Fünfte Szene


[438] Walther ist die Gasse heraufgekommen; jetzt biegt er um die Ecke herum; Eva erblickt ihn.


EVA.

Da ist er!


Sie reißt sich von Magdalene los und stürzt Walther auf die Straße entgegen.


EVA außer sich.

Ja. Ihr seid es;

nein, du bist es!

Alles sag ich,

denn Ihr wißt es;

alles klag' ich,

denn ich weiß es:

Ihr seid Beides,

Held des Preises

und mein einz'ger Freund!

WALTHER leidenschaftlich.

Ach, du irrst: bin nur dein Freund,

doch des Preises

noch nicht würdig,[438]

nicht den Meistern

ebenbürtig:

mein Begeistern

fand Verachten,

und ich weiß es,

darf nicht trachten

nach der Freundin Hand.

EVA.

Wie du irrst! Der Freundin Hand,

erteilt nur sie den Preis,

wie deinen Mut ihr Herz erfand,

reicht sie nur dir das Reis.

WALTHER.

Ach, nein! Du irrst: der Freundin Hand,

wär keinem sie erkoren,

wie sie des Vaters Wille band,

mir wär sie doch verloren!

»Ein Meistersinger muß es sein;

nur, wen ihr krönt, den darf sie frei'n!«

So sprach er festlich zu den Herrn;

kann nicht zurück, möcht er auch gern! –

Das eben gab mir Mut:

wie ungewohnt mir Alles schien,

ich sang voll Lieb und Glut,

daß ich den Meisterschlag verdien. –

Doch, diese Meister!


Wütend.


Ha! diese Meister!

Dieser Reimgesetze

Leimen und Kleister! –

Mir schwillt die Galle,

das Herz mir stockt,

denk ich der Falle,

darein ich gelockt.

Fort, in die Freiheit!

Dahin gehör ich, –

da, wo ich Meister im Haus!

Soll ich dich frei'n heut,

dich nun beschwör ich,

komm und folg mir hinaus!

Nichts steht zu hoffen;

keine Wahl ist offen!

Überall Meister,

wie böse Geister,

seh ich sich rotten,[439]

mich zu verspotten:

mit den Gewerken,

aus den Gemerken,

aus allen Ecken,

auf allen Flecken,

seh ich zu Haufen

Meister nur laufen,

mit höhnendem Nicken

frech auf dich blicken,

in Kreisen und Ringeln

dich umzingeln,

näselnd und kreischend

zur Braut dich heischend,

als Meisterbuhle

auf dem Singstuhle,

zitternd und bebend,

hoch dich erhebend!

Und ich ertrüg es, sollt es nicht wagen,

gradaus tüchtig drein zu schlagen?


Man hört den starken Ruf eines Nachtwächterhorns.


Ha!


Walter hat mit emphatischer Gebärde die Hand an das Schwert gelegt und starrt wild vor sich hin.


EVA faßt ihn besänftigend bei der Hand.

Geliebter, spare den Zorn;

's war nur des Nachtwächters Horn. –

Unter der Linde

birg dich geschwinde;

hier kommt der Wächter vorbei.

MAGDALENE ruft leise unter der Türe.

Evchen! 's Zeit: mach dich frei!

WALTHER.

Du fliehst?

EVA lächelnd.

Muß ich denn nicht?

WALTHER.

Entweichst?

EVA mit zarter Bestimmtheit.

Dem Meistergericht.


Sie verschwindet mit Magdalene im Hause.


DER NACHTWÄCHTER ist während dem in der Gasse erschienen, kommt singend nach vorn, biegt um die Ecke von Pogners Haus und geht nach links zu weiter ab.

Hört, ihr Leut, und laßt euch sagen,

die Glock hat zehn geschlagen;

bewahrt das Feuer und auch das Licht,[440]

daß niemand kein Schad geschicht.

Lobet Gott den Herrn! –

SACHS welcher hinter der Ladentüre dem Gespräche gelauscht, öffnet jetzt, bei eingezogenem Lampenlicht, ein wenig mehr.

Üble Dinge, die ich da merk:

eine Entführung gar im Werk?

Aufgepaßt! Das darf nicht sein. –

WALTHER hinter der Linde.

Käm sie nicht wieder? O der Pein!


Eva kommt in Magdalenes Kleidung aus dem Hause: die Gestalt gewahrend.


Doch ja, sie kommt dort? – Weh mir! – nein! –

die Alte ist's. –


Eva erblickt Walther und eilt auf ihn zu.


Doch – aber – ja!

EVA.

Das tör'ge Kind, da hast du's, da!


Sie wirft sich ihm heiter an die Brust.


WALTHER hingerissen.

O Himmel! Ja, nun wohl ich weiß,

daß ich gewann den Meisterpreis.

EVA.

Doch nun kein Besinnen!

Von hinnen! Von hinnen!

O, wären wir schon fort!

WALTHER.

Hier durch die Gasse, dort

finden wir vor dem Tor

Knecht und Rosse vor.


Nachtwächterhorn entfernt.

Als sich Beide wenden, um in die Gasse einzubiegen, läßt Sachs, nachdem er die Lampe hinter eine Glaskugel gestellt, durch die ganz wieder geöffnete Ladentüre einen grellen Lichtschein quer über die Straße fallen, so daß Eva und Walther sich plötzlich hell erleuchtet sehen.


EVA Walther hastig zurückziehend.

O weh! Der Schuster! –

Wenn er uns säh!

Birg dich – komm ihm nicht in die Näh!

WALTHER.

Welch andrer Weg führt uns hinaus?

EVA.

Dort durch die Straße; doch der ist kraus,

ich kenn ihn nicht gut; auch stießen wir dort

auf den Wächter.

WALTHER.

Nun denn, durch die Gasse.

EVA.

Der Schuster muß erst vom Fenster fort.

WALTHER.

Ich zwing ihn, daß er's verlasse.

EVA.

Zeig dich ihm nicht: er kennt dich.

WALTHER.

Der Schuster?[441]

EVA.

's ist Sachs.

WALTHER.

Hans Sachs? Mein Freund!

EVA.

Glaub's nicht!

Von dir Übles zu sagen nur wußt er.

WALTHER.

Wie? Sachs? Auch er? – Ich lösch ihm das Licht.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 438-442.
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