Dritte Szene


[411] Die Einrichtung ist nun folgender Maßen beendigt: zur Seite rechts sind gepolsterte Bänke in der Weise aufgestellt, daß sie einen schwachen Halbkreis nach der Mitte zu bilden. Am Ende der Bänke, in der Mitte der Bühne, befindet sich das »Gemerk« benannte Gerüste, welches zuvor hergerichtet worden. Zur linken Seite steht nur der erhöhte, kathederartige Stuhl (»der Singstuhl«) der Versammlung gegenüber. Im Hintergrunde, den großen Vorhang entlang, steht eine lange niedere Bank für die Lehrlinge. – Walther, verdrießlich über das Gespött der Knaben, hat sich auf die vordere Bank niedergelassen. – Pogner und Beckmesser sind im Gespräch aus der Sakristei aufgetreten. Die Lehrbuben harren ehrerbietig vor der hinteren Bank stehend. Nur David stellt sich anfänglich am Eingang bei der Sakristei auf.


POGNER zu Beckmesser.

Seid meiner Treue wohl versehen,

was ich bestimmt, ist Euch zu Nutz:

im Wettgesang müßt Ihr bestehen,

wer böte Euch als Meister Trutz?

BECKMESSER.

Doch wollt Ihr von dem Punkt nicht weichen,

der mich – ich sag's – bedenklich macht:

kann Evchens Wunsch den Werber streichen,

was nützt mir meine Meister-Pracht?

POGNER.

Ei sagt, ich mein, vor allen Dingen

sollt Euch an dem gelegen sein?

Könnt Ihr der Tochter Wunsch nicht zwingen,

wie möchtet Ihr wohl um sie frein?

BECKMESSER.

Ei ja! Gar wohl! Drum eben bitt' ich,

daß bei dem Kind Ihr für mich sprecht,[411]

wie ich geworben zart und sittig,

und wie Beckmesser grad Euch recht.

POGNER.

Das tu ich gern.

BECKMESSER bei Seite.

Er läßt nicht nach.

Wie wehrt ich da 'nem Ungemach?

WALTHER der, als er Pogner gewahrt, aufgestanden und ihm entgegengegangen ist, verneigt sich vor ihm.

Gestattet, Meister!

POGNER.

Wie, mein Junker?

Ihr sucht mich in der Singschul hie?


Pogner und Walther wechseln Begrüßungen.


BECKMESSER immer bei Seite.

Verstünden's die Fraun; doch schlechtes Geflunker

gilt ihnen mehr als all' Poesie.


Er geht verdrießlich im Hintergrunde auf und ab.


WALTHER.

Hier eben bin ich am rechten Ort:

gesteh ich's frei, vom Lande fort

was mich nach Nürnberg trieb,

war nur zur Kunst die Lieb.

Vergaß ich's gestern Euch zu sagen,

heut muß ich's laut zu künden wagen:

ein Meistersinger möcht ich sein!

Schließt, Meister, in die Zunft mich ein!


Kunz Vogelsang und Konrad Nachtigall sind eingetreten.


POGNER freudig zu den Hinzutretenden sich wendend.

Kunz Vogelgesang! Freund Nachtigall!

Hört doch, welch ganz besondrer Fall:

der Ritter hier, mir wohl bekannt,

hat der Meisterkunst sich zugewandt.


Vorstellungen und Begrüßungen; andre Meistersinger treten noch dazu.


BECKMESSER wieder in den Vordergrund tretend, für sich.

Noch such ich's zu wenden; doch, sollt's nicht gelingen,

versuch ich des Mädchens Herz zu ersingen:

in stiller Nacht, von ihr nur gehört,

erfahr ich, ob auf mein Lied sie schwört.


Walther erblickend.


Wer ist der Mensch? –

POGNER sehr warm zu Walther fortfahrend.

Glaubt, wie mich's freut!

Die alte Zeit dünkt mich erneut.

BECKMESSER.

Er gefällt mir nicht![412]

POGNER.

Was Ihr begehrt,

so viel an mir, sei's Euch gewährt.

BECKMESSER.

Was will er hier? Wie der Blick ihm lacht!

POGNER.

Half ich Euch gern bei des Gut's Verkauf,

in die Zunft nun nehm ich Euch gleich gern auf.

BECKMESSER.

Holla! Sixtus! Auf den hab Acht!

WALTHER.

Habt Dank der Güte

aus tiefstem Gemüte!

Und darf ich denn hoffen?

Steht heut mir noch offen,

zu werben um den Preis,

daß Meistersinger ich heiß?

BECKMESSER.

Oho! Fein sacht! Auf dem Kopf steht kein Kegel!

POGNER.

Herr Ritter, dies geh nun nach der Regel.

Doch heut ist Freiung; ich schlag Euch vor:

mir leihen die Meister ein willig Ohr!


Die Meistersinger sind nun alle angelangt, zuletzt auch Hans Sachs.


SACHS.

Gott grüß Euch, Meister!

VOGELGESANG.

Sind wir beisammen?

BECKMESSER.

Der Sachs ist ja da!

NACHTIGALL.

So ruft die Namen.

FRITZ KOTHNER zieht eine Liste hervor, stellt sich zur Seite auf und ruft laut.

Zu einer Freiung und Zunftberatung

ging an die Meister ein' Einladung:

bei Nenn' und Nam',

ob Jeder kam,

ruf ich nun auf als letzt-Entbot'ner,

der ich mich nenn' und bin Fritz Kothner. –

Seid Ihr da, Veit Pogner?

POGNER.

Hier zur Hand!


Er setzt sich.


KOTHNER.

Kunz Vogelgesang?

VOGELGESANG.

Ein sich fand.


Setzt sich.


KOTHNER.

Hermann Ortel?

ORTEL.

Immer am Ort.


Setzt sich.


KOTHNER.

Balthasar Zorn?

ZORN.

Bleibt niemals fort.


Setzt sich.


KOTHNER.

Konrad Nachtigall?[413]

NACHTIGALL.

Treu seinem Schlag.


Setzt sich.


KOTHNER.

Augustin Moser?

MOSER.

Nie fehlen mag.


Setzt sich.


KOTHNER.

Niklaus Vogel? – Schweigt?

EIN LEHRBUBE von der Bank aufstehend.

Ist krank!

KOTHNER.

Gut Bess'rung dem Meister!

ALLE MEISTER.

Walt's Gott!

DER LEHRBUBE.

Schön' Dank!


Er setzt sich wieder nieder.


KOTHNER.

Hans Sachs?

DAVID vorlaut sich erhebend und auf Sachs zeigend.

Da steht er!

SACHS drohend zu David.

Juckt dich das Fell? –

Verzeiht, Meister! – Sachs ist zur Stell.


Er setzt sich.


KOTHNER.

Sixtus Beckmesser?

BECKMESSER.

Immer bei Sachs,


Während er sich setzt.


daß den Reim ich lern von »blüh' und wachs'«.


Sachs lacht.


KOTHNER.

Ulrich Eißlinger?

EISSLINGER.

Hier!


Setzt sich.


KOTHNER.

Hans Foltz?

FOLTZ.

Bin da.


Setzt sich.


KOTHNER.

Hans Schwarz?

SCHWARZ.

Zuletzt: Gott wollt's!

KOTHNER.

Zur Sitzung gut und voll die Zahl.

Beliebt's, wir schreiten zur Merkerwahl?

VOGELGESANG.

Wohl eh'r nach dem Fest?

BECKMESSER zu Kothner.

Pressiert's den Herrn?

Mein Stell und Amt laß ich ihm gern.

POGNER.

Nicht doch, ihr Meister; laßt das jetzt fort!

Für wicht'gen Antrag bitt ich ums Wort.


Die Meister stehen auf, nicken Kothner zu und setzen sich wieder.


KOTHNER.

Das habt Ihr; Meister, sprecht!

POGNER.

Nun hört, und versteht mich recht! –

Das schöne Fest, Johannistag,

ihr wißt, begehn wir morgen:[414]

auf grüner Au', am Blumenhag,

bei Spiel und Tanz im Lustgelag,

an froher Brust geborgen,

vergessen seiner Sorgen,

ein Jeder freut sich wie er mag.

Die Singschul ernst im Kirchenchor

die Meister selbst vertauschen;

mit Kling und Klang hinaus zum Tor

auf offne Wiese ziehn sie vor;

bei hellen Festes Rauschen

das Volk sie lassen lauschen

dem Freigesang mit Laienohr.

Zu einem Werb- und Wettgesang

gestellt sind Siegespreise,

und beide preist man weit und lang,

die Gabe wie die Weise.

Nun schuf mich Gott zum reichen Mann;

und gibt ein Jeder, wie er kann,

so mußte ich wohl sinnen,

was ich gäb, zu gewinnen,

daß ich nicht käm zuschand': –

so hört denn, was ich fand.

In deutschen Landen viel gereist,

hat oft es mich verdrossen,

daß man den Bürger wenig preist,

ihn karg nennt und verschlossen.

An Höfen, wie an niedrer Statt,

des bittren Tadels ward ich satt,

daß nur auf Schacher und Geld

sein Merk der Bürger stellt.

Daß wir im weiten deutschen Reich

die Kunst einzig noch pflegen,

dran dünkt ihnen wenig gelegen.

Doch wie uns das zur Ehre gereich,

und daß mit hohem Mut

wir schätzen, was schön und gut,

was wert die Kunst, und was sie gilt,

das ward ich der Welt zu zeigen gewillt;

drum hört, Meister, die Gab,

die als Preis bestimmt ich hab!

Dem Singer, der im Kunstgesang

vor allem Volk den Preis errang,

am Sankt-Johannis-Tag,[415]

sei er wer er auch mag,

dem geb ich, ein Kunst-Gewogner,

von Nürenberg Veit Pogner,

mit all meinem Gut, wie's geh und steh,

Eva, mein einzig Kind, zur Eh'.

DIE MEISTER sich erhebend und sehr lebhaft durcheinander.

Das heißt ein Wort, ein Wort ein Mann!

Da sieht man, was ein Nürnberger kann!

Drob preist man Euch noch weit und breit,

den wackren Bürger, Pogner Veit!

DIE LEHRBUBEN lustig aufspringend.

Alle Zeit! Weit und breit!

Pogner Veit!

VOGELGESANG.

Wer möchte da nicht ledig sein!

SACHS.

Sein Weib gäb mancher gern wohl drein.

KOTHNER.

Auf, ledig Mann!

Jetzt macht euch 'ran!

POGNER.

Nun hört noch, wie ich's ernstlich mein!


Die Meister setzen sich allmählich wieder nieder; die Lehrbuben ebenfalls.


Ein' leblos Gabe geb ich nicht;

ein Mägdlein sitzt mit zum Gericht:

den Preis erkennt die Meisterzunft;

doch, gilt's der Eh', so will's Vernunft,

daß ob der Meister Rat

die Braut den Ausschlag hat.

BECKMESSER zu Kothner gewandt.

Dünkt Euch das klug?

KOTHNER.

Versteh ich gut,

Ihr gebt uns in des Mägdleins Hut?

BECKMESSER.

Gefährlich das!

KOTHNER.

Stimmt es nicht bei,

wie wäre dann der Meister Urteil frei?

BECKMESSER.

Laßt's gleich wählen nach Herzens Ziel,

und laßt den Meistergesang aus dem Spiel!

POGNER.

Nicht so! Wie doch? Versteht mich recht!

Wem ihr Meister den Preis zusprecht,

die Maid kann dem verwehren,

doch nie einen andren begehren.

Ein Meistersinger muß er sein,

nur wen ihr krönt, den soll sie frei'n.

SACHS erhebt sich.

Verzeiht,

vielleicht schon ginget ihr zu weit.

Ein Mädchenherz und Meisterkunst

erglühn nicht stets von gleicher Brunst:[416]

der Frauen Sinn, gar unbelehrt;

dünkt mich dem Sinn des Volks gleich wert.

Wollt ihr nun vor dem Volke zeigen,

wie hoch die Kunst ihr ehrt,

und laßt ihr dem Kind die Wahl zu eigen,

wollt nicht, daß dem Spruch es wehrt –,

so laßt das Volk auch Richter sein:

mit dem Kinde sicher stimmt's überein.

DIE MEISTER.

Oho! Das Volk? Ja, das wäre schön!

Ade dann Kunst und Meister-Tön'!

KOTHNER.

Nein, Sachs! Gewiß, das hat keinen Sinn!

Gebt Ihr dem Volk die Regeln hin?

SACHS.

Vernehmt mich recht! Wie ihr doch tut!

Gesteht, ich kenn die Regeln gut;

und daß die Zunft die Regeln bewahr,

bemüh ich mich selbst schon manches Jahr.

Doch einmal im Jahre fänd ich's weise,

daß man die Regeln selbst probier,

ob in der Gewohnheit trägem Gleise

ihr' Kraft und Leben nicht sich verlier.

Und ob ihr der Natur

noch seid auf rechter Spur,

das sagt euch nur,

wer nichts weiß von der Tabulatur.


Die Lehrbuben springen auf und reiben sich die Hände.


BECKMESSER.

Hei wie sich die Buben freuen!

SACHS eifrig fortfahrend.

Drum mocht' es euch nie gereuen,

daß jährlich am Sankt-Johannis-Fest,

statt daß das Volk man kommen läßt,

herab aus hoher Meisterwolk

ihr selbst euch wendet zu dem Volk.

Dem Volke wollt ihr behagen;

nun dächt ich, läg es nah,

ihr ließt es selbst euch auch sagen,

ob das ihm zur Lust geschah!

Daß Volk und Kunst gleich blüh und wachs,

bestellt ihr so, mein ich, Hans Sachs!

VOGELGESANG.

Ihr meint's wohl recht!

KOTHNER.

Doch steht's drum faul.

NACHTIGALL.

Wenn spricht das Volk, halt ich das Maul.

KOTHNER.

Der Kunst droht allweil Fall und Schmach,

läuft sie der Gunst des Volkes nach.[417]

BECKMESSER.

Drin bracht er's weit, der hier so dreist:

Gassenhauer dichtet er meist.

POGNER.

Freund Sachs! Was ich mein, ist schon neu:

zuviel auf einmal brächte Reu.


Er wendet sich zu den Meistern.


So frag ich, ob den Meistern gefällt

Gab' und Regel, so wie ich's gestellt?


Die Meister erheben sich beistimmend.


SACHS.

Mir genügt der Jungfer Ausschlagstimm.

BECKMESSER.

Der Schuster weckt doch stets mir Grimm!

KOTHNER.

Wer schreibt sich als Werber ein?

Ein Junggesell muß es sein.

BECKMESSER.

Vielleicht auch ein Witwer? Fragt nur den Sachs!

SACHS.

Nicht doch, Herr Merker! Aus jüngrem Wachs,

als ich und Ihr, muß der Freier sein,

soll Evchen ihm den Preis verleihn.

BECKMESSER.

Als wie auch ich? – Grober Gesell!

KOTHNER.

Begehrt wer Freiung, der komm zur Stell'!

Ist Jemand gemeld't, der Freiung begehrt?

POGNER.

Wohl, Meister! Zur Tagesordnung kehrt,

und nehmt von mir Bericht,

wie ich auf Meisterpflicht

einen jungen Ritter empfehle,

der will, daß man ihn wähle,

und heut als Meistersinger frei.

Mein Junker Stolzing – kommt herbei!


Walther tritt vor und verneigt sich.


BECKMESSER bei Seite.

Dacht ich mir's doch! Geht's dahinaus, Veit? –


Laut.


Meister, ich mein, zu spät ist's der Zeit!

DIE MEISTER.

Der Fall ist neu: – Ein Ritter gar?

Soll man sich freun? – Oder wär' Gefahr?

Immerhin hat's ein groß Gewicht,

daß Meister Pogner für ihn spricht.

KOTHNER.

Soll uns der Junker willkommen sein,

zuvor muß er wohl vernommen sein.

POGNER.

Vernehmt ihn wohl! Wünsch ich ihm Glück,

nicht bleib ich doch hinter der Regel zurück.

Tut, Meister, die Fragen!

KOTHNER.

So mög uns der Junker sagen:

Ist er frei und ehrlich geboren?[418]

POGNER.

Die Frage gebt verloren,

da ich euch selbst des Bürge steh,

daß er aus frei und edler Eh':

von Stolzing Walther aus Frankenland,

nach Brief und Urkund mir wohlbekannt.

Als seines Stammes letzter Sproß

verließ er neulich Hof und Schloß,

und zog nach Nürnberg her,

daß er hier Bürger wär.

BECKMESSER.

Neu-Junkerunkraut – tut nicht gut!

NACHTIGALL.

Freund Pogners Wort Genüge tut.

SACHS.

Wie längst von den Meistern beschlossen ist,

ob Herr, ob Bauer, hier nichts beschließt:

hier fragt sich's nach der Kunst allein,

wer will ein Meistersinger sein.

KOTHNER.

Drum nun frag ich zur Stell:

welch Meisters seid Ihr Gesell?

WALTHER.

Am stillen Herd in Winterszeit,

wann Burg und Hof mir eingeschneit, –

wie einst der Lenz so lieblich lacht,

und wie er bald wohl neu erwacht, –

ein altes Buch, vom Ahn vermacht,

gab das mir oft zu lesen:

Herr Walther von der Vogelweid,

der ist mein Meister gewesen.

SACHS.

Ein guter Meister!

BECKMESSER.

Doch lang schon tot,

wie lehrt ihn der wohl der Regeln Gebot?

KOTHNER.

Doch in welcher Schul das Singen

mocht Euch zu lernen gelingen?

WALTHER.

Wann dann die Flur vom Frost befreit,

und wiederkehrt die Sommerszeit,

was einst in langer Wintersnacht

das alte Buch mir kund gemacht,

das schallte laut in Waldes Pracht,

das hört ich hell erklingen:

im Wald dort auf der Vogelweid

da lernt ich auch das Singen.

BECKMESSER.

Oho! Von Finken und Meisen

lerntet Ihr Meisterweisen?

Das wird denn wohl auch darnach sein!

VOGELGESANG.

Zwei art'ge Stollen faßt er da ein.[419]

BECKMESSER.

Ihr lobt ihn, Meister Vogelgesang,

wohl weil vom Vogel er lernt den Gesang?

KOTHNER.

Was meint ihr, Meister, frag ich noch fort?

Mich dünkt, der Junker ist fehl am Ort.

SACHS.

Das wird sich bäldlich zeigen:

wenn rechte Kunst ihm eigen,

und gut er sie bewährt,

was gilt's, wer sie ihn gelehrt?

KOTHNER zu Walther.

Seid Ihr bereit, ob Euch geriet

mit neuer Find' ein Meisterlied,

nach Dicht' und Weis' eu'r eigen,

zur Stunde jetzt zu zeigen?

WALTHER.

Was Winternacht,

was Waldespracht,

was Buch und Hain mich wiesen,

was Dichtersanges Wundermacht

mir heimlich wollt erschließen;

was Rosses Schritt

beim Waffenritt,

was Reihentanz

bei heitrem Schanz

mir sinnend gab zu lauschen:

gilt es des Lebens höchsten Preis

um Sang mir einzutauschen,

zu eignem Wort und eigner Weis'

will einig mir es fließen,

als Meistersang, ob den ich weiß,

euch Meistern sich ergießen.

BECKMESSER.

Entnahmt ihr was der Worte Schwall?

VOGELGESANG.

Ei nun, er wagt's!

NACHTIGALL.

Merkwürd'ger Fall!

KOTHNER.

Nun, Meister! Wenn's gefällt,

werd das Gemerk bestellt.


Zu Walther.


Wählt der Herr einen heil'gen Stoff?

WALTHER.

Was heilig mir,

der Liebe Panier

schwing und sing ich, mir zu Hoff'.

KOTHNER.

Das gilt uns weltlich. Drum allein,

Meister Beckmesser, schließt Euch ein!

BECKMESSER erhebt sich und schreitet wie widerwillig dem Gemerk zu.

Ein saures Amt, und heut zumal!

Wohl gibt's mit der Kreide manche Qual!


[420] Er verneigt sich gegen Walther.


Herr Ritter, wißt:

Sixtus Beckmesser Merker ist;

hier im Gemerk

verrichtet er still sein strenges Werk.

Sieben Fehler gibt er Euch vor,

die merkt er mit Kreide dort an:

wenn er über sieben Fehler verlor,

dann versang der Herr Rittersmann.


Er setzt sich im Gemerk.


Gar fein er hört;

doch, daß er Euch den Mut nicht stört,

säh't Ihr ihm zu,

so gibt er Euch Ruh,

und schließt sich gar hier ein, –

läßt Gott Euch befohlen sein.


Er streckt den Kopf, höhnisch freundlich nickend, heraus und verschwindet hinter dem eingezogenen Vorhange des Gemerks gänzlich.


KOTHNER winkt den Lehrbuben. Zu Walther.

Was Euch zum Liede Richt und Schnur,

vernehmt nun aus der Tabulatur!


Die Lehrbuben haben die an der Wand aufgehängte Tafel der »Leges Tabulaturae« herabgenommen und halten sie Kothner vor; dieser liest daraus.


KOTHNER lesend.

»Ein jedes Meistergesanges Bar

stell ordentlich ein Gemäße dar

aus unterschiedlichen Gesetzen,

die keiner soll verletzen.

Ein Gesetz besteht aus zweenen Stollen,

die gleiche Melodei haben sollen;

der Stoll aus etlicher Vers' Gebänd,

der Vers hat seinen Reim am End.

Darauf so folgt der Abgesang,

der sei auch etlich Verse lang,

und hab sein' besondre Melodei,

als nicht im Stollen zu finden sei.

Derlei Gemäßes mehre Baren

soll ein jed' Meisterlied bewahren;

und wer ein neues Lied gericht,

das über vier der Silben nicht

eingreift in andrer Meister Weis',

des Lied erwerb sich Meisterpreis!«


[421] Er gibt die Tafel den Lehrbuben zurück; diese hängen sie wieder auf.


Nun setzt Euch in den Singestuhl.

WALTHER mit einem Schauer.

Hier – in den Stuhl?

KOTHNER.

Wie's Brauch der Schul.

WALTHER besteigt den Stuhl und setzt sich mit Widerstreben. Bei Seite.

Für dich, Geliebte, sei's getan!

KOTHNER sehr laut.

Der Sänger sitzt.

BECKMESSER unsichtbar im Gemerk, sehr laut.

Fanget an!

WALTHER.

»Fanget an!« –

So rief der Lenz in den Wald,

daß laut es ihn durchhallt:

und, wie in fern'ren Wellen

der Hall von dannen flieht,

von weit her naht ein Schwellen,

das mächtig näher zieht.

Es schwillt und schallt,

es tönt der Wald

von holder Stimmen Gemenge;

nun laut und hell,

schon nah zur Stell,

wie wächst der Schwall!

Wie Glockenhall

ertost des Jubels Gedränge!

Der Wald,

wie bald

antwortet er dem Ruf,

der neu ihm Leben schuf:

stimmte an

das süße Lenzeslied. –


Man hört aus dem Gemerk unmutige Seufzer des Merkers und heftiges Anstreichen mit der Kreide. Auch Walther hat es bemerkt; nach kurzer Störung fährt er fort.


In einer Dornenhecken,

von Neid und Gram verzehrt,

mußt er sich da verstecken,

der Winter, Grimm-bewehrt:

von dürrem Laub umrauscht,

er lauert da und lauscht,

wie er das frohe Singen

zu Schaden könnte bringen. –


Er steht vom Stuhle auf.


Doch: fanget an! –[422]

So rief es mir in die Brust,

als noch ich von Liebe nicht wußt.

Da fühlt ich's tief sich regen,

als weckt es mich aus dem Traum;

mein Herz mit bebenden Schlägen

erfüllte des Busens Raum:

Das Blut, es wallt

mit Allgewalt,

geschwellt von neuem Gefühle;

aus warmer Nacht,

mit Übermacht,

schwillt mir zum Meer

der Seufzer Heer

in wildem Wonnegewühle.

Die Brust

wie bald

antwortet sie dem Ruf,

der neu ihr Leben schuf;

stimmt nun an

das hehre Liebeslied!

BECKMESSER den Vorhang aufreißend.

Seid Ihr nun fertig?

WALTHER.

Wie fraget Ihr?

BECKMESSER.

Mit der Tafel ward ich fertig schier.


Er hält die ganz mit Kreidestrichen bedeckte Tafel heraus.

Die Meister brechen in ein Gelächter aus.


WALTHER.

Hört doch, zu meiner Frauen Preis

gelang ich jetzt erst mit der Weis'.

BECKMESSER das Gemerk verlassend.

Singt, wo Ihr wollt! Hier habt Ihr vertan! –

Ihr Meister, schaut die Tafel euch an:

so lang ich leb, ward's nicht erhört!

Ich glaubt's nicht, wenn ihr's all auch schwört!

WALTHER.

Erlaubt ihr's, Meister, daß er mich stört?

Blieb ich von Allen ungehört?

POGNER.

Ein Wort, Herr Merker! Ihr seid gereizt!

BECKMESSER.

Sei Merker fortan, wer darnach geizt!

Doch daß der Junker hier versungen hat,

beleg ich erst noch vor der Meister Rat.

Zwar wird's 'ne harte Arbeit sein:

wo beginnen, da wo nicht aus noch ein?

von falscher Zahl, und falschem Gebänd –

schweig ich schon ganz und gar:

zu kurz, zu lang – wer ein End da fänd?[423]

Wer meint hier im Ernst einen Bar?

Auf »blinde Meinung« klag ich allein: –

Sagt, konnt ein Sinn unsinniger sein?

MEHRERE MEISTER.

Man ward nicht klug, ich muß gestehn.

Ein Ende konnte keiner ersehn.

BECKMESSER.

Und dann die Weis', welch tolles Gekreis

aus »Abenteuer«, »blau Rittersporn«-Weis',

»hoch-Tannen« –, »stolz-Jüngling«-Ton!

KOTHNER.

Ja, ich verstand gar nichts davon.

BECKMESSER.

Kein Absatz wo, kein Koloratur,

von Melodei auch nicht eine Spur!


Die Meister sind in wachsendem Aufstand begriffen.


ORTEL UND FOLTZ.

Wer nennt das Gesang?

MOSER UND NACHTIGALL.

Es ward einem bang!

VOGELGESANG.

Eitel Ohrgeschinder!

ZORN.

Auch gar nichts dahinter!

KOTHNER.

Und gar vom Singstuhl ist er gesprungen!

BECKMESSER.

Wird erst auf die Fehlerprobe gedrungen?

Oder gleich erklärt, daß er versungen?

SACHS der vom Beginn an Walther mit wachsendem Ernst zugehört hat, schreitet vor.

Halt, Meister! Nicht so geeilt!

Nicht jeder eure Meinung teilt. –

Des Ritters Lied und Weise,

sie fand ich neu, doch nicht verwirrt:

verließ er unsre Gleise,

schritt er doch fest und unbeirrt.

Wollt ihr nach Regeln messen,

was nicht nach eurer Regeln Lauf,

der eignen Spur vergessen,

sucht davon erst die Regeln auf!

BECKMESSER.

Aha, schon recht! Nun hört ihr's doch:

den Stümpern öffnet Sachs ein Loch,

da aus und ein nach Belieben

ihr Wesen leicht sie trieben! –

Singet dem Volk auf Markt und Gassen!

Hier wird nach den Regeln nur eingelassen.

SACHS.

Herr Merker, was doch solch ein Eifer?

Was doch so wenig Ruh?

Eu'r Urteil, dünkt mich, wäre reifer,

hörtet Ihr besser zu.

Darum so komm ich jetzt zum Schluß,

daß den Junker man zu End hören muß.[424]

BECKMESSER.

Der Meister Zunft, die ganze Schul,

gegen den Sachs da sind wir Null!

SACHS.

Verhüt es Gott, was ich begehr,

daß das nicht nach den Gesetzen wär!

Doch da nun steht geschrieben:

»Der Merker werde so bestellt,

daß weder Haß noch Lieben

das Urteil trübe, das er fällt.«

Geht er nun gar auf Freiers Füßen,

wie sollt er da die Lust nicht büßen,

den Nebenbuhler auf dem Stuhl

zu schmähen vor der ganzen Schul?


Walther flammt auf.


NACHTIGALL.

Ihr geht zu weit!

KOTHNER.

Persönlichkeit!

POGNER.

Vermeidet, Meister, Zwist und Streit!

BECKMESSER.

Ei! Was kümmert doch Meister Sachsen,

auf was für Füßen ich geh?

Ließ er doch lieber Sorge sich wachsen,

daß mir nichts drück' die Zeh'!

Doch seit mein Schuster ein großer Poet,

gar übel es um mein Schuhwerk steht:

da seht, wie's schlappt,

und überall klappt!

All seine Vers und Reim

ließ ich ihm gern daheim,

Historien, Spiel und Schwänke dazu,

brächt er mir morgen die neuen Schuh.

SACHS kratzt sich hinter den Ohren.

Ihr mahnt mich da gar recht:

doch schickt sich's, Meister, sprecht,

daß – find ich selbst dem Eseltreiber

ein Sprüchlein auf die Sohl,

dem hochgelahrten Herrn Stadtschreiber

ich nichts drauf schreiben soll?

Das Sprüchlein, das Eu'r würdig sei,

mit all meiner armen Poeterei,

fand ich noch nicht zur Stund.

Doch wird's wohl jetzt mir kund,

wenn ich des Ritters Lied gehört:

drum sing er nun weiter ungestört!


Walther steigt in großer Aufregung auf den Singstuhl und blickt stehend herab.
[425]

BECKMESSER.

Nicht weiter! Zum Schluß!

DIE MEISTER.

Genug! Zum Schluß!

SACHS zu Walther.

Singt dem Herrn Merker zum Verdruß!

BECKMESSER.

Was sollte man da noch hören?

Wär's nicht, euch zu betören?


Er holt aus dem Gemerk die Tafel herbei und hält sie, während des Folgenden, von Einem zum Andern sich wendend, den Meistern zur Prüfung vor.


WALTHER.

Aus finstrer Dornenhecken

die Eule rauscht hervor,

tät rings mit Kreischen wecken

der Raben heis'ren Chor:

in nächt'gem Heer zu Hauf',

wie krächzen all' da auf,

mit ihren Stimmen, den hohlen,

die Elstern, Krähen und Dohlen! –

Auf da steigt

mit goldnem Flügelpaar

ein Vogel wunderbar;

sein strahlend hell Gefieder

licht in den Lüften blinkt;

schwebt selig hin und wieder,

zu Flug und Flucht mir winkt.

Es schwillt das Herz

vor süßem Schmerz,

der Not entwachsen Flügel.

es schwingt sich auf

zum kühnen Lauf,

aus der Städte Gruft,

zum Flug durch die Luft,

dahin zum heim'schen Hügel,

dahin zur grünen Vogelweid,

wo Meister Walther einst mich freit';

da sing ich hell und her

der liebsten Frauen Ehr:

auf dann steigt,

ob Meisterkräh'n ihm ungeneigt,

das stolze Liebeslied!

Ade, ihr Meister hienied!


Er verläßt mit einer stolz verächtlichen Gebärde den Stuhl und wendet sich rasch zum Fortgehen.


BECKMESSER.

Jeden Fehler, groß und klein,

seht genau auf der Tafel ein.[426]

»Falsch Gebänd« – »Unredbare Worte« –

»Klebsilben« – hier »Laster« gar!

»Äquivoca«, »Reim am falschen Orte«,

»verkehrt«, »verstellt« der ganze Bar!

Ein »Flickgesang« hier zwischen den Stollen!

»Blinde Meinung« allüberall!

»Unklare Wort'«, »Differenz«, hie »Schrollen«!

Da »falscher Atem«, hier »Überfall«!

Ganz unverständliche Melodei!

Aus allen Tönen ein Mischgebräu!

Scheutet ihr nicht das Ungemach,

Meister, zählt mir die Fehler nach!

Verloren hätt er schon mit dem Acht,

doch so weit wie der hat's noch Keiner gebracht:

wohl über Fünfzig, schlecht gezählt!

Sagt, ob ihr euch den zum Meister wählt?

DIE MEISTER.

Jawohl, so ist's; ich seh es recht:

mit dem Herrn Ritter steht es schlecht!

Mag Sachs von ihm halten, was er will,

hier in der Singschul schweig er still!

Bleibt einem Jeden doch unbenommen,

wen er sich zum Genossen begehrt?

Wär uns der erste Best' willkommen,

was blieben die Meister dann wert?

Hei, wie sich der Ritter da quält!

Der Sachs hat sich ihn erwählt! –


Lachend.


Hahaha!

's ist ärgerlich gar! Drum macht ein End!

Auf, Meister! Stimmt und erhebt die Händ!

SACHS beobachtet Walther entzückt.

Ha! welch ein Mut!

Begeistrungsglut! –

Ihr Meister, schweigt doch und hört!


Inständig.


Hört, wenn Sachs euch beschwört!

Herr Merker dort, gönnt doch nur Ruh!

Laßt andre hören, – gebt das nur zu!

Umsonst! All eitel Trachten!

Kaum vernimmt man sein eignes Wort;

des Junkers will keiner achten:

das nenn ich Mut, singt der noch fort!

Das Herz auf dem rechten Fleck:

ein wahrer Dichter-Reck'![427]

Mach ich Hans Sachs wohl Vers und Schuh,

ist Ritter der und Poet dazu!

POGNER.

Jawohl, ich seh's, was mir nicht recht:

mit meinem Junker steht es schlecht!

Weich ich hier der Übermacht,

mir ahnet, daß mir's Sorge macht.

Wie gern säh ich ihn angenommen!

Als Eidam wär er mir gar wert:

nenn ich den Sieger jetzt willkommen, –

wer weiß, ob ihn mein Kind erwählt?

Gesteh ich's, daß mich's quält,

ob Eva den Meister wählt!

DIE LEHRBUBEN sind von der Bank aufgestanden und nähern sich dem Gemerk, um welches sie dann einen Ring schließen und sich zum Reigen ordnen.

Glückauf zum Meistersingen!

Mögt Ihr Euch das Kränzlein erschwingen;


Sie fassen sich an und tanzen im Ringe immer lustiger um das Gemerk.


das Blumenkränzlein aus Seiden fein,

wird das dem Herrn Ritter beschieden sein?

BECKMESSER.

Nun, Meister, kündet's an!


Die Meister heben die Hände.


DIE MEISTER.

Versungen und vertan!


Alles geht in großer Aufregung auseinander; lustiger Tumult der Lehrbuben, welche sich des Gemerkes, des Singstuhls und der Meisterbänke bemächtigen, wodurch Gedräng und Durcheinander der nach dem Ausgang sich wendenden Meister entsteht. – Sachs, der allein im Vordergrund geblieben, blickt noch gedankenvoll nach dem leeren Singstuhl; als die Lehrbuben auch diesen erfassen und Sachs darob mit humoristisch unmutiger Gebärde sich abwendet, fällt der Vorhang.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 411-428.
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