Erste Szene


[401] Die Bühne stellt das Innere der Katharinenkirche in schrägem Durchschnitt dar; von dem Hauptschiff, welches links ab, dem Hintergrunde zu, sich ausdehnend anzunehmen ist, sind nur noch die letzten Reihen der Kirchenstuhlbänke sichtbar: Den Vordergrund nimmt der freie Raum vor dem Chor ein; dieser wird später durch einen schwarzen Vorhang gegen das Schiff zu gänzlich geschlossen.

In der letzten Reihe der Kirchstühle sitzen Eva und Magdalene; Walther von Stolzing steht, in einiger Entfernung, zur Seite an eine Säule gelehnt, die Blicke auf Eva heftend, die sich mit stummem Gebärdenspiel wiederholt zu ihm umkehrt.


DIE GEMEINDE.

Da zu dir der Heiland kam,


Walther drückt durch Gebärde eine schmachtende Frage an Eva aus.


willig deine Tauf nahm,


Evas Blick und Gebärde sucht zu antworten; doch beschämt schlägt Sie das Auge wieder nieder.


weihte sich dem Opfertod,


Walther zärtlich, dann dringender.


gab er uns des Heils Gebot:


Eva: Walther schüchtern abweisend, aber schnell wieder seelenvoll zu ihm aufblickend.


daß wir durch sein' Tauf uns weihn,


Walther entzückt; höchste Beteuerungen; Hoffnung.


seines Opfers wert zu sein.


Eva selig lächelnd; – dann beschämt die Augen senkend. Walther dringend – aber schnell sich unterbrechend.


Edler Täufer!

Christs Vorläufer!


Walther nimmt die dringende Gebärde wieder auf, mildert sie aber sogleich wieder, um dadurch sanft um eine Unterredung zu bitten.


Nimm uns gnädig an,

dort am Fluß Jordan!


Die Gemeinde erhebt sich. Alles wendet sich dem Ausgange zu und verläßt unter dem Nachspiele allmählich die Kirche. – Walther heftet in höchster

Spannung seinen Blick auf Eva, welche ihren Sitz langsam verläßt und, von Magdalene gefolgt,[401] langsam in seine Nähe kommt. Da Walther Eva sich nähern sieht, drängt er sich gewaltsam, durch die Kirchgänger durch, zu ihr.


WALTHER.

Verweilt! – Ein Wort – ein einzig Wort!


Eva sich schnell zu Magdalene umwendend.


Mein Brusttuch ... schau! Wohl liegt's im Ort.

MAGDALENE.

Vergeßlich Kind! Nun heißt es: such!


Sie geht nach den Kirchstühlen zurück.


WALTHER.

Fräulein! Verzeiht der Sitte Bruch!

Eines zu wissen, Eines zu fragen,

was müßt ich nicht zu brechen wagen?

Ob Leben oder Tod? Ob Segen oder Fluch?

Mit einem Worte sei mir's vertraut: –

mein Fräulein, – sagt ...

MAGDALENE wieder zurückkommend.

Hier ist das Tuch.

EVA.

O weh! Die Spange?

MAGDALENE.

Fiel sie wohl ab?


Sie geht abermals suchend nach hinten.


WALTHER.

Ob Licht und Lust, oder Nacht und Tod?

Ob ich erfahr, wonach ich verlange,

ob ich vernehme, wovor mir graut: –

Mein Fräulein – sagt ...

MAGDALENE wieder zurückkommend.

Da ist auch die Spange.

Komm, Kind! Nun hast du Spang und Tuch ...

O weh, da vergaß ich selbst mein Buch!


Sie geht nochmals eilig nach hinten.


WALTHER.

Dies eine Wort, Ihr sagt mir's nicht?

Die Silbe, die mein Urteil spricht?

Ja oder nein! – ein flücht'ger Laut:

mein Fräulein, sagt –


Entschlossen und hastig.


seid Ihr schon Braut?

MAGDALENE die wieder zurückgekehrt ist und sich vor Walther verneigt.

Sieh da! Herr Ritter?

Wie sind wir hochgeehrt:

mit Evchens Schutze

habt Ihr Euch gar beschwert!

Darf den Besuch des Helden

ich Meister Pogner melden?

WALTHER leidenschaftlich.

O, betrat ich doch nie sein Haus!

MAGDALENE.

Ei! Junker, was sagt Ihr da aus?

In Nürnberg eben nur angekommen,[402]

wart Ihr nicht freundlich aufgenommen?

Was Küch und Keller, Schrein und Schrank

Euch bot, verdient es keinen Dank?

EVA.

Gut, Lenchen, ach! das meint er ja nicht;

doch von mir wohl wünscht er Bericht, –

wie sag ich's schnell? Versteh ich's doch kaum!

Mir ist, als wär ich gar wie im Traum! –

er frägt, – ob ich schon Braut?

MAGDALENE heftig erschrocken.

Hilf Gott! Sprich nicht so laut!

Jetzt laß uns nach Hause gehn; –

wenn uns die Leut hier sehn!

WALTHER.

Nicht eh'r, bis ich Alles weiß!

EVA zu Magdalene.

's ist leer, die Leut sind fort.

MAGDALENE.

Drum eben wird mir heiß!

Herr Ritter, an andrem Ort!


David tritt aus der Sakristei ein und macht sich daran, die schwarzen Vorhänge zu schließen.


WALTHER dringend.

Nein! Erst dies Wort!

EVA bittend zu Magdalene.

Dies Wort!

MAGDALENE die sich bereits umgewendet, erblickt David und hält an; zärtlich für sich.

David? Ei! David hier?


Sie wendet sich wieder zurück und zu Walther.


EVA zu Magdalene.

Was sag ich? Sag du's mir!

MAGDALENE zerstreut, öfter nach David sich umsehend.

Herr Ritter, was Ihr die Jungfer fragt,

das ist so leichtlich nicht gesagt.

Fürwahr ist Evchen Pogner Braut –,

EVA lebhaft unterbrechend.

Doch hat noch keiner den Bräut'gam erschaut!

MAGDALENE.

Den Bräut'gam wohl noch niemand kennt,

bis morgen ihn das Gericht ernennt,

das dem Meistersinger erteilt den Preis ...

EVA enthusiastisch.

Und selbst die Braut ihm reicht das Reis.

WALTHER verwundert.

Dem Meistersinger?

EVA bang.

Seid Ihr das nicht?

WALTHER.

Ein Werbgesang?

MAGDALENE.

Vor Wettgericht.

WALTHER.

Den Preis gewinnt?

MAGDALENE.

Wen die Meister meinen.

WALTHER.

Die Braut dann wählt? ...

EVA sich vergessend.

Euch – oder keinen!


Walther wendet sich, in großer Erregung auf und ab gehend, zur Seite.
[403]

MAGDALENE sehr erschrocken.

Was, Evchen! Evchen! Bist du von Sinnen?

EVA.

Gut' Lene, laß mich den Ritter gewinnen!

MAGDALENE.

Sahst ihn doch gestern zum ersten Mal?

EVA.

Das eben schuf mir so schnelle Qual,

daß ich schon längst ihn im Bilde sah!

Sag, trat er nicht ganz wie David nah?

MAGDALENE höchst verwundert.

Bist du toll! Wie David?

EVA.

Wie David im Bild.

MAGDALENE.

Ach! – meinst du den König mit der Harfen

und langem Bart in der Meister Schild?

EVA.

Nein! Der, des Kiesel den Goliath warfen,

das Schwert im Gurt, die Schleuder zur Hand,

das Haupt von lichten Locken umstrahlt,

wie ihn uns Meister Dürer gemalt!

MAGDALENE laut seufzend.

Ach, David! David!

DAVID der hinausgegangen und jetzt wieder zurückkommt, ein Lineal im Gürtel und ein großes Stück weißer Kreide an einer Schnur schwenkend.

Da bin ich: wer ruft?

MAGDALENE.

Ach, David! Was Ihr für Unglück schuft!


Beiseite.


Der liebe Schelm! Wüßt er's noch nicht?


Laut.


Ei, seht, da hat er uns gar verschlossen?

DAVID zärtlich.

Ins Herz Euch allein!

MAGDALENE feurig.

Das treue Gesicht! –

Ei, sagt! Was treibt Ihr hier für Possen?

DAVID.

Behüt es! Possen? Gar ernste Ding:

für die Meister hier richt ich den Ring.

MAGDALENE.

Wie? Gäb es ein Singen?

DAVID.

Nur Freiung heut:

der Lehrling wird da losgesprochen,

der nichts wider die Tabulatur verbrochen:

Meister wird, wen die Prob nicht reut.

MAGDALENE.

Da wär der Ritter ja am rechten Ort! –

Jetzt, Evchen, komm! Wir müssen fort!

WALTHER schnell zu den Frauen sich wendend.

Zu Meister Pogner laßt mich euch geleiten!

MAGDALENE.

Erwartet den hier, er ist bald da.

Wollt Ihr Evchens Hand erstreiten,

rückt Zeit und Ort das Glück Euch nah. –


Zwei Lehrbuben kommen dazu und tragen Bänke herbei.


Jetzt eilig von hinnen![404]

WALTHER.

Was soll ich beginnen?

MAGDALENE.

Laßt David Euch lehren

die Freiung begehren. –

Davidchen! Hör, mein lieber Gesell:

den Ritter hier bewahr mir wohl zur Stell!

Was Fein's aus der Küch

bewahr ich für dich,

und morgen begehr du noch dreister,

wird hier der Junker heut Meister.


Sie drängt Eva zum Fortgehen.


EVA zu Walther.

Seh ich Euch wieder?

WALTHER sehr feurig.

Heut abend gewiß!

Was ich will wagen,

wie könnt ich's sagen?

Neu ist mein Herz, neu mein Sinn,

neu ist mir Alles, was ich beginn.

Eines nur weiß ich,

Eines begreif ich:

mit allen Sinnen

Euch zu gewinnen! –

Ist's mit dem Schwert nicht, muß es gelingen,

gilt es als Meister Euch zu ersingen.

Für Euch Gut und Blut,

für Euch

Dichters heil'ger Mut!

EVA mit großer Wärme.

Mein Herz, sel'ger Glut,

für Euch

liebesheil'ge Hut!

MAGDALENE.

Schnell heim! Sonst geht's nicht gut!

DAVID der Walther verwunderungsvoll gemessen.

Gleich Meister? Oho! Viel Mut!


Magdalene zieht Eva eilig durch die Vorhänge nach sich fort. Walther wirft sich, aufgeregt und brütend, in einen erhöhten, kathederartigen Lehnstuhl, welchen zuvor zwei Lehrbuben von der Wand ab, mehr nach der Mitte zu gerückt hatten.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 401-405.
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