Zweite Szene


[721] Der Wanderer ist dicht an die Höhle getreten und lehnt sich dann mit dem Rücken an sie, das Gesicht der Szene zugewandt.


WANDRER.

Dort seh ich Siegfried nahn. –


Er verbleibt in seiner Stellung an der Höhle. Siegfrieds Waldvogel flattert dem Vordergrunde zu. Plötzlich hält der Vogel in seiner Richtung ein, flattert ängstlich hin und her und verschwindet hastig dem Hintergrunde zu.


SIEGFRIED tritt auf und hält an.

Mein Vöglein schwebte mir fort.

Mit flatterndem Flug

und süßem Sang

wies es mich wonnig des Wegs:

nun schwand es fern mir davon! –

Am besten find ich mir

selbst nun den Berg:[721]

wohin mein Führer mich wies,

dahin wandr ich jetzt fort –


Er schreitet nach hinten.


WANDRER immer in seiner Stellung verbleibend.

Wohin, Knabe,

heißt dich dein Weg?

SIEGFRIED hält an und wendet sich um.

Da redet's ja?

Wohl rät das mir den Weg. –


Er tritt dem Wandrer näher.


Einen Felsen such ich,

von Feuer ist der umwabert:

dort schläft ein Weib,

das ich wecken will.

WANDRER.

Wer sagt es dir,

den Fels zu suchen?

Wer nach der Frau dich zu sehnen?

SIEGFRIED.

Mich wies ein singend Waldvöglein,

das gab mir gute Kunde.

WANDRER.

Ein Vöglein schwatzt wohl manches,

kein Mensch doch kann's verstehn:

wie mochtest du Sinn

dem Sang entnehmen?

SIEGFRIED.

Das wirkte das Blut

eines wilden Wurms,

der mir vor Neidhöhl erblaßte:

kaum netzt es zündend die Zunge mir,

da verstand ich der Vöglein Gestimm.

WANDRER.

Erschlugst den Riesen du,

wer reizte dich,

den starken Wurm zu bestehn?

SIEGFRIED.

Mich führte Mime,

ein falscher Zwerg;

das Fürchten wollt er mich lehren:

zum Schwertstreich aber,

der ihn erstach,

reizte der Wurm mich selbst:

seinen Rachen riß er mir auf.

WANDRER.

Wer schuf das Schwert

so scharf und hart,

daß der stärkste Feind ihm fiel?

SIEGFRIED.

Das schweißt ich mir selbst,

da's der Schmied nicht konnte:

schwertlos noch wär ich wohl sonst.[722]

WANDRER.

Doch, wer schuf

die starken Stücken,

daraus das Schwert du dir geschweißt?

SIEGFRIED.

Was weiß ich davon?

Ich weiß allein,

daß die Stücken mir nichts nützten,

schuf ich das Schwert mir nicht neu.

WANDRER bricht in ein freudig gemütliches Lachen aus.

Das mein ich wohl auch!


Er betrachtet Siegfried wohlgefällig.


SIEGFRIED verwundert.

Was lachst du mich aus?

Alter Frager!

Hör einmal auf,

laß mich nicht länger hier schwatzen.

Kannst du den Weg

mir weisen, so rede:

vermagst du's nicht,

so halte dein Maul!

WANDRER.

Geduld, du Knabe!

Dünk ich dich alt,

so sollst du Achtung mir bieten.

SIEGFRIED.

Das wär nicht übel!

So lang ich lebe,

stand mir ein Alter

stets im Wege,

den hab ich nun fort gefegt.

Stemmst du dort länger

steif dich mir entgegen,

sieh dich vor, sag ich,


Mit der entsprechenden Gebärde.


daß du wie Mime nicht fährst!


Er tritt noch näher an den Wanderer hinan.


Wie siehst du denn aus?

Was hast du gar

für 'nen großen Hut?

Warum hängt er dir so ins Gesicht?

WANDRER immer ohne seine Stellung zu verlassen.

Das ist so Wandrers Weise,

wenn dem Wind entgegen er geht.

SIEGFRIED immer näher ihn betrachtend.

Doch darunter fehlt

dir ein Auge?

Das schlug dir Einer

gewiß schon aus,[723]

dem du zu trotzig

den Weg vertratst?

Mach dich jetzt fort,

sonst könntest du leicht

das andre auch noch verlieren.

WANDRER sehr ruhig.

Ich seh, mein Sohn,

wo du nichts weißt,

da weißt du dir leicht zu helfen. –

Mit dem Auge,

das als andres mir fehlt,

erblickst du selber das eine,

das mir zum Sehen verblieb.

SIEGFRIED der sinnend zugehört hat, bricht jetzt unwillkürlich in ein helles Lachen aus.

Hahahaha!

Zum Lachen bist du mir lustig. –

doch hör, nun schwatz ich nicht länger:

geschwind zeig mir den Weg, –

deines Weges ziehe dann du;

zu nichts andrem

acht ich dich nütz:

drum sprich, sonst spreng ich dich fort!

WANDRER weich.

Kenntest du mich,

kühner Sproß, –

den Schimpf spartest du mir.

Dir so vertraut,

trifft mich schmerzlich dein Dräuen.

Liebt ich von je

deine lichte Art,

Grauen auch zeugt ihr

mein zürnender Grimm.

Dem ich so hold bin,

Allzuhehrer!

Heut nicht wecke mir Neid:

er vernichtete dich und mich!

SIEGFRIED.

Bleibst du mir stumm,

störrischer Wicht?

Weich von der Stelle,

denn dorthin – ich weiß –

führt es zur schlafenden Frau:

so wies es mein Vöglein,

das hier erst flüchtig entfloh.


Es wird schnell wieder ganz finster.


WANDRER in Zorn ausbrechend und in gebieterischer Stellung.[724]

Es floh dir zu seinem Heil!

Den Herrn der Raben

erriet es hier:

weh ihm, holen sie's ein! –

Den Weg, den es zeigte,

sollst du nicht ziehn!

SIEGFRIED tritt mit Verwunderung in trotziger Stellung zurück.

Hoho! Du Verbieter!

Wer bist du denn,

daß du mir wehren willst?

WANDRER.

Fürchte des Felsens Hüter!

Verschlossen hält

meine Macht die schlafende Maid:

wer sie erweckte,

wer sie gewänne,

machtlos macht er mich ewig.

Ein Feuermeer

umflutet die Frau:

glühende Lohe

umleckt den Fels:

wer die Braut begehrt,

dem brennt entgegen die Brunst. –


Er winkt mit dem Speer nach der Felsenhöhe.


Blick nach der Höh!

Erlugst du das Licht?

Es wächst der Schein,

es schwillt die Glut;

sengende Wolken,

wabernde Lohe

wälzen sich brennend

und prasselnd herab:

ein Lichtmeer

umleuchtet dein Haupt;


Mit wachsender Helle zeigt sich von der Höhe des Felsens her ein wabernder Feuerschein.


bald frißt und zehrt dich

zündendes Feuer.

Zurück denn, rasendes Kind!

SIEGFRIED.

Zurück, du Prahler, mit dir!

Dort, wo die Brünste brennen,

zu Brünnhilde muß ich dahin!


Er schreitet weiter. Der Wanderer stellt sich ihm entgegen.
[725]

WANDRER.

Fürchtest das Feuer du nicht,

so sperre mein Speer dir den Weg! –

Noch hält meine Hand

der Herrschaft Haft:

das Schwert, das du schwingst,

zerschlug einst dieser Schaft:

noch einmal denn

zerspring es am ew'gen Speer!


Er streckt den Speer vor.


SIEGFRIED das Schwert ziehend.

Meines Vaters Feind,

find ich dich hier?

Herrlich zur Rache

geriet mir das!

Schwing deinen Speer:

in Stücken spalt ihn mein Schwert!


Er haut dem Wanderer mit einem Schlage den Speer in zwei Stücken: ein Blitzstrahl fährt daraus nach der Felsenhöhe zu, wo von nun an der bisher mattere Schein in immer helleren Feuerflammen zu lodern beginnt. Starker Donner, der schnell sich abschwächt, begleitet den Schlag. Die Speerstücken rollen zu des Wanderers Füßen. Er rafft sie ruhig auf.


WANDRER.

Zieh hin! Ich kann dich nicht halten! –


Er verschwindet plötzlich in völliger Finsternis.


SIEGFRIED.

Mit zerfocht'ner Waffe

floh mir der Feige?


Die wachsende Helle der immer tiefer sich senkenden Feuerwolken trifft Siegfrieds Blick.


Ha! Wonnige Glut!

Leuchtender Glanz!

Strahlend nun offen

steht mir die Straße.

Im Feuer mich baden!

Im Feuer zu finden die Braut!

Hoho! Hahei!

Jetzt lock ich ein liebes Gesell!


Siegfried setzt sein Horn an und stürzt sich in das wogende Feuer, welches sich, von der Höhe herabdringend, nun auch über den Vordergrund ausbreitet. Siegfried, den man bald nicht mehr erblickt, scheint sich nach der Höhe zu entfernen. Hellstes Leuchten der Flammen. Danach beginnt die Glut zu erbleichen und löst sich allmählich in ein immer feineres, wie durch die Morgenröte beleuchtetes Gewölk auf.[726] Das immer zarter gewordene Gewölk hat sich in einen feinen Nebelschleier von rosiger Färbung aufgelöst und zerteilt sich nun in der Weise, daß der Duft sich gänzlich nach oben verzieht und dort endlich nur noch den heitren blauen Tageshimmel erblicken läßt, während am Saume der nun sichtbar werdenden Felsenhöhe (ganz die gleiche Szene wie im 3. Akte der »Walküre«) ein morgenrötlicher Nebelschleier haften bleibt, welcher zugleich an die in der Tiefe noch lodernde Zauberlohe erinnert. – Die Anordnung der Szene ist durchaus dieselbe wie am Schlusse der »Walküre«: im Vordergrunde, unter der breitästigen Tanne, liegt Brünnhilde in vollständiger glänzender Panzerrüstung, mit dem

Helm auf dem Haupte, den langen Schild über sich gedeckt, in tiefem Schlafe.


SIEGFRIED gelangt von außen her auf den felsigen Saum der Höhe und zeigt sich dort zuerst nur mit dem Oberleib: so blickt er lange staunend um sich.

Selige Öde

auf wonniger Höh!


Er steigt vollends ganz herauf und betrachtet, auf einem Felsensteine des hinteren Abhanges stehend, mit Verwunderung die Szene. Er blickt zur Seite in den Tann und schreitet etwas vor.


Was ruht dort schlummernd

im schattigen Tann?

Ein Roß ist's,

rastend in tiefem Schlaf. –


Langsam näher kommend, hält er verwundert an, als er noch aus einiger Entfernung Brünnhildes Gestalt wahrnimmt.


Was strahlt mir dort entgegen?

Welch glänzendes Stahlgeschmeid?

Blendet mir noch

die Lohe den Blick?

Helle Waffen? –

Heb ich sie auf? –


Er hebt den Schild ab und erblickt Brünnhildes Gestalt, während ihr Gesicht jedoch zum großen Teil vom Helm verdeckt ist.


Ha! – in Waffen ein Mann? –

Wie mahnt mich wonnig sein Bild! –[727]

Das hehre Haupt

drückt wohl der Helm? –

Leichter würd ihm,

löst ich den Schmuck?


Vorsichtig löst er den Helm und hebt ihn der Schlafenden ab: langes lockiges Haar bricht hervor. Siegfried erschrickt.


Ach! wie schön!


Er bleibt im Anblick versunken.


Schimmernde Wolken

säumen in Wellen

den hellen Himmels-See,

leuchtender Sonne

lachendes Bild

strahlt durch das Wogengewölk.


Er neigt sich tiefer zu der Schlafenden hinab.


Von schwellendem Atem

schwingt sich die Brust: –

brech ich die engende Brünne?


Er versucht die Brünne zu lösen.


Komm, mein Schwert

Schneide das Eisen!


Siegfried zieht sein Schwert, durchschneidet mit zarter Vorsicht die Panzerringe zu beiden Seiten der Rüstung und hebt dann die Brünne und die Schienen ab, so daß nun Brünnhilde in einem weichen weiblichen Gewande vor ihm liegt. Er fährt erschreckt und staunend auf.


Das ist kein Mann! –


Er starrt in höchster Aufgeregtheit auf die Schlafende hin.


Brennender Zauber

zückt mir ins Herz;

feurige Angst

faßt meine Augen:

mir schwankt und schwindelt der Sinn.


Er gerät in höchste Beklemmung.


Wen ruf ich zum Heil,

daß er mir helfe?

Mutter! Mutter!

Gedenke mein!


Er sinkt, wie ohnmächtig, an Brünnhildes Busen. – Langes Schweigen. – Er fährt seufzend auf.


Wie weck ich die Maid,

daß sie ihr Auge mir öffne? –

Das Auge mir öffnen?[728]

Blende mich auch noch der Blick?

Wagt es mein Trotz?

Ertrüg ich das Licht?

Mir schwebt und schwankt,

und schwirrt es umher!

Sehrendes Sehnen

zehrt meine Sinne;

am zagenden Herzen

zittert die Hand! –

Wie ist mir Feigem?

Ist dies das Fürchten?

O Mutter! Mutter!

Dein mutiges Kind!

Im Schlafe liegt eine Frau, –

die hat ihn das Fürchten gelehrt.

Wie end ich die Furcht?

Wie faß ich Mut? –

Daß ich selbst erwache,

muß die Maid ich erwecken. –


Indem er sich der Schlafenden von neuem nähert, wird er wieder von zarteren Empfindungen an ihren

Anblick gefesselt. Er neigt sich tiefer hinab.


Süß erbebt mir

ihr blühender Mund. –

Wie mild erzitternd

mich Zagen er reizt!

Ach! dieses Atems

wonnig warmes Gedüft!


Wie in Verzweiflung.


Erwache! Erwache!

Heiliges Weib!


Er starrt auf sie hin.


Sie hört mich nicht. –


Gedehnt, mit gepreßtem, drängendem Ausdruck.


So saug ich mir Leben

aus süßesten Lippen, –

sollt ich auch sterbend vergehn!


Er sinkt, wie ersterbend, auf die Schlafende und heftet, mit geschlossenen Augen, seine Lippen auf ihren Mund. – Brünnhilde schlägt die Augen auf. – Siegfried fährt auf und bleibt vor ihr stehen. Brünnhilde richtet sich langsam zum Sitzen auf. Sie begrüßt mit feierlichen Gebärden der erhobenen Arme[729] ihre Rückkehr zur Wahrnehmung der Erde

und des Himmels


BRÜNNHILDE.

Heil dir, Sonne!

Heil dir, Licht!

Heil dir, leuchtender Tag! –

Lang war mein Schlaf;

ich bin erwacht:

wer ist der Held,

der mich erweckt?

SIEGFRIED von ihrem Blick und ihrer Stimme feierlich ergriffen, steht wie festgebannt.

Durch das Feuer drang ich,

das den Fels umbrann:

ich erbrach dir den festen Helm:

Siegfried bin ich,

der dich erweckt.

BRÜNNHILDE hoch aufgerichtet sitzend.

Heil euch, Götter!

Heil dir, Welt!

Heil dir, prangende Erde!

Zu End ist nun mein Schlaf;

erwacht, seh ich:

Siegfried ist es,

der mich erweckt.

SIEGFRIED in erhabenste Entzückung ausbrechend.

O Heil der Mutter,

die mich gebar!

Heil der Erde,

die mich genährt!

Daß ich das Aug' erschaut,

das jetzt mir Seligem lacht!

BRÜNNHILDE.

O Heil der Mutter,

die dich gebar!

Heil der Erde,

die dich genährt!

Nur dein Blick durfte mich schaun,

erwachen durft ich nur dir!


Beide bleiben voll strahlenden Entzückens in ihren gegenseitigen Anblick verloren.


O Siegfried! Siegfried!

Seliger Held,

du Wecker des Lebens,

siegendes Licht![730]

O wüßtest du, Lust der Welt,

wie ich dich je geliebt!

Du warst mein Sinnen,

mein Sorgen du,

Dich Zarten nährt ich,

noch eh du gezeugt,

noch eh du geboren,

barg dich mein Schild.

So lang lieb ich dich, Siegfried!

SIEGFRIED leise und schüchtern.

So starb nicht meine Mutter?

Schlief die minnige nur?

BRÜNNHILDE lächelt, freundlich die Hand nach ihm ausstreckend.

Du wonniges Kind!

Deine Mutter kehrt dir nicht wieder.

Du selbst bin ich,

wenn du mich Selige liebst.

Was du nicht weißt,

weiß ich für dich;

doch – wissend bin ich

nur, weil ich dich liebe!

O Siegfried! Siegfried!

Siegendes Licht!

Dich liebt ich immer,

denn mir allein

erdünkte Wotans Gedanke:

der Gedanke, den ich nie

nennen durfte,

den ich nicht dachte,

sondern nur fühlte;

für den ich focht,

kämpfte und stritt,

für den ich trotzte

dem, der ihn dachte;

für den ich büßte,

Strafe mich band,

weil ich nicht ihn dachte,

und nur empfand, –

denn, – der Gedanke –

dürftest du's lösen! –

mir war er nur Liebe zu dir!

SIEGFRIED.

Wie Wunder tönt,

was wonnig du singst, –

doch dunkel dünkt mich der Sinn.[731]

Deines Auges Leuchten

seh ich licht;

deines Atems Wehen

fühl ich warm,

deiner Stimme Singen

hör ich süß: –

doch was du singend mir sagst,

staunend versteh ich's nicht.

Nicht kann ich das Ferne

sinnig erfassen,

wenn alle Sinne

dich nur sehen und fühlen! –

Mit banger Furcht

fesselst du mich:

du Einz'ge hast

ihre Angst mich gelehrt;

den du gebunden

in mächtigen Banden,

birg meinen Mut mir nicht mehr!


Er verweilt, in großer Aufregung den sehnsuchtsvollen Blick auf sie heftend.


BRÜNNHILDE wendet sanft das Haupt zur Seite und richtet ihren Blick nach dem Tann.

Dort seh ich Grane,

mein selig Roß:

wie weidet er munter,

der mit mir schlief!

Mit mir hat ihn Siegfried erweckt.

SIEGFRIED in der vorigen Stellung verbleibend.

Auf wonnigem Munde

weidet mein Auge;

in brünstigem Durst

doch brennen die Lippen,

daß der Augen Weide sie labe! –

BRÜNNHILDE deutet ihm mit der Hand nach ihren Waffen, die sie gewahrt.

Dort seh ich den Schild,

der Helden schirmte.

Dort seh ich den Helm,

der das Haupt mir barg:

er schirmt, er birgt mich nicht mehr. –

SIEGFRIED feurig.

Eine selige Maid

versehrte mein Herz;[732]

Wunden dem Haupte

schlug mir ein Weib:

ich kam ohne Schild und Helm!

BRÜNNHILDE mit gesteigerter Wehmut.

Ich sehe der Brünne

prangenden Stahl:

ein scharfes Schwert

schnitt sie entzwei,

von dem maidlichen Leibe

löst es die Wehr!

Ich bin ohne Schutz und Schirm,

ohne Trutz ein trauriges Weib!

SIEGFRIED feurig.

Durch brennendes Feuer

fuhr ich zu dir,

nicht Brünne noch Panzer

barg meinen Leib:

nun brach die Lohe

mir in die Brust;

es braust mein Blut

in blühender Brunst;

ein zehrendes Feuer

ist mir entzündet:

die Glut, die Brünnhilds

Felsen umbrann,

die brennt mir nun in der Brust!

O Weib! Jetzt lösche den Brand!

Schweige die schäumende Wut!


Er hat sie heftig umfaßt. Brünnhilde springt auf, wehrt ihm mit höchster Kraft der Angst und entflieht nach der anderen Seite.


BRÜNNHILDE.

Kein Gott nahte mir je!

Der Jungfrau neigten

scheu sich die Helden:

heilig schied sie aus Walhall. –

Wehe! Wehe!

Wehe der Schmach,

der schmählichen Not!

Verwundet hat mich,

der mich erweckt!

Er erbrach mir Brünne und Helm:

Brünnhilde bin ich nicht mehr.

SIEGFRIED.

Noch bist du mir

die träumende Maid;[733]

Brünnhildes Schlaf

brach ich noch nicht. –

Erwache, sei mir ein Weib!

BRÜNNHILDE in Betäubung.

Mir schwirren die Sinne, –

mein Wissen schweigt:

soll mir die Weisheit schwinden?

SIEGFRIED.

Sangst du mir nicht,

dein Wissen sei

das Leuchten der Liebe zu mir?

BRÜNNHILDE vor sich hinstarrend.

Trauriges Dunkel

trübt mir den Blick.

Mein Auge dämmert,

mein Licht verlischt:

Nacht wird's um mich.

Aus Nebel und Grau'n

windet sich wütend

ein Angstgewirr:

Schrecken schreitet,

und bäumt sich empor! –


Sie birgt heftig die Augen mit den Händen.


SIEGFRIED indem er ihr sanft die Hände von den Augen löst.

Nacht umfängt

gebund'ne Augen.

Mit den Fesseln schwindet

das finstre Grau'n.

Tauch aus dem Dunkel und sieh:

sonnenhell leuchtet der Tag!

BRÜNNHILDE in höchster Ergriffenheit.

Sonnenhell

leuchtet der Tag meiner Schmach! –

O Siegfried! Siegfried!

Sieh meine Angst!


Ihre Miene verrät, daß ihr ein anmutiges Bild vor die Seele tritt, von welchem ab sie den Blick mit Sanftmut wieder auf Siegfried richtet.


Ewig war ich,

ewig bin ich,

ewig in süß

sehnender Wonne,

doch ewig zu deinem Heil.

O Siegfried, Herrlicher!

Hort der Welt!

Leben der Erde,

lachender Held![734]

Laß, ach laß,

lasse von mir!

Nahe mir nicht

mit der wütenden Nähe,

zwinge mich nicht

mit dem brechenden Zwang,

zertrümm're die Traute dir nicht! –

Sahst du dein Bild

im klaren Bach?

Hat es dich Frohen erfreut?

Rührtest zur Woge

das Wasser du auf,

zerflösse die klare

Fläche des Bachs, –

dein Bild sähst du nicht mehr,

nur der Welle schwankend Gewog! –

So berühre mich nicht,

trübe mich nicht! –

Ewig licht,

lachst du selig dann

aus mir dir entgegen,

froh und heiter, ein Held.

O Siegfried!

Leuchtender Sproß!

Liebe dich,

und lasse von mir:

vernichte dein Eigen nicht!

SIEGFRIED.

Dich lieb ich:

o liebtest mich du!

Nicht hab ich mehr mich:

Oh! hätte ich dich!

Ein herrlich Gewässer

wogt vor mir:

mit allen Sinnen

seh ich nur sie,

die wonnig wogende Welle.

Brach sie mein Bild,

so brenn ich nun selbst,

sengende Glut

in der Flut zu kühlen:

ich selbst, wie ich bin,

spring in den Bach:

oh, daß seine Wogen[735]

mich selig verschlängen,

mein Sehnen schwänd in der Flut!

Erwache, Brünnhilde,

wache, du Maid!

Lache und lebe,

süßeste Lust!

Sei mein! Sei mein! Sei mein!

BRÜNNHILDE sehr innig.

Oh, Siegfried! Dein

war ich von je!

SIEGFRIED feurig.

Warst du's von je,

so sei es jetzt!

BRÜNNHILDE.

Dein werd ich

ewig sein!

SIEGFRIED.

Was du sein wirst,

sei es mir heut! –

Faßt dich mein Arm,

umschling ich dich fest,

schlägt meine Brust

brünstig die deine,

zünden die Blicke,

zehren die Atem sich,

Aug in Auge,

Mund an Mund!

Dann bist du mir,

was bang du mir warst und wirst:

dann brach sich die brennende Sorge,

ob jetzt Brünnhilde mein?

BRÜNNHILDE.

Ob jetzt ich dein?

Göttliche Ruhe

rast mir in Wogen,

keuschestes Licht

lodert in Gluten:

himmlisches Wissen

stürmt mir dahin,

Jauchzen der Liebe

jagt es davon!

Ob jetzt ich dein? –

Siegfried! Siegfried!

Siehst du mich nicht?

Wie mein Blick dich verzehrt, –

erblindest du nicht?

Wie mein Arm dich preßt, –

entbrennst du mir nicht?[736]

Wie in Strömen mein Blut

entgegen dir stürmt,

das wilde Feuer,

fühlst du es nicht?

Fürchtest du, Siegfried,

fürchtest du nicht

das wild wütende Weib?


Sie umfaßt ihn heftig.


SIEGFRIED in freudigem Schreck.

Ha!

Wie des Blutes Ströme sich zünden,

wie der Blicke Strahlen sich zehren;

wie die Arme brünstig sich pressen, –

kehrt mir zurück

mein kühner Mut;

und das Fürchten, ach!

das ich nie gelernt,

das Fürchten, das du

mich kaum gelehrt: –

das Fürchten, mich dünkt,

ich Dummer vergaß es nun ganz.


Er hat bei den letzten Worten Brünnhilde unwillkürlich losgelassen.


BRÜNNHILDE freudig wild auflachend.

Oh! Kindischer Held!

Oh, herrlicher Knabe!

Du hehrster Taten

törichter Hort!

Lachend muß ich dich lieben,

lachend will ich erblinden,

lachend laß uns verderben,

lachend zugrunde gehn!

Fahr hin, Walhalls

leuchtende Welt!

Zerfall in Staub

deine stolze Burg!

Leb wohl, prangende

Götterpracht!

End in Wonne,

du ewig Geschlecht!

Zerreißt, ihr Nornen

das Runenseil!

Götterdämmrung,

dunkle herauf![737]

Nacht der Vernichtung,

neble herein! –

Mir strahlt zur Stunde

Siegfrieds Stern:

er ist mir ewig,

ist mir immer,

Erb und Eigen,

Ein und All:

leuchtende Liebe,

lachender Tod!

SIEGFRIED.

Lachend erwachst

du Wonnige mir!

Bünnhilde lebt,

Brünnhilde lacht!

Heil dem Tage,

der uns umleuchtet!

Heil der Sonne,

die uns bescheint!

Heil dem Licht,

das der Nacht enttaucht!

Heil der Welt,

der Brünnhilde lebt!

Sie wacht, sie lebt,

sie lacht mir entgegen:

prangend strahlt

mir Brünnhildes Stern!

Sie ist mir ewig,

ist mir immer,

Erb und Eigen,

Ein und All!

Leuchtende Liebe,

lachender Tod!


Brünnhilde stürzt sich in Siegfrieds Arme.
[738]

Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 721-739.
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