allen Ländern der Welt.

Es war für den Seiler keine leichte Aufgabe, seinen jungen Freund vorwärts zu bringen. Zwanzigmal blieb er stehen, um dies oder das zu bewundern oder eine neugierige Frage zu stellen. Er wollte alles sehen und alles wissen. Nur sehr ungern trennte sich der Junge von der Wasserseite Hamburgs und folgte dem Freund durch St. Pauli wieder zurück nach Altona. »Nun haben wir aber auch alles gesehen!« sagte er zufrieden.

Der Seiler lächelte halb spöttisch. »Und die Museen, mein Junge, und der Zoologische Garten? – Aber ich denke, wir machen noch manche kleine Reise zusammen«, fügte er hinzu. »Wenn die Geschichte nur nicht so teuer wäre.«

»Was hat uns der Tag gekostet?« fragte Robert.

»Hm, wenn wir wieder in Pinneberg angelangt sind, so ist die Tasche leer. Aber du hast ja noch Vorrat in der Sparbüchse.«

Robert antwortete nicht. Er mußte die vielen neuen Eindrücke dieses Tages erst in sich verarbeiten, bevor irgend etwas anderes seine Aufmerksamkeit fesseln konnte. Unterwegs im Wagen legte er die heiße Hand auf Georgs Arm. »Laß uns gleich, wenn der Zug hält, wieder umkehren«, sagte er, »ich kann es doch nicht ertragen – nun erst recht nicht.«

Der Seiler zuckte die Achseln. »Hättest besser zugreifen sollen«, flüsterte er, Daumen und Zeigefinger mit einem bedeutsamen Blick gegeneinander reibend. »Ohne das kann man in der Welt keinen Schritt vorwärtskommen.«

Robert sprach kein Wort mehr, aber er ging, nachdem er auf Umwegen nach Hause geschlichen war, gleich ins Bett, ohne vorher zu essen oder seiner Mutter irgend etwas zu erzählen. Er wollte nur ungestört an das, was er gesehen hatte, denken.[47]

Am folgenden Tag mußte die Arbeit, die der Vater für seinen Sohn und Lehrling zurückgelassen hatte, in aller Eile fertig gemacht werden, aber es fielen diesmal viele Tränen darauf. »Wenn mich so alle diese kräftigen Seeleute sehen könnten«, dachte er, »die Glücklichen, die in Wind und Wetter draußen ihre Arme brauchen dürfen, während ich die Nähnadel halten muß!«

Der Alte fand auch, als er nach seiner Rückkehr jeden Stich musterte, die Arbeit schlecht und sparte daher nicht mit Zurechtweisungen. Zur Strafe beschränkte er die freie Zeit seines Jungen, so daß Robert nur höchst selten mit Georg einmal vertraulich sprechen oder an dem Holzklotz, den er sich heimlich in einen Winkel des Heubodens geschafft hatte, ein paar Minuten meißeln konnte.

Das Buch des Matrosen vom »Blitz« gab über alles genaue Auskunft und war so verständlich geschrieben, daß es gar keine Kunst mehr schien, nach diesen Anweisungen selbst ein kleines Schiff zu bauen. Robert hatte sich in seinem Versteck eine richtige Werkstatt eingerichtet, denn die Mutter verriet ja nichts, und der Vater kam nie dort hinauf. Zwar schüttelte Frau Kroll den Kopf und meinte, das werde noch einmal ein Unglück geben, wenn es der Vater erfahren sollte, aber Robert kehrte sich nicht daran. In seinem Vater sah er ja schon längst den Feind, dessen er sich mit allen Mitteln zu erwehren suchte. Und Georg schürte das Feuer, wo er konnte. Robert lieferte jetzt kein empfangenes Trinkgeld mehr ab, stahl für seinen Freund aus der Speisekammer der Mutter alles Eßbare und hatte auch schon mehrere Male wieder mit Hilfe von Georgs Nachschlüssel den Geldkasten des Vaters bestohlen oder »von seinem Eigentum ein paar Taler verbraucht«, wie es der Seiler nannte. Alles das machte ihm kaum Gewissensbisse. Wenn der Vater gewollt hätte wie er, wenn er kein Tyrann gewesen wäre, so würde es ja nie geschehen sein, aber durch diese Halsstarrigkeit, diese Ungerechtigkeit trug er ja an allem selbst die Schuld.

Schalt er, so hieß es: »Ich will ja doch kein Schneider werden. Habe ich ausgelernt, so gehe ich auf und davon.«

Natürlich zog nach solchen Auftritten der Vater die Zügel nur immer straffer, und das Verhältnis zwischen ihm und seinem Sohn wurde immer schlechter. Robert hatte jetzt, als das Wetter anfing kalt zu werden, den Schiffbau oben in der Ecke des Heubodens soweit vollendet, daß er mehrere Kleinigkeiten einkaufen mußte, um weiterarbeiten zu können, aber es fand sich dazu leider kein Geld, und auch der Seiler erklärte, keins zu haben.[48]

»Nimm es doch, du weißt doch, wo es liegt«, sagte er höhnisch.

Aber Robert schüttelte den Kopf. »Was ich in der Sparbüchse hatte, ist verbraucht«, antwortete er, »und das übrige gehört mir nicht.«

Dabei blieb es. Georg sah zu seinem größten Ärger, daß Robert nicht umzustimmen war, aber er verbarg die Enttäuschung und half über alle entstehenden kleinen Verlegenheiten beim Bau so gut wie möglich hinweg. Man konnte jetzt das zukünftige Schiff schon ganz deutlich erkennen.

Da traf es sich, daß Robert an einem Sonntag ausgeschickt wurde, um in einem ziemlich entfernten Dorf Arbeit abzuliefern, und als er zurückkam, sah er die Mutter bitterlich weinend am Herd sitzen. Nichts Gutes ahnend, fragte er sie nach dem Grund ihrer Tränen.

»Geh fort«, flüsterte ängstlich die alte Frau, »laß dich beim Vater nicht sehen. Er ist furchtbar erzürnt.«

Der Junge wurde rot vor Aufregung. »Hat er mein Schiff gefunden, Mutter?« stammelte er.

Die Alte nickte unter ihrer vorgehaltenen Schürze. »Ja! – Ach ja!«

Robert flog zum Heuboden. Alles fort, das Buch, das Gerät, die Hobelbank, die er sich mit Georgs Hilfe selbst gebaut hatte, und vor allem sein geliebtes halbfertiges Schiffchen, der beste Schatz, den er besaß.

Wo mochte es der Vater gelassen haben?

Dieser Gedanke nahm ihm den Atem. Wenn das Schiff – sein »Blitz« – zerstört wäre!

Er sprang wieder in den Hof hinab und stürmte an der weinenden Mutter vorüber in das Wohnzimmer. Da jetzt alles entdeckt war, konnte ihm ja weder Zögern noch Leugnen helfen.

Der Alte stand kerzengerade mitten in dem kleinen Raum, und neben ihm auf dem Tisch lag ein schlankes, eben erst aus der Haselnußhecke geschnittenes Stöckchen. Roberts ganze Einrichtung mit allem, was dazu gehörte, stand und lag auf dem Fußboden. Der alte Schneidermeister sah aus wie ein Toter.

Seine und seines Sohnes Augen begegneten sich in einem festen, langen Blick. Der Starrsinn und die unbeugsame Art des Vaters fanden ihren Widerhall in dem Jungen, der blaß aber unbeirrt vor dem erzürnten Mann stehen blieb. Minutenlang herrschte drückendes Schweigen, das nur durch die leisen, bittenden Worte der[49] Mutter zuweilen unterbrochen wurde, dann aber streckte der Meister die Hand aus. »Wem gehört das da?« fragte er, auf Roberts Schiff deutend.

»Mir, Vater, und ich will es auch behalten.«

»Still. Von wem hast du das Buch und das Gerät bekommen?«

Robert hatte sich auf diese Frage bereits vorbereitet. Die Lüge flößte ihm ja schon längst keinen Widerwillen mehr ein. »Von Georg«, erwiderte er ruhig.

»Das ist nicht wahr!« brauste der Alte auf. »Solch ein Bettelbube, den der Seiler, nur weil es ihm so schlecht geht, überhaupt in Arbeit behält, der kann nichts verschenken. Antworte, woher du es hast.«

»Von Georg. Und willst du mir nicht glauben, so laß es, darum kümmere ich mich nicht.«

Der Schneider stutzte und ließ die Hand sinken. »Ich glaube, daß du die Wahrheit sprichst«, sagte er nach einer Pause, »denn so dreist lügen könnte mein Sohn nicht. Ich wenigstens habe es, solange ich lebe, nicht gekonnt.«

Robert ertrug mit äußerer Ruhe den Blick, der diese Worte seines Vaters begleitete. In ihm stürmte es, aber der Trotz hielt jede Rührung in Schranken. Er schwieg, ohne sich von der Stelle zu bewegen.

»Wer hat dir die Spielerei erlaubt?« fuhr Meister Kroll fort. »Du wußtest, welches Unrecht du begingst, sonst würdest du aus der Sache kein Geheimnis gemacht haben. Du wolltest deinen Vater betrügen, nicht wahr?«

»Ich wollte dir das Schiff nicht zeigen. Wenn du darin einen Betrug erkennst, so kann ich es nicht ändern.«

Der Alte nickte. »Ich weiß nun genug«, sagte er kalt. »Trag das Ding in die Küche, alles, auch das Buch.«

»Vater!« – –

»Gehorche!« rief rot vor Zorn der Alte. »Willst du deinem Vater den Gehorsam verweigern?«

In diesem Augenblick erschien die Mutter. Ohne ein Wort zu sagen, ergriff sie die verschiedenen Gegenstände und trug sie hinaus auf den Herd. Robert sah ihr zu, unfähig, jetzt einen Entschluß zu fassen. Sollte er das Äußerste tun, um seiner Mutter das geliebte kleine Schiff zu entreißen? – Er konnte es nicht, aber er folgte wie im Traum der alten Frau und sah mit starrem Blick auf den gefährdeten Schatz. Der Vater wollte ihn vernichten, das war sicher.

Und wirklich betrat Meister Kroll die Küche. Er handelte keineswegs[50] im Zorn, sondern wohlüberlegt und mit größter Ruhe; er machte aus der ganzen Sache ein förmliches Strafgericht. Zuerst warf er das Buch in die Flammen, und dann ergriff er das Beil und das Schiffchen.

Robert stieß einen lauten Schrei aus. »Vater, Vater, ich bitte dich«, rief er, außerstande, noch in diesem verhängnisvollen Augenblick zu schweigen, »ich bitte dich, laß mir das Schiff. Es ist meine einzige Freude.«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Gerade darum«, entgegnete er nachdrücklich. »Liebtest du dein Fach, und wärest du ein fleißiger, gehorsamer Lehrjunge, so würde ich dir gern für deine Freistunden eine harmlose Spielerei erlauben. Hier aber handelt es sich um viel Ernsteres, und die Strafe soll so tief treffen, daß du sie nie wieder vergißt.«

Er hob die schwere Axt – es war dem Jungen, als würde er selbst getroffen – und der Schlag fiel dröhnend in den fertigen Rumpf des Schiffchens. Ein klaffender Spalt hatte es der Länge nach getrennt.

Robert wandte sich ab. Seine Fäuste waren geballt, seine Lippen, zuckten und aus den Augen brachen Tränen, aber er beherrschte sich doch – er versuchte keine Gegenwehr.

Die Trümmer des zerstörten Baues flogen ins Feuer, die übrigen Holzstücke in den Winkel, und das Gerät packte der Alte auf den Schrank. »Das war eins«, sagte er, »und nun geh ins Zimmer, Junge. Wir sprechen uns weiter.«

Robert gehorchte schweigend. Mochte der Vater tun oder lassen, was er wollte, das schien jetzt nach dem Verlust des Schiffchens und des Buches ganz gleichgültig, wenigstens glaubte es der Junge, aber er sollte sich täuschen.

Meister Kroll rief auch die Mutter ins Zimmer. »Höre«, wandte er sich an seinen Sohn, »was ich dir zu sagen habe. Nach meiner ursprünglichen Absicht solltest du in drei Jahren zum Gesellen gemacht und vom Lehrling losgesprochen werden, aber das hast du nun nicht mehr verdient. Deine Lehrzeit soll erst um sein, wenn du neunzehn bist, – sie ist auf vier Jahre erhöht worden. So, das sagte ich dir als Meister, und nun kommt der Vater. Zieh die Jacke aus.«

Der Junge hatte wie ein Gerichteter die schrecklichen Worte des Alten über sich ergehen lassen, fast unfähig, den neuen Schlag in seiner ganzen Schwere gleich zu fühlen, – jetzt aber richtete er sich plötzlich auf. Alles Blut schoß ihm ins Gesicht.[51]

»Vater, du willst mich schlagen?« preßte er hervor.

»Das will ich, wie es meine Pflicht ist. Zieh die Jacke aus.«

Robert trat hastig zurück. »Du darfst mich nicht schlagen, Vater«, rief er außer sich, »du darfst es auf keinen Fall, denn ich bin konfirmiert. Tu es nicht, Vater.«

Aber der Alte zog ihn mit einem einzigen Griff zu sich. »Ist es schon so weit gekommen«, rief er, »will der junge Hahn gegen Gott und Menschen krähen, was? – Ich sollte meinen Jungen nicht mehr schlagen dürfen, nur weil er kein ABC-Schütze mehr ist? Wehre dich gegen deinen Vater, du Taugenichts, wenn du den Mut dazu findest.«

Die Schläge fielen schwer und dicht auf den Rücken des Jungen. Robert fühlte etwas wie eine Erstarrung, einen schweren Schmerz, aber er ertrug die Bestrafung, ohne seine Kräfte dem Vater entgegenzusetzen; er wußte, daß jetzt sein Entschluß feststand, daß diese Stunde zwischen ihm und dem Vater das letzte Band zerschnitten hatte.

Er sprach keine Silbe, als der Vater den Stock in die Ecke warf und ihm sagte, daß er nun gehen könne. Er hörte es kaum.

Als aber der Abend kam, schlich er sich hinaus und suchte seinen Freund. Schluchzend vor Gram und Zorn stammelte er in abgebrochenen Lauten die Geschichte dieses Tages. Auch ohne die tiefe Dunkelheit ringsumher wäre er zu erregt gewesen, um Georgs triumphierendes, zufriedenes Lächeln bemerken zu können. »Ich will fort«, schloß er, »jetzt um jeden Preis und lieber heute als morgen. Georg, hilf mir, daß ich ein Schiff bekomme.«

Der Seiler zuckte die Achseln. »Nichts leichter als das«, antwortete er, »nur mußt du Geld beschaffen. Ich besitze gar nichts.«

Robert nickte. »Es ist gut«, sagte er, »ich will es tun. Der Vater sieht mich nie im Leben wieder, also kann er wohl für seinen Sohn das letzte Opfer bringen. Wieviel brauche ich?«

»Hm, je mehr, desto besser. Greif nur tüchtig hinein, denn das Seezeug kostet schweres Geld. Inzwischen werde ich Erkundigungen einziehen, wann ein Schiff ausläuft, das dich brauchen kann.«

Der Junge erschrak. »Bei Peter Volland?« fragte er.

»Ja, bei ihm. Er kennt alle Kapitäne und alle Agenten, außerdem ist er mein bester Freund, der gewiß für dich tun wird, was in seiner Macht steht. Dein Entschluß ist also bestimmt gefaßt?«

»Ganz bestimmt«, erklärte Robert. »Würdest du dir solche Behandlung gefallen lassen, Georg? – Ich glaube kaum.«[52]

Der Seiler lachte spöttisch. »Wirklich nicht«, antwortete er.

»Ich wäre schon längst auf und davongegangen – aber du hattest ja nie dazu den Mut.«

Robert dachte an die erlittene Strafe und ballte noch jetzt die Faust. »Ich habe Mut«, flüsterte er, »besorge du nur ein Schiff, hörst du?«

Der Seiler versprach, noch am gleichen Tag an den Hamburger Baas zu schreiben; und wirklich brachte er auch nach kurzer Zeit einen Brief, in dem Peter Volland schrieb, daß das holländische Schiff »Antje Marie« zur Abfahrt bereit im Hafen liege. »Kapitän van Swieten sucht gerade einen Jungen«, schloß er, »und wenn dein Freund zur rechten Zeit eintrifft, so kann er die Stelle bekommen.«

Robert jubelte laut. »Aber du gehst mit, Georg«, bat er, »du zeigst mir die notwendigsten Wege und hilfst beim Einkaufen, nicht wahr?«

Der Seiler nickte. »Kannst dich darauf verlassen, Junge. Sei nur guten Mutes, jetzt ist dein Glück gemacht, wenn du das Geld erst hast.«

»O – darum sorge dich nicht. Morgen abend ist bei meiner Tante Christine eine Geburtstagsfeier, und dahin gehen meine Eltern. Ich habe also Zeit genug, den Kasten zu öffnen.«

»Nimm ungefähr sechzig Taler«, rief Georg. »Das brauchst du bestimmt.«

Robert nickte und arbeitete dann am folgenden Tag Seite an Seite mit dem Vater, ohne ein Wort zu sprechen. Meister Kroll hatte ihm gesagt, daß er erst wie ein gutes Kind um Verzeihung bitten müsse, und dagegen sträubte sich sein Trotz. »Ich bin mir keiner Schuld bewußt«, dachte er, »warum sollte ich also nachgeben.«

Der Tag schien endlos, aber er ging doch zu Ende, und aufatmend sah Robert die Eltern fortgehen. Der Vater sprach ja nicht mit ihm, nur die Mutter hatte leise gebeten, er möchte nicht fortlaufen, sondern auf alles achtgeben.

Und nun war er allein. Aber noch wachte alles auf der Straße und in der Nachbarschaft, noch konnte er den Raub nicht ausführen, er wagte kaum, daran zu denken. Seine Hand fütterte die Tiere im Hof, gab der Kuh das Heu und den Schweinen ihre wenig appetitliche Brühe aus Küchenabfällen und Schrot. Es war ihm ganz eigenartig zumute. In den wenigen Worten »zum letzten[53] Male« liegt ja immer etwas Herzbeklemmendes, und wenn das Gewissen unruhig vor der Zukunft warnt, so ist es doppelt schwer, der Entscheidung fest entgegen zu sehen. Robert glaubte, daß die Tiere noch niemals so zutraulich gegen ihn gewesen waren, daß er die enge kleine Heimat seiner Eltern noch nie so lieb gehabt hatte wie an diesem Abend. Er streichelte Pikas, den alten zottigen Hund, kraute die Köpfe der Ziegen, Träne auf Träne fiel über sein Gesicht herab.

Er wollte fort, der Entschluß wankte keinen Augenblick; ihn lockte die See und die Ferne, aber dennoch –

Er erschrak, als Georgs Schatten seine Stirn streifte. »Hast du's?« fragte der Seiler.

Robert schüttelte sich wie im Fieberfrost. Er reichte dem Freund das Werkzeug, das er in der Tasche getragen hatte, und wandte den Blick ab. »Du«, sagte er, »mir ist das alles anvertraut, ich soll es vor Spitzbuben behüten, da kann ich unmöglich den Kasten selbst erbrechen. Tu du es für mich.«

Der Seiler horchte auf. Jähe Röte überflog sein blasses Gesicht, seine Augen funkelten. »Ich?« sagte er. »Aber mir gehört ja das Geld nicht.«

»Einerlei. Ich – na, nenne mich ruhig feige, Georg, aber ich habe den Mut nicht. Ich kann kein Geld stehlen. Das frühere war mein Eigentum.«

Der Seiler lachte leise. »Bist ein Kind«, spöttelte er, »bist ein Muttersöhnchen, das sich vor seinem eigenen Schatten fürchtet. Aber gut – ich will hingehen und die sechzig Taler nehmen. Ist vorn an der Straße die Tür verschlossen?«

»Ja. Auch die Läden habe ich vorgelegt.«

»Das war richtig. Paß nur hier gut auf, daß niemand kommt.«

Die schlanke Gestalt schlüpfte ins Haus, und Robert horchte atemlos. Wenn jetzt jemand klopfte, wenn zufällig die Eltern zurückkamen!

Der Angstschweiß drang aus allen seinen Poren. Er stand auf dem Sprung, sich bei dem ersten Laut über den Zaun ins Freie zu retten. Mußte denn nicht jeder sehen können, daß er ein Verbrecher war, daß er den Dieb in das Haus eingelassen hatte? –

Schleichende Schritte kamen über den Hof. Georg sah im Mondschein noch bleicher aus als gewöhnlich. Er war verwirrt, er schien zu zittern.

»Da«, raunte er, aus seiner Mütze die blanken Taler in Roberts[54] Hände schüttend, »da. Es ist doch merkwürdig, und man wird ein Hasenfuß dabei.«

Robert schob das Geld zurück. »Behalte es«, antwortete er. »Du sollst ja für mich einkaufen, ich mag es nicht anrühren.«

»War niemand in der Nähe?« flüsterte Georg.

»Kein Mensch. Also morgen abend um halb sieben Uhr fahren wir nach Altona?«

Der Seiler wog das Geld in der Hand. »Hm«, meinte er, »diesmal müssen wir zu Fuß gehen. Man könnte uns sehen, und die Geschichte wäre verraten. Bist du erst einmal bei Peter Volland, so laß sie dich nur suchen, dann hat es keine Not mehr.«

Robert strich das verworrene Haar aus der Stirn. Er bekämpfte mit Mühe die Bewegung, die ihn durchzitterte. »Du«, sagte er, »das ist so, wie es der Lehrer in der Schule erzählte, weißt du, von dem großen Ferdinand Cortez, der hinter sich die Schiffe verbrannte! Damals habe ich das gar nicht so recht verstanden, aber nun ist mir alles klar geworden. Und ich bin gerade in der gleichen Lage, nur daß ich nicht andere vorwärtstreibe, sondern mich selbst. – Wir gehen also bestimmt um sechs Uhr abends von hier fort?«

»Was mich betrifft, ja!« antwortete Georg.

»Und mich, verlaß dich darauf.«

Der Seiler kroch durch die Hecke, und Robert ging mit zaghaften Schritten in das Schlafzimmer. Mußte es denn nicht an dem Schrank zu sehen sein, daß ihn diebische Hände geöffnet hatten? Mußten nicht alle die stummen Zeugen der schlechten, ehrlosen Tat sich anklagend gegen den Sohn erheben, der seines Vaters Geld gestohlen hatte?

Ein scheuer Blick streifte die Umgebung, selbst nach Fußspuren suchte Roberts böses Gewissen, und geängstigt ging er im Dunkeln zu Bett, aber ohne die Augen schließen zu können. Vielleicht, wenn er einschlief, kam ja der Vater, suchte zufällig in dem eisernen Kasten irgendein Papier und entdeckte alles. Er durfte nicht ruhen, seine eigene Sicherheit gebot ihm zu wachen.

Die Eltern kamen ziemlich spät nach Hause, und Robert fühlte hinter den gesenkten Wimpern einen schwachen Lichtschein, der sein Auge traf. Meister Kroll schützte das Licht mit der Rechten, als er sich über den regungslosen Jungen herabbeugte. Robert hörte einen unterdrückten schmerzlichen Seufzer.

»Mutter«, sagte der Alte, »es ist doch eigentümlich. Nun habe ich seit acht Tagen kein Wort mehr mit dem Jungen gesprochen,[55] aber das rührt ihn nicht. Robert ist verstockt, er fühlt für seine Eltern keine Liebe.«

Der Lichtschein erlosch, und der Junge biß in das Kissen, um nicht laut zu weinen. Oh, wäre er erst weit fort von hier, damit diese schrecklichen Qualen aufhörten. Er hatte sich die Sache so leicht gedacht, so herrlich und beglückend, jetzt dagegen fühlte er es wie eine Zentnerlast auf dem Gewissen.

Was die Mutter antwortete, das hörte er nicht. Halb von wirren Träumen geschreckt, halb unruhig wachend, verbrachte er die Nacht. Jetzt endlich war ja der letzte Morgen angebrochen, und es dauerte nur noch Stunden, bis die Erlösung schlug. Er zog seinen besten Anzug an, steckte Kleinigkeiten, die ihm besonders lieb waren, in die Tasche und nahm ein Buch, scheinbar um zu lesen, in Wirklichkeit aber, um gedankenlos über die Blätter hinweg ins Leere zu sehen. Wenn ihn doch der Vater nur einmal angeredet, nur eine, wenn auch noch so geringfügige Bemerkung gemacht hätte, dann war es eine Art von Abschied, eine halbe Versöhnung, aber es geschah nichts. Stunde um Stunde verstrich; es schlug eins, zwei, man trank Kaffee, und der Alte las die Zeitung wie gewöhnlich, die Mutter saß im Sonntagsstaat strickend am Fenster, und die Uhr hinter dem Ofen tickte eintönig. Drei – vier – fünf – jetzt mußte der Entschluß gefaßt werden.

»Darf ich ein bißchen fortgehen?« fragte halblaut der Junge.

Meister Kroll blickte auf. »Du fragst, als hättest du während der Woche deine Pflicht getan und dich wie ein gutes Kind betragen«, antwortete er langsam und nachdrücklich. »Glaubst du wirklich, ein Vergnügen verdient zu haben?«

Robert schwieg. Er fühlte den alten Trotz mit neuer Gewalt erwachen. Warum mußte der Vater jeden Augenblick benutzen, um Moral zu predigen, warum konnte es in seiner Gegenwart keine Freude, keine Freiheit geben? Es drückte wie ein Alp, das ernste, grübelnde Wesen des Alten, der von den Wünschen und den Neigungen eines Jungen nichts mehr zu wissen schien, ja, der das alles vielleicht nie im Leben gekannt hatte.

Ein Pause verging, dann erhob sich Meister Kroll vom Stuhl. »Deine Tante Christine erkundigte sich gestern, warum wir dich nicht mitgebracht hätten«, sagte er, »doch als ich ihr die Gründe auseinandersetzte, stimmte sie mir vollkommen bei. Sie schickt dir aber, damit du an ihrem Geburtstag nicht vergessen seist,[56] diesen Taler, den ich in deine Sparbüchse stecken werde. Natürlich gehst du hin und bedankst dich.«

Er suchte in der Tasche den Schlüssel zum Schrank und schloß auf. Jetzt zeigte sich der eiserne Kasten.

Robert stand wie gelähmt. Es brauste in seinen Ohren, seine Hände sanken schlaff herab, und alles Blut war aus seinen Wangen gewichen. Jetzt stand die Entdeckung unmittelbar bevor, jetzt sah der Vater die leere Sparbüchse und vielleicht sogar auch den Raub, der an seinem Geld begangen worden war – –

Noch eine Minute, dann hatte er den Kasten geöffnet – –

Roberts Knie zitterten. Er war halb bewußtlos.

Da wandte sich der Alte um. »Es ist einerlei«, sagte er, den Schrank wieder schließend, »ich habe meinen Schlüssel in dem andern Rock stecken lassen. Der Taler gehört dir, du weißt es jetzt. Und nun geh meinetwegen, aber um zehn Uhr bist du zu Hause, das laß dir gesagt sein.«

Er vertiefte sich wieder in die Zeitung und bemerkte daher nicht, daß Robert wie ein Betrunkener aus dem Zimmer wankte. Alles drehte sich vor seinen Augen, wohin er blickte, sah er den offenen Geldkasten, wie gepeitscht entfloh er dem elterlichen Hause.

Die Gefahr war ihm so nahe gewesen, so furchtbar nahe, daß er sich fast betäubt fühlte. Also das sollte der Abschied sein? –

Aber daran durfte er jetzt nicht denken. Nur fort, fort. Der Boden brannte ihm unter den Füßen.

Er ging dem Seiler entgegen und traf ihn gerade, als er mit einem ziemlich großen Bündel unter dem Arm aus dem Haus trat. In der Hand hielt er einen derben Knotenstock.

»Aha«, sagte Georg gutgelaunt, »da bist du ja. Weshalb läufst du denn bis hierher an das Ende von Krähwinkel? Wir müssen ja auf diese Weise an eurem Hause wieder vorüber.«

Robert trieb zur Eile. »Das macht nichts«, antwortete er. »Aber weshalb siehst du so reisefertig aus? Was soll das schwere Bündel?«

»Darum kümmere dich nicht, mein Junge. Es sind nur ein paar überflüssige Kleidungsstücke darin, die ich in Hamburg verkaufen will.«

Er trat an Roberts Seite, und die beiden durchschritten nun schweigend den stillen Ort. Auf dem entgegengesetzten Bürgersteig gehend, sah Robert jetzt zum letztenmal sein Elternhaus. Durch die herzförmig ausgeschnittenen Fensterläden schimmerte[57] das Licht, und Pikas saß vor der Tür. Schweifwedelnd näherte er sich in Sprüngen seinem jungen Herrn.

Der Junge beugte sich herab, um die Liebkosungen des einstigen Spielkameraden und Kindheitsgefährten zurückzugeben. Es wurde ihm weich, so seltsam weich ums Herz. Wollte ihn Pikas warnen? Wollte er ihm erzählen von dem alten Vater, der drinnen im Zimmer den Kopf in die Hand legte und seufzend fragte: »Mutter, wie kann ein Kind so verhärtet sein?« – Die Stirn des Jungen und die Schnauze des Hundes berührten sich. »Leb wohl, Pikas«, flüsterte Robert, »leb wohl, altes Tier!« –

Aber noch hielt er den Hund fest, noch tönte ihm sein leises Winseln wie das Weinen einer Menschenstimme ins Ohr. Er konnte sich von dem Lichtschimmer hinter den Fensterläden nicht losreißen, konnte die Tränen nicht zurückhalten, die über sein Gesicht herabliefen.

Da zupfte ihn Georg am Ärmel. »Du, soll der Alte herauskommen und dir eine neue Tracht Schläge geben?« fragte er.

Robert fuhr auf. Ein ungeduldiger Ruck der Hand wischte die Tränen aus den Augen. Er streckte den Arm befehlend gegen das Haus. »Geh fort, Pikas!« sagte er, seine Stimme zur Festigkeit zwingend, »geh fort!«

Der Hund senkte den Kopf und trabte mit langsamen Schritten über die Straße. Vor dem Hause stand er still und sah bittend zurück.

Robert riß sich gewaltsam los. Ein halblautes »kusch!« befahl dem treuen Freund sich zu legen, und dann wanderten die beiden jungen Leute in das Dunkel des Novemberabends hinein. Noch einige wenige Häuser, noch hier und da ein Gruß, und hinter ihnen lag der kleine friedliche Heimatort. Der Wind fuhr über die Stoppeln und rauschte in den laublosen Zweigen der uralten Eichen am Wege; graue Wolkenschatten huschten wie Gespenster über den Himmel.

»Es ist kalt«, raunte Georg, »knöpf deinen Mantel zu.«

Aber die Worte klangen, als hätten ihm die Zähne im Munde geklappert.


Es war nach Mitternacht, und in Peter Vollands Schenke drängten sich Kopf an Kopf die Gäste. Der Sonntag wird ja so gern bis in den Morgen hinein ausgedehnt, und so ging es auch hier,[58] obwohl sich die Folgen des Trinkens bei mehreren allzu deutlich zeigten. Diejenigen Matrosen, die auf den Bänken in festem Schlaf lagen, waren noch am wenigsten lästig, dagegen tobten manche, durch das Übermaß des Alkohols in streitlustige Laune versetzt, wie die Wilden im Raum herum. Das Schreien, Singen und Fluchen in allen Mundarten war betäubend.

Besonders ein Spanier, den die andern »Gallego« nannten, trieb es im Trinken und Lärmen am schlimmsten. Er war ein mittelgroßer magerer Bursche von etwa fünfundzwanzig Jahren, mit kohlschwarzem, lang herunterhängendem Haar, schwarzen tückischen Augen und einem wachsgelben Gesicht. Sobald sich seine Matrosenjacke zufällig öffnete, sah man in der Brusttasche den Griff eines kleinen Dolches.

Er und ein Malaie, dem auch schon zu viel Rum über die Lippen geflossen war, standen sich wie Kampfhähne gegenüber, während ein Teil der Gäste bemüht war, den Streit zu schlichten, und wieder andere fortwährend hetzten.

Peter Volland schien das alles nicht zu sehen und nicht zu hören. Bis die blanken Klingen in der Luft funkelten, pflegte er sich in nichts zu mischen, dann aber begann seine Tätigkeit, die meist im Hinauswerfen beider Parteien bestand. So weit war es aber jetzt noch nicht gekommen, und Peter wartete ruhig seine Zeit ab.

Gallego saß gegen die Wand zurückgelehnt und sang mit herausforderndem Ton ein spanisches Trinklied, während der Malaie leise vor sich hinmurmelte. An demselben Tisch spielten mehrere andere das beliebte »Sechsundsechzig«.

Peter Volland sprach eben in der Ecke des Zimmers mit zwei Neuangekommenen, es waren Robert und Georg. Er hatte sie sehr herzlich begrüßt und dann unaufgefordert eine Flasche Wein herbeigebracht. Seine breite, nicht eben übermäßig sauber gehaltene Hand strich dem Jungen über das Haar. »Also du willst zur See gehen, mein Kleiner?« sagte er, »das ist brav von dir. Kein Beruf ist freier und männlicher als der des Seemanns. Na, trink nur erst einmal und iß tüchtig, dann werde ich euch beiden eine Koje anweisen, und morgen kannst du bei Kapitän van Swieten anmustern.«

Robert sah in das Gesicht des Wirtes. Er fühlte wieder denselben Abscheu wie damals. »Haben Sie schon mit ihm gesprochen?« fragte er zaghaft.

»Freilich, mein Junge. Die ›Antje Marie‹ geht nach Kuba unter[59] Segel, und nur der Posten des Kajütenjungen ist noch unbesetzt. Du sollst ihn haben, und zwar auf meine Fürsprache hin. Ich sage dir, ein besserer Kapitän als Gerret van Swieten hat noch nie die Decksplanken eines Schiffes betreten. Er ist eine Seele von einem Mann.«

»Liegt die Galliot hier in der Nähe?« fragte Georg.

»Hinten beim Grasbrook«, war die Antwort.

Dann ließ der Wirt seine beiden jungen Gäste mit der Flasche und dem reichlich aufgetragenen Essen allein. Die Matrosen am anderen Tisch schienen sich für den Augenblick beruhigt zu haben, und Robert gewann Zeit, ein wenig Umschau zu halten. Wie war das alles so ganz anders als in der Heimat! Pfützen von Bier, Branntwein und allen möglichen sonstigen Getränken bedeckten Schenktisch und Fußboden, die Decke war fast verräuchert, und Vorhänge fehlten ganz. Zu diesen unangenehmen Eigenschaften kam noch der Geruch von Speisen und Getränken, der Dunst der nassen, vom Regen durchweichten Jacken und der Qualm zahlloser Zigarren, kurz, es war eine höchst ungemütliche, für den Neuling geradezu abstoßende Atmosphäre. Robert wandte sich an Georg.

»Du, laß uns schlafen!« flüsterte er. »Es gefällt mir hier sehr schlecht.«

Der Seiler zuckte die Achseln. »Daran mußt du dich von jetzt an gewöhnen«, sagte er.

»Aber die Matrosen sind doch nicht immer betrunken, Georg? Sieh dir den Spanier an, wie er die Augen rollt und die Fäuste ballt.«

Georg lachte. »Laß ihn doch, Junge. Das gibt gleich eine regelrechte Keilerei – aha, da geht es schon los.«

Und wirklich funkelte Gallegos Messer über den Köpfen der anderen. Wenigstens ein Dutzend Matrosen waren von ihren Stühlen aufgesprungen, die Jacke des Malaien flog unter den Tisch, und seine muskulösen Arme streckten sich. Er knirschte eine Herausforderung, deren Wortlaut niemand verstand, die aber ihrem Sinn nach nicht zweifelhaft war.

Ein stummes, wütendes Ringen begann. Der Spanier war zu betrunken, um das kurze Dolchmesser gebrauchen zu können; es schwebte, von der Faust des Malaien gehalten, fast immer in der Luft, während Gallego, blutüberströmt, sich unter den Stößen und Schlägen des anderen auf dem Fußboden wälzte. Seine Augen, haßerfüllt, wie im Wahnwitz glänzend, hingen an jeder Bewegung[60] des überlegenen Gegners. Nur eine Sekunde, eine einzige unachtsame Wendung, und der Dolch würde seinen Weg in das Herz des Malaien nicht verfehlen, davon waren alle überzeugt.

Sie standen in lautlosem Schweigen um das kämpfende Paar. Niemand rührte eine Hand, um sie zu trennen.

Da ertönte durch die Stille ein lautes Klopfen. »Hallo!« rief es von draußen, »aufmachen!«

»Die Polizei!« raunte Peter Volland mit kreidebleichen Lippen. »Schnell, Gallego – und auch ihr beide, schnell!«

Die letzte Aufforderung galt Robert und Georg. Der Wirt sah zu dem Seiler hinüber, und der zog im Fluge den Jungen durch eine Hintertür des Schankzimmers in einen dunklen Raum hinein. »Es ist zu deiner Sicherheit«, flüsterte er. »Sei ganz still!«

Robert gehorchte, obgleich ihn der wilde Auftritt heftig erschreckt hatte. Er sah noch das Dolchmesser des Spaniers sich erheben und hörte dann ein dumpfes Röcheln. Ehe er sich über irgendeine Einzelheit deutliche Rechenschaft geben konnte, schleppten zehn kräftige Arme den widerstandslosen Gallego in die dunkle Küche hinein, die Tür wurde verschlossen und dann dem immer lauter werdenden Klopfen Folge geleistet.

Robert und Georg beobachteten durch die Spalten eines verschobenen Vorhanges alles, was sich in der Schenke abspielte. Neben ihnen, auf dem Fußboden, lag der Spanier, schwer atmend und leise murmelnd, aber regungslos.

Robert sah alles nur mit halbem Bewußtsein, wie man die Gestalten eines Traumes an sich vorüberziehen sieht.

In seinem Blut schwimmend lag vorn der Malaie, bei dem zwei Polizisten standen und der trotz des langen und tiefen Stiches durch den Oberarm fortwährend Flüche hervorsprudelte. Peter Volland erklärte, daß er von dem ganzen Streit nichts wisse, sondern im Keller beschäftigt gewesen sei und das Klopfen erst nach der Tat gehört habe.

Die beiden Polizisten schienen zu wissen, daß keiner dieser Matrosen die Kameraden verraten werde; sie begnügten sich damit, den Verwundeten in ihre Mitte zu nehmen und ihn zur nächsten Wache zu bringen, freilich nicht ohne vorher die Namen der Anwesenden notiert zu haben. Als sich die Tür hinter ihnen und dem knirschenden Malaien schloß, atmete Peter Volland erleichtert auf. Er ging zu dem Spanier, mit dem er lange und eindringlich flüsterte. Die Folge war, daß sich der Messerheld aus einer Hintertür hinausführen[61] ließ, nachdem ihm vorher Hände und Kleider gereinigt worden waren und er auch seine Waffe wieder eingesteckt hatte. Der Wirt klopfte zurückkehrend auf Roberts Schulter.

»Hast dich erschrocken, Kleiner?« fragte er. »Das kommt manchmal vor, man kann beim besten Willen die Hitzköpfe nicht zur Ruhe bringen, ehe Blut geflossen ist. Na, dort stehen eure Betten – geht schlafen, Kinder.«

Die Schenkstube war schon während dieser Unterhaltung leer geworden, jetzt wurde das Licht ausgedreht und alles war dunkel. Robert klammerte sich an den Arm des Seilers. »Verlaß mich nicht!« bat er.

»Dummes Zeug«, erwiderte Georg. »Du wirst bald selbst in die Lage kommen, dich einmal gehörig schlagen zu müssen! Aber sei jetzt ruhig und laß uns ausschlafen. Wir haben morgen noch viel zu laufen.«

Robert schwieg. Es schien ihm, als sei Georg ein anderer geworden. Unfreundlich und kurz angebunden, ließ er nur wenig mit sich sprechen. – Der Junge suchte schweigend das Bett und schlief trotz der ungeheuren Aufregung bald ein. Während der vorherigen Nacht hatte er ja kein Auge geschlossen, so daß er der Müdigkeit nicht widerstehen konnte.

Es schlug acht Uhr, als er am folgenden Morgen erwachte. Nachdem er munter geworden war, ging sein erster Blick zu Georg hinüber, aber er traute kaum seinen Augen, kaum unterdrückte er einen lauten Schrei, – das Bett war unberührt, und von Georg keine Spur zu sehen.

Einen Augenblick fühlte er eine plötzliche Lähmung. Was nun? War es möglich, daß ihn der Seiler ohne Geld oder Schutz heimlich verlassen hatte? – Er sprang auf und zog sich so schnell wie möglich an; dann lief er in die Schenkstube, wo eine alte Frau den Fußboden scheuerte, während Peter Volland auf zwei Stühlen lag und die Zeitung las.

»Guten Morgen«, stammelte Robert, noch ganz erschreckt. »Bitte, sagen Sie mir, wo Georg ist.«

Der Wirt blickte auf. Ein halb spöttisches, halb gutmütiges Lächeln umspielte seine Lippen. »Georg?« wiederholte er, »Georg? – Ach, der Wolfram! Nun, der wird eben ausgegangen sein, mein Kleiner, ich weiß es nicht. Margaret, gib dem Jungen ein Frühstück!« wandte er sich an die schmutzige Frau.

Robert hob angstvoll die Hand. »Aber ich habe kein Geld!«[62] rief er. »Georg hatte alles bei sich und – der ist fort. Er hat nicht hier geschlafen?«

Peter Volland zuckte die Achseln. »Meine Gäste sind keine Gefangenen«, antwortete er, »sie können kommen und gehen, wie es ihnen Spaß macht. Um das Geld kümmere dich nicht, Junge, sondern iß und trink. Wolfram wird schon zurückkommen.«

Diese Zuversicht belebte seinen Mut. Er aß mit dem Appetit seiner sechzehn Jahre, was ihm die alte Margarete vorsetzte, Kaffee, Brot und Eier, nur als ihn Peter Volland fragte, ob er auch einen kleinen »Magenwärmer« wünsche, schüttelte er errötend den Kopf.

Der Wirt lachte. »Sollst es schon kennenlernen«, sagte er. »Die Seeluft zehrt – sogar bis hier in die Elbe hinein. Margaret, gib die Geneverflasche.«

Er nahm sie und trank ohne ein Glas in langen Zügen. »So«, sagte er, »das hält Leib und Seele zusammen. Und nun, mein Junge, wenn du satt bist – iß übrigens, solange du Hunger hast! – dann wollen wir deine Ausrüstung besorgen. Die ›Antje Marie‹ sticht um drei Uhr nachmittags in See, und daher müssen wir uns beeilen.«

»Um drei?« – Robert wurde blaß wie der Tod. »Ich bin verloren«, rief er, »ich – –«

Der Wirt schien durchaus nicht erstaunt. »Nun?« lächelte er, »nun? Was haben wir denn, Kleiner? – Immer ruhig Blut, das ist die Hauptsache.«

»Oh«, schluchzte der Junge, »Sie wissen es doch, ich habe kein Geld! Georg hat alles.«

Der Wirt erhob sich schwerfällig aus seiner liegenden Stellung. »Dieser Wolfram«, sagte er in neckendem Ton, »dieser Teufelskerl. Ich will ihm den Kopf waschen, wenn er hier wieder vor Anker geht. Na, heule nur nicht, Kleiner. Ich habe noch so manches Stück Matrosengarderobe, das mir als Pfand zurückgelassen worden ist, dahinein wollen wir dich stecken. Komm einmal mit.«

Er ging voran, und Robert folgte ihm in ein halb dunkles, auf einen engen, wüsten Hof hinausgehendes Zimmer, wo alle möglichen Gegenstände übereinander geschichtet und gestapelt herumlagen. Seemannsjacken, Mützen, Lackhüte, Stiefel, Seekisten, Tauwerk und Tabakrollen, alles türmte sich bunt und regellos bis zur Decke.

Peter Volland stemmte beide Hände in die Seiten. »Nun such,[63] Junge«, sagte er, »irgend etwas wird dir wohl passen, und wenn's ein bißchen zu groß ist, so mußt du eben hineinwachsen. Auch eine Kiste kannst du dir nehmen und Wollzeug, überhaupt was nötig ist, um erst einmal den Bauernjungen abzustreifen. Pack dir alles gleich zusammen, damit wir es in die Jolle schaffen, und dann komm wieder zu mir. Deinen schwarzen Anzug kannst du mir in Verwahrung geben.«

Mit diesen Worten ging er, und Robert stand allein ziemlich ratlos vor all dem Gerümpel, das ihn umgab. Draußen auf dem Hof ein großer Haufe von Scherben, Bierfässern, Flaschen, alten Körben und Packkisten – hier drinnen das wenig einladende Durcheinander von Garderobestücken, in denen Motten und Schimmel hausten, das war seine augenblickliche Umgebung. Aber zögern durfte er nicht, das wußte er. Es war ihm, als werde er verfolgt und könne in jedem Augenblick entdeckt werden.

Das passende Leinen- und Wollzeug war baldge funden, ebenso ein Paar Stiefel, aber die Matrosenjacken waren alle viel zu groß. »Was hilft's«, dachte Robert und suchte sich die kleinste heraus, »ich muß hier ein Stück wegnehmen und die Ärmel kürzen. Dann geht es.«

Er ließ sich heimlich von der mürrischen Margarete eine Nähnadel und etwas Zwirn geben, dann setzte er sich in der Nähe des Fensters auf eine umgekehrte Kiste und nähte drauf los. In der ersten Viertelstunde dachte er nur an die Freude, jetzt schon so bald am Ziel seiner Wünsche zu sein, dann aber kam langsam ein sonderbares Gefühl über ihn. War es nicht eigenartig – ja, mehr als eigenartig – daß er am Anfang der neuen Laufbahn gerade das tun mußte, was er so sehr haßte, nämlich schneidern?

Unwillkürlich ließ er die Hände sinken. Wenn in diesem Augenblick der alte Vater das Zimmer betreten hätte, er würde sich ihm, von innerem Drang getrieben, zu Füßen geworfen haben – –

Aber es war nur Peter Vollands rotes Gesicht, das sich über ihn beugte. »Was Teufel, da sitzt ja der künftige Nelson und näht wie ein echter, gerechter Meister Fips!« lachte er. »Junge, was ist das?«

Robert wandte sich verlegen ab. »Oh«, stammelte er, »die Jacke war ein bißchen groß – aber nun geht es schon. Man muß sich nur zu helfen wissen.«

Der Wirt lachte noch immer. »Und alles schon gepackt«, sagte er, »das ist recht. Wenn du die Jacke fertig hast, wollen wir unsere Reise antreten.«[64]

Robert blickte auf. »Ist Georg gekommen?« fragte er.

»Hab' ihn nicht gesehen! Aber wir brauchen ihn auch nicht. Was willst du an Bord mit Geld? Wenn dich Kapitän van Swieten leiden mag, hast du in Kuba Geld und Freiheit soviel du brauchst. Mußt ihm nur recht zur Hand gehen, das ist die Hauptsache.«

Robert versprach, seine Pflichten so pünktlich wie möglich zu erfüllen, und dann fragte er, welche Ladung die »Antje Marie« nach der Havanna zu bringen habe?

Peter Volland lächelte schlau. »Welche Ladung?« wiederholte er. »Hm, hm – Mehl und Pökelfleisch, auch eine Partie Bielefelder Leinen, mein Junge. Außerdem nimmt der Kapitän in dem spanischen Hafen Ferrol noch feine Weine hinzu. Die ›Antje Marie‹ hat eine Menge von verschiebbaren Planken, einen Kohlenraum mit doppeltem Boden und Kajütenschränke, wo niemand welche vermutet. Darum braucht auch der alte van Swieten nur zuverlässige Leute, weißt du!«

Er blinzelte vertraulich zu Robert hinüber, der ihn aber durchaus nicht verstand, und beendete die Unterhaltung, indem er nochmals zur Eile antrieb. Wirklich hatte der Junge schon gegen zwei Uhr nachmittags seine Arbeit fertig, die Jacke saß wie angegossen. Der schwarze Anzug wanderte in den Kleiderschrank des Wirtes. Robert seufzte, als er sein Eigentum hingab. Was würden Vater und Mutter gesagt haben, wenn sie das gewußt hätten? – Der alte Meister Kroll war nie im Leben jemand etwas schuldig gewesen, hatte nirgends ein Stück seines Besitzes aus Not verkauft – wie schrecklich würde es ihn getroffen haben, von dem einzigen Sohn dergleichen zu hören!

Aber das war wieder die Geschichte des Ferdinand Cortez, seines Lieblingshelden. Er hatte auch die Schiffe hinter sich verbrannt. –

Die Seekiste wurde in die Jolle gesetzt, Peter Volland ließ sich schwerfällig auf eines der Mittelbretter gleiten, und Robert sprang nach. »Zur Antje Marie!« sagte der Wirt, und dann fuhr Robert wieder denselben Weg, den er am Tage seines ersten Besuches schon einmal gefahren war – nur nicht so leicht war heute sein Herz wie damals. Es klopfte schneller und schneller, je näher man an die holländische Galliot herankam.

»Dort liegt das Schiff«, sagte endlich der Wirt, »und ein Schlepper ist schon da. Man scheint nur auf uns gewartet zu haben.«

Die Jolle glitt unter dem Bug der Galliot dahin, von Bord[65] streckte sich ein grauer Kopf den Ankommenden entgegen. »Endlich!« sagte in breitem Deutsch eine Männerstimme. »Noch zehn Minuten, Volland, und ich hätte das Fallreep einziehen lassen.«

Er winkte einem Matrosen, der die Seekiste an Bord befördern half, die Jolle wurde befestigt und beide stiegen an Deck. »Guten Tag, van Swieten«, sagte der Wirt, »da bringe ich den neuen Jungen. Gefällt er ihnen?«

Der Holländer musterte mit langem Blick die hübsche Erscheinung des Jungen. »Bist ein Hamburger Kind, mein Junge?« fragte er.

»Nein, Herr Kapitän«, antwortete Robert, »ich bin vom Lande, aber –«

Der Holländer hob die Hand. »Weiß schon«, schmunzelte er, »weiß schon. Ich frage nach nichts, was mich und mein Schiff nichts angeht. Kann keinen feinen Herrn an Bord gebrauchen, und auch keinen Duckmäuser und Haarspalter, der erst allen Dingen auf den Grund sehen will. Meine Männer müssen fixe Seeleute sein und aufs Wort gehorchen, willst du das?«

»Ja, Herr Kapitän.«

»Den ›Herrn‹ kannst du weglassen. Aber ich denke wohl, daß ich dich nehme, obgleich die Binnenländer auf See verflucht selten ihren Mann stehen, besonders die Preußen. Hoffentlich bist du keiner?«

»Doch, Herr Kapitän, ich bin aus Holstein.«

»Dann taugst du nichts. Die Preußen taugen alle nichts.«

Robert sah empor. »Oh, das ist zuviel gesagt«, rief er mutig. »Auch König Wilhelm ist ein Preuße, und doch der beste Mann auf der Welt.«

Jetzt lachte der Holländer. »Art steckt drin, Volland«, schmunzelte er. »Ich behalte den jungen Schlingel, und damit basta.«

Der Wirt schüttelte die Hand seines Freundes, als habe er damit für Robert den Pakt endgültig abgeschlossen. »Jetzt bist du Kajütenjunge auf der ›Antje Marie‹, wandte er sich an den Jungen, und ich hoffe, daß du meiner Empfehlung Ehre machen wirst. Wenn du wieder nach Hamburg kommst, besuchst du mich.«

Er verabschiedete sich dann von dem Holländer und wollte das Schiff verlassen, da zog ihn Robert am Arm. »Bekomme ich nicht ein Anmusterungsbuch?« fragte er, »und muß nicht mein Name –«

Peter Volland blinzelte ihm zu. »Hast du Papiere, junger Schlingel?« brummte er. »Soll dich die Polizei in Glückstadt abfangen und wieder nach Pinneberg zurückbringen, he?«[66]

Robert erbleichte. Er selbst hatte sich rechtlos gemacht.

»Anker lichten!« kommandierte Kapitän van Swieten, und gleichzeitig ertönte auf dem Schleppdampfer ein gellender Pfiff.

Der Wirt grüßte noch von der Jolle herauf, das Fallreep wurde eingeholt, die Ankerketten rasselten, und das Schiff begann sich leise zu bewegen – – –


Zur selben Stunde saß in Pinneberg der alte Schneider im Lehnstuhl und starrte wie geistesabwesend vor sich hin. Er hörte nicht, daß ihn die schluchzende Frau zu trösten suchte. Sein Gesicht, seine Hände waren eiskalt.

»Vater«, bat sie ihn plötzlich, »Vater, sprich ein gutes Wort. Unser Sohn –«

Da sah er sie an. »Wir haben keinen Sohn, Mutter«, kam es tonlos über seine Lippen. »Ein Dieb kann nie mein Sohn sein. Schau her! –«

Er öffnete den Kasten und ließ die entsetzte Frau hineinblicken. »Es ist alles fort«, sagte er dumpf, »unser Geld, meine Uhr, deine paar Schmucksachen, Mutter, deine Brautgeschenke, du unglückliche Frau, und unser Kind, unser eigenes – hat es gestohlen!«

Laut aufschluchzend verbarg der alte Mann das Gesicht in beiden Händen.

Quelle:
Sophie Wörishöffer: Robert der Schiffsjunge. Bielefeld; Berlin; Darmstadt 18[1952], S. 5-67.
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