Dritter Aufzug

[854] Freie, anmutige Frühlingsgegend auf dem Gebiete des Grales. Nach dem Hintergrunde zu sanft ansteigende Blumenaue. Den Vordergrund nimmt der Saum des Waldes ein, der sich nach rechts zu, auf steigendem Felsengrund, ausdehnt. Im Vordergrunde, an der Waldseite, ein Quell; ihm gegenüber, etwas tiefer, eine schlichte Einsiedlerhütte, an einen Felsblock gelehnt. Frühester Morgen.


GURNEMANZ zum hohen Greise gealtert, als Einsiedler, nur in das Hemd des Gralsritters gekleidet, tritt aus der Hütte und lauscht.

Von dorther kam das Stöhnen:

so jammervoll klagt kein Wild,

und gewiß gar nicht am heiligsten Morgen heut.


Dumpfes Stöhnen von Kundrys Stimme.


Mich dünkt, ich kenne diesen Klageruf?


Er schreitet entschlossen einer Dornenhecke auf der Seite zu: diese ist gänzlich überwachsen; er reißt mit Gewalt das Gestrüpp auseinander: dann hält er plötzlich an.


Ha! Sie – wieder da?

Das winterlich rauhe Gedörn

hielt sie verdeckt, – wie lang schon?

Auf! Kundry! Auf!

Der Winter floh, und Lenz ist da!

Erwache! Erwache dem Lenz!


[854] Er zieht Kundry, ganz erstarrt und leblos, aus dem Gebüsch hervor und trägt sie auf einen nahen Rasenhügel.


Kalt und starr. –

Diesmal hielt ich sie wohl für tot:

doch war's ihr Stöhnen, was ich vernahm?


Er reibt der erstarrt vor ihm ausgestreckten Kundry stark die Hände und Schläfe und bemüht sich in allem, die Erstarrung von ihr weichen zu machen. Endlich scheint das Leben in ihr zu erwachen – sie erwacht völlig – als sie die Augen geöffnet, stößt sie einen Schrei aus. – Sie ist in rauhem Büßergewande, ähnlich wie im ersten Aufzuge, nur ist ihre Gesichtsfarbe bleicher, aus Miene und Haltung ist die Wildheit verschwunden. – Sie starrt lange Gurnemanz an. Dann erhebt sie sich, ordnet sich Kleidung und Haar, und läßt sich sofort wie eine Magd zur Bedienung an.


GURNEMANZ.

Du tolles Weib!

Hast du kein Wort für mich?

Ist dies der Dank,

daß dem Todesschlafe

noch einmal ich dich erweckt?

KUNDRY neigt langsam das Haupt; dann bringt sie, rauh und abgebrochen, hervor:

Dienen – dienen.

GURNEMANZ schüttelt den Kopf.

Das wird dich wenig mühn:

auf Botschaft sendet sich's nicht mehr;

Kräuter und Wurzeln

findet ein jeder sich selbst,

wir lernten's im Walde vom Tier.


Kundry hat sich während dem umgesehen, gewahrt die Hütte und geht hinein. – Gurnemanz blickt ihr verwundert nach.


Wie anders schreitet sie als sonst!

Wirkte dies der heilige Tag?

Oh! Tag der Gnade ohne Gleichen!

Gewiß, zu ihrem Heile

durft ich der Armen heut

den Todesschlaf verscheuchen.


Kundry kommt wieder aus der Hütte; sie trägt einen Wasserkrug und geht damit zum Quelle. Sie gewahrt hier, nach dem Walde blickend, in der Ferne einen Kommenden und wendet sich zu Gurnemanz, um ihn darauf hinzudeuten.


GURNEMANZ in den Wald blickend.

Wer nahet dort dem heiligen Quell?

In düst'rem Waffenschmucke?

Das ist der Brüder keiner!


[855] Während des folgenden Auftrittes des Parsifal entfernt sich Kundry mit dem gefüllten Kruge langsam in die Hütte, wo sie sich zu schaffen macht. – Parsifal tritt aus dem Walde auf. Er ist ganz in schwarzer Waffenrüstung; mit geschlossenem Helme und gesenktem Speere schreitet er, gebeugten Hauptes, träumerisch zögernd, langsam daher und setzt sich auf dem kleinen Rasenhügel am Quelle nieder.


GURNEMANZ nachdem er Parsifal staunend lange betrachtet tritt nun näher zu ihm.

Heil dir, mein Gast!

Bist du verirrt, und soll ich dich weisen?


Parsifal schüttelt sanft das Haupt.


Entbietest du mir keinen Gruß?


Parsifal neigt das Haupt.


GURNEMANZ unmutig.

Hei! – Was?

Wenn dein Gelübde

dich bindet, mir zu schweigen,

so mahnt das meine mich,

daß ich dir sage, was sich ziemt.

Hier bist du an geweihtem Ort:

da zieht man nicht mit Waffen her,

geschloss'nen Helmes, Schild und Speer;

und heute gar! Weißt du denn nicht,

welch heil'ger Tag heut ist?


Parsifal schüttelt mit dem Kopfe.


Ja! Woher kommst du denn?

Bei welchen Heiden weiltest du,

zu wissen nicht, daß heute

der allerheiligste Charfreitag ist?


Parsifal senkt das Haupt noch tiefer.


Schnell ab die Waffen!

Kränke nicht den Herrn, der heute,

bar jeder Wehr, sein heilig Blut

der sündigen Welt zur Sühne bot! –


Parsifal erhebt sich, nach einem abermaligen Schweigen, stößt den Speer vor sich in den Boden, legt Schild und Schwert davor nieder, öffnet den Helm, nimmt ihn vom Haupte und legt ihn zu den anderen Waffen, worauf er dann zu stummem Gebete vor dem Speer niederkniet. Gurnemanz betrachtet Parsifal mit Staunen und Rührung. – Er winkt Kundry herbei, welche soeben wieder aus der

Hütte getreten ist. – Parsifal erhebt jetzt seinen Blick andachtsvoll zu der Lanzenspitze auf.
[856]

GURNEMANZ leise zu Kundry.

Erkennst du ihn?

Der ist's, der einst den Schwan erlegt.


Kundry bestätigt mit einem leisen Kopfnicken.


Gewiß, 's ist Er,

der Tor, den ich zürnend von uns wies.


Kundry blickt starr, doch ruhig auf Parsifal.


Ha! Welche Pfade fand er?

Der Speer, – ich kenne ihn!


In großer Ergriffenheit.


Oh! Heiligster Tag,

an dem ich heut erwachen sollt!


Kundry hat ihr Gesicht abgewendet.


PARSIFAL erhebt sich langsam vom Gebete, blickt ruhig um sich, erkennt Gurnemanz und reicht diesem sanft die Hand zum Gruß.

Heil mir, daß ich dich wieder finde.

GURNEMANZ.

So kennst auch du mich noch?

Erkennst mich wieder,

den Gram und Not so tief gebeugt?

Wie kamst du heut – woher?

PARSIFAL.

Der Irrnis und der Leiden Pfade kam ich;

soll ich mich denen jetzt entwunden wähnen,

da dieses Waldes Rauschen

wieder ich vernehme,

dich guten Greisen neu begrüße? ...

Oder – irr ich wieder?

Verändert dünkt mich alles?

GURNEMANZ.

So sag, zu wem den Weg du suchtest?

PARSIFAL.

Zu ihm, des tiefe Klagen

ich törig staunend einst vernahm,

dem nun ich Heil zu bringen

mich auserlesen wähnen darf. –

Doch, ach! –

den Weg des Heiles nie zu finden,

in pfadlosen Irren

trieb ein wilder Fluch mich umher:

zahllose Nöte,

Kämpfe und Streite,

zwangen mich ab vom Pfade,

wähnt ich ihn recht schon erkannt.

Da mußte mich Verzweiflung fassen,

das Heiltum heil mir zu bergen,

um das zu hüten, das zu wahren,

ich Wunden jeder Wehr mir gewann;[857]

denn nicht ihn selber

durft ich führen im Streite, –

unentweiht

führ ich ihn mir zur Seite,

den ich nun heim geleite,

der dort dir schimmert heil und hehr:

des Grales heil'gen Speer.

GURNEMANZ in höchstes Entzücken ausbrechend.

O Gnade! Höchstes Heil!

Oh! Wunder! Heilig, hehrstes Wunder!


Nachdem er sich etwas gefaßt, zu Parsifal.


O Herr! War es ein Fluch,

der dich vom rechten Pfad vertrieb,

so glaub, er ist gewichen.

Hier bist du, dies des Grals Gebiet;

dein harret seine Ritterschaft.

Ach, sie bedarf des Heiles,

des Heiles, das du bringst!

Seit dem Tage, den du hier geweilt,

die Trauer, die da kund dir ward,

das Bangen wuchs zur höchsten Not.

Amfortas, gegen seiner Wunden,

seiner Seele Qual sich wehrend,

begehrt in wütendem Trotze nun den Tod.

Kein Flehn, kein Elend seiner Ritter

bewog ihn mehr, des heil'gen Amts zu walten.

Im Schrein verschlossen bleibt seit lang der Gral: –

so hofft sein sündenreu'ger Hüter,

da er nicht sterben kann

wann je er ihn erschaut,

sein Ende zu erzwingen,

und mit dem Leben seine Qual zu enden.

Die heil'ge Speisung bleibt uns nun versagt;

gemeine Atzung muß uns nähren:

darob versiegte unsrer Helden Kraft.

Nie kommt uns Botschaft mehr,

noch Ruf zu heil'gen Kämpfen aus der Ferne:

bleich und elend wankt umher

die mut- und führerlose Ritterschaft.

In dieser Waldeck' barg ich einsam mich,

des Todes still gewärtig,

dem schon mein alter Waffenherr verfiel;

denn Titurel, mein heil'ger Held,[858]

den nun des Grales Anblick nicht mehr labte,

er starb – ein Mensch, wie alle!

PARSIFAL bäumt sich vor großem Schmerz auf.

Und ich – ich bin's,

der all dies Elend schuf!

Ha! Welcher Sünden,

welches Frevels Schuld

muß dieses Torenhaupt

seit Ewigkeit belasten,

da keine Buße, keine Sühne

der Blindheit mich entwindet,

zur Rettung selbst ich auserkoren,

in Irrnis wild verloren,

der Rettung letzter Pfad mir schwindet! ...


Parsifal droht ohnmächtig umzusinken. Gurnemanz hält ihn aufrecht und senkt ihn zum Sitze auf den Rasenhügel nieder. – Kundry holt hastig ein Becken mit Wasser, um Parsifal zu besprengen.


GURNEMANZ Kundry sanft abweisend.

Nicht doch! Die heil'ge Quelle selbst

erquicke unsres Pilgers Bad.

Mir ahnt, ein hohes Werk

hab er noch heut zu wirken,

zu walten eines heil'gen Amtes: –

so sei er fleckenrein,

und langer Irrfahrt Staub

soll nun von ihm gewaschen sein!


Parsifal wird von den Beiden sanft zum Rande des Quelles gewendet. Unter dem Folgenden löst ihm Kundry die Beinschienen, Gurnemanz aber nimmt ihm den Brustharnisch ab.


PARSIFAL sanft und matt.

Werd heut zu Amfortas ich noch geleitet?

GURNEMANZ während der Beschäftigung.

Gewißlich; unsrer harrt die hehre Burg:

die Totenfeier meines lieben Herrn,

sie ruft mich selbst dahin.

Den Gral noch einmal uns da zu enthüllen,

des lang versäumten Amtes

noch einmal heut zu walten,

zur Heiligung des hehren Vaters,

der seines Sohnes Schuld erlag,

die der nun also büßen will,

gelobt' Amfortas uns. –


[859] Kundry badet Parsifal mit demutvollem Eifer die Füße. Er blickt mit stiller Verwunderung auf sie.


PARSIFAL zu Kundry.

Du netztest mir die Füße,

nun netze mir das Haupt der Freund!

GURNEMANZ schöpft hierbei mit der Hand aus dem Quell und besprengt Parsifals Haupt.

Gesegnet sei, du Reiner, durch das Reine!

So weiche jeder Schuld

Bekümmernis von Dir!


Während Gurnemanz feierlich das Wasser sprengt, zieht Kundry ein goldenes Fläschchen aus dem Busen und gießt seinen Inhalt auf Parsifals Füße aus; jetzt trocknet sie diese mit ihren schnell aufgelösten Haaren.


PARSIFAL nimmt Kundry sanft das Fläschchen ab und reicht es Gurnemanz.

Du salbtest mir die Füße:

das Haupt nun salbe Titurels Genoss',

daß heute noch als König er mich grüße!


Mit dem Folgenden schüttet Gurnemanz das Fläschchen vollends auf Parsifals Haupt aus, reibt dieses sanft und faltet dann die Hände darüber.


GURNEMANZ.

So ward es uns verhießen;

so segne ich dein Haupt,

als König dich zu grüßen.

Du Reiner!

Mitleidvoll Duldender,

heiltatvoll Wissender!

Wie des Erlösten Leiden du gelitten,

die letzte Last entnimm nun seinem Haupt! –

PARSIFAL schöpft unvermerkt Wasser aus der Quelle, neigt sich zu der vor ihm noch knienden Kundry und netzt ihr das Haupt.

Mein erstes Amt verricht ich so:

die Taufe nimm,

und glaub an den Erlöser!


Kundry senkt das Haupt tief zur Erde, sie scheint heftig zu weinen.


PARSIFAL wendet sich um und blickt mit sanfter Entzückung auf Wald und Wiese, welche jetzt im Vormittagslichte leuchten.

Wie dünkt mich doch die Aue heut so schön!

Wohl traf ich Wunderblumen an,

die bis zum Haupte süchtig mich umrankten,

doch sah ich nie so mild und zart

die Halme, Blüten und Blumen,[860]

noch duftet' All' so kindisch hold,

und sprach so lieblich traut zu mir.

GURNEMANZ.

Das ist Charfreitags Zauber, Herr.

PARSIFAL.

O wehe, des höchsten Schmerzentags!

Da sollte, wähn ich, was da blüht,

was atmet, lebt und wieder lebt,

nur trauern – ach! – und weinen?

GURNEMANZ.

Du siehst, das ist nicht so.

Des Sünders Reuetränen sind es,

die heut mit heil'gem Tau

beträufet Flur und Au:

der ließ sie so gedeihen.

Nun freut sich alle Kreatur

auf des Erlösers holder Spur,

will ihr Gebet ihm weihen.

Ihn selbst am Kreuze kann sie nicht erschauen;

da blickt sie zum erlösten Menschen auf:

der fühlt sich frei von Sündenlast und Grauen,

durch Gottes Liebesopfer rein und heil.

Das merkt nun Halm und Blume auf den Auen,

daß heut des Menschen Fuß sie nicht zertritt,

doch wohl – wie Gott mit himmlischer Geduld

sich sein erbarmt und für ihn litt –

der Mensch auch heut in frommer Huld

sie schont mit sanftem Schritt.

Das dankt dann alle Kreatur,

was all da blüht und bald erstirbt,

da die entsündigte Natur

heut ihren Unschuldstag erwirbt ...


Kundry hat langsam wieder das Haupt erhoben und blickt, feuchten Auges, ernst und ruhig bittend zu Parsifal auf.


PARSIFAL.

Ich sah sie welken, die einst mir lachten;

ob heut sie nach Erlösung schmachten?

Auch deine Träne ward zum Segenstaue:

du weinest, – sieh! es lacht die Aue!


Er küßt sie sanft auf die Stirne

Glockengeläute, wie aus weiter Ferne.


GURNEMANZ.

Mittag: –

die Stund ist da.

Gestatte, Herr, daß dein Knecht dich geleite!


Gurnemanz hat seinen Gralsritter-Mantel herbeigeholt: er und Kundry bekleiden Parsifal damit. – Parsifal ergreift feierlich den Speer und folgt mit Kundry dem langsam geleitenden[861] Gurnemanz. Die Gegend verwandelt sich sehr allmählich, ähnlicher Weise wie im ersten Aufzuge, nur von rechts nach links. Nachdem die Drei eine Zeitlang sichtbar geblieben, verschwinden sie gänzlich, als der Wald sich immer mehr verliert und dagegen Felsengewölbe näher rücken. – Dunkele gewölbte Gänge. Anwachsendes Glockengeläute. – Die Felswände öffnen sich, und die große Grals-Halle, wie im ersten Aufzuge, nur ohne die Speisetafeln, stellt sich wieder dar. Düstere Beleuchtung. – Von der einen Seite ziehen die Titurels Leiche im Sarge tragenden Ritter herein; von der anderen Seite die Amfortas im Siechbette geleitenden, vor diesem der verhüllte Schrein mit dem Grale.


ERSTER ZUG mit dem Gral und Amfortas.

Geleiten wir im bergenden Schrein.

den Gral zum heiligen Amte,

wen berget ihr im düst'ren Schrein,

und führt ihr trauernd daher?


Während die beiden Züge an einander vorbeischreiten.


ZWEITER ZUG mit Titurels Sarge.

Es birgt den Helden der Trauerschrein,

er birgt die heilige Kraft,

der Gott einst selbst zur Pflege sich gab:

Titurel führen wir her.

ERSTER ZUG.

Wer hat ihn gefällt, der, in Gottes Hut,

Gott selbst einst beschirmte?

ZWEITER ZUG.

Ihn fällte des Alters siegende Last,

da den Gral er nicht mehr erschaute.

ERSTER ZUG.

Wer wehrt' ihm des Grales Huld zu erschauen?

ZWEITER ZUG.

Den dort ihr geleitet, der sündige Hüter.

ERSTER ZUG.

Wir geleiten ihn heut, weil heut noch einmal

– zum letzten Male! –

will des Amtes er walten.


Amfortas ist jetzt auf das Ruhebett hinter dem Gralstische niedergelassen, und der Sarg davor niedergesetzt worden. Die Ritter wenden sich mit dem Folgenden an Amfortas.


ZWEITER ZUG.

Wehe! Wehe! Du Hüter des Grals!

Zum letzten Mal

sei des Amtes gemahnt!

AMFORTAS sich matt ein wenig aufrichtend.

Ja – Wehe! Wehe! Weh über mich!

So ruf ich willig mit euch.

Williger nähm ich von euch den Tod, –

der Sünde mildeste Sühne!


[862] Der Sarg wird geöffnet. Beim Anblick der Leiche Titurels bricht Alles in einen jähen Wehruf aus.


AMFORTAS von seinem Lager sich hoch aufrichtend, zur Leiche gewendet.

Mein Vater! –

Hochgesegneter der Helden!

Du Reiner, dem einst die Engel sich neigten:

der einzig ich sterben wollt,

dir – gab ich den Tod!

Oh! der du jetzt in göttlichem Glanz

den Erlöser selbst erschaust,

erflehe von ihm, daß sein heiliges Blut –

wenn noch einmal heut sein Segen

die Brüder soll erquicken,

wie ihnen neues Leben –

mir endlich spende den Tod!

Tod! Sterben ...

Einz'ge Gnade!

Die schreckliche Wunde, das Gift, ersterbe,

das es zernagt, erstarre das Herz!

Mein Vater! Dich ruf ich –

rufe du ihm es zu:

»Erlöser, gib meinem Sohne Ruh!«

DIE RITTER drängen sich näher an Amfortas heran.

Enthülle den Gral!

Walte des Amtes!

Dich mahnet dein Vater:

du mußt, du mußt!

AMFORTAS springt in wütender Verzweiflung auf und stürzt sich unter die zurückweichenden Ritter.

Nein! – Nicht mehr! – Ha!

Schon fühl ich den Tod mich umnachten,

und noch einmal sollt ich ins Leben zurück?

Wahnsinnige!

Wer will mich zwingen zu leben,

könnt ihr doch Tod mir nur geben?


Er reißt sich das Gewand auf.


Hier bin ich, – die off'ne Wunde hier!

Das mich vergiftet, hier fließt mein Blut:

heraus die Waffe! Taucht eure Schwerte

tief, tief – bis ans Heft! –

Auf! Ihr Helden:

tötet den Sünder mit seiner Qual,

von selbst dann leuchtet euch wohl der Gral! ...


[863] Alles ist scheu vor Amfortas gewichen, welcher, in furchtbarer Ekstase, einsam steht. – Parsifal ist, von Gurnemanz und Kundry begleitet, unvermerkt unter den Rittern erschienen, tritt jetzt hervor und streckt den Speer aus, mit dessen Spitze er Amfortas' Seite berührt.


PARSIFAL.

Nur eine Waffe taugt:

die Wunde schließt

der Speer nur, der sie schlug.


Amfortas' Miene leuchtet in heiliger Entzückung auf; er scheint vor großer Ergriffenheit zu schwanken; Gurnemanz stützt ihn.


Sei heil, entsündigt und gesühnt!

Denn ich verwalte nun dein Amt.

Gesegnet sei dein Leiden,

das Mitleids höchste Kraft

und reinsten Wissens Macht

dem zagen Toren gab! –


Parsifal schreitet nach der Mitte, den Speer hoch vor sich erhebend.


Den heil'gen Speer –

ich bring ihn euch zurück! –


Alles blickt in höchster Entzückung auf den emporgehaltenen Speer, zu dessen Spitze aufschauend, Parsifal in Begeisterung fortfährt.


Oh! Welchen Wunders höchstes Glück!

Der deine Wunde durfte schließen,

ihm seh ich heil'ges Blut entfließen

in Sehnsucht nach dem verwandten Quelle,

der dort fließt in des Grales Welle!

Nicht soll der mehr verschlossen sein: –

Enthüllet den Gral – öffnet den Schrein!


Parsifal besteigt die Stufen des Weihtisches, entnimmt dem von den Knaben geöffneten Schreine den Gral und versenkt sich, unter stummem Gebete, kniend in seinen Anblick. – Allmähliche sanfte Erleuchtung des Grales. – Zunehmende Dämmerung in der Tiefe bei wachsendem Lichtscheine aus der Höhe.


ALLE mit Stimmen aus der mittleren sowie der höchsten Höhe.

Höchsten Heiles Wunder:

Erlösung dem Erlöser!


Lichtstrahl: hellstes Erglühen des Grales. Aus der Kuppel schwebt eine weiße Taube herab und verweilt über Parsifals Haupte. Kundry sinkt, mit

dem Blicke zu ihm auf, vor Parsifal entseelt langsam zu Boden. Amfortas und Gurnemanz huldigen kniend Parsifal, welcher den Gral segnend über die anbetende Ritterschaft schwingt.

[864] Der Bühnenvorhang wird langsam geschlossen.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971.
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