Dritte Szene


[380] Kurwenal war sogleich hinter Isolde zurückgekommen; sprachlos in furchtbarer Erschütterung hat er dem Auftritte beigewohnt und bewegungslos auf Tristan hingestarrt. – Aus der Tiefe hört man jetzt dumpfes Gemurmel und Waffengeklirr. – Der Hirt kommt über die Mauer gestiegen.


HIRT hastig und leise sich zu Kurwenal wendend.

Kurwenal!

Hör!

Ein zweites Schiff.


Kurwenal fährt heftig auf und blickt über die Brüstung, während der Hirt aus der Ferne erschüttert auf Tristan und Isolde sieht.
[380]

KURWENAL.

Tod und Hölle!


In Wut ausbrechend.


Alles zur Hand!

Marke und Melot

hab ich erkannt. –

Waffen, und Steine!

Hilf mir! Ans Tor!


Er eilt mit dem Hirten an das Tor, das sie in der Hast zu verrammeln suchen.


DER STEUERMANN stürzt herein.

Marke mir nach

mit Mann und Volk:

vergeb'ne Wehr,

bewältigt sind wir.

KURWENAL.

Stell dich und hilf!

So lang ich lebe,

lugt mir keiner herein!


Man hört Brangänens Stimme, außen, von unten her.


BRANGÄNE.

Isolde! Herrin!

KURWENAL.

Brangänens Ruf?

Was suchst du hier?

BRANGÄNE.

Schließ nicht, Kurwenal!

Wo ist Isolde?

KURWENAL.

Verrät'rin auch du?

Weh dir, Verruchte!

MELOT außerhalb.

Zurück, du Tor!

Stemm dich nicht dort!

KURWENAL wütend auflachend.

Heiahaha! Dem Tag,

an dem ich dich treffe!


Melot, mit gewaffneten Männern, erscheint unter dem Tor, Kurwenal stürzt sich auf ihn und streckt ihn zu Boden.


Stirb, schändlicher Wicht!

MELOT.

Weh mir! Tristan!


Er stirbt.


BRANGÄNE noch außerhalb.

Kurwenal! Wütender!

Hör, du betrügst dich!

KURWENAL.

Treulose Magd!


Zu den Seinen.


Drauf! Mir nach!

Werft sie zurück!


Sie greifen von neuem an.


MARKE außerhalb.

Halte, Rasender!

Bist du von Sinnen?

KURWENAL.

Hier wütet der Tod![381]

Nichts andres, König,

ist hier zu holen:

willst du ihn kiesen, so komm!


Er dringt auf Marke und dessen Gefolge ein.


MARKE unter dem Tore mit Gefolge erscheinend.

Zurück! Wahnsinniger!

BRANGÄNE hat sich seitwärts über die Mauer geschwungen und eilt in den Vordergrund.

Isolde! Herrin!

Glück und Heil!

Was seh ich! Ha!

Lebst du? Isolde!


Sie müht sich um Isolde. – Marke mit seinem Gefolge hat Kurwenal mit dessen Helfern vom Tore zurückgetrieben und dringt herein.


MARKE.

O Trug und Wahn!

Tristan! Wo bist du?

KURWENAL schwer verwundet, schwankt vor Marke her nach dem Vordergrund.

Da liegt er –

hier –, wo ich – liege.


Er sinkt bei Tristans Füßen zusammen.


MARKE.

Tristan! Tristan!

Isolde! Weh!

KURWENAL nach Tristans Hand fassend.

Tristan! Trauter!

Schilt mich nicht –,

daß der Treue auch mitkommt!


Er stirbt.


MARKE.

Tot denn alles!

Alles tot!

Mein Held, mein Tristan!

Trautester Freund,

auch heute noch

mußt du den Freund verraten?

Heut, wo er kommt,

die höchste Treue zu bewähren?

Erwache meinem Jammer!


Schluchzend über die Leiche sich herabbeugend.


Du treulos treu'ster Freund!

BRANGÄNE die in ihren Armen Isolde wieder zu sich gebracht.

Sie wacht, sie lebt!

Isolde! hör mich,

vernimm meine Sühne!

Des Trankes Geheimnis

entdeckt ich dem König:[382]

mit sorgender Eil'

stach er in See

dich zu erreichen,

dir zu entsagen,

dir zuzuführen den Freund.

MARKE.

Warum, Isolde,

warum mir das?

Da hell mir enthüllt,

was zuvor ich nicht fassen konnt,

wie selig, daß den Freund

ich frei von Schuld da fand!

Dem holden Mann

dich zu vermählen,

mit vollen Segeln

flog ich dir nach.

Doch Unglückes

Ungestüm,

wie erreicht es, wer Frieden bringt?

Die Ernte mehrt ich dem Tod:

der Wahn häufte die Not.

BRANGÄNE.

Hörst du uns nicht?

Isolde! Traute!

Vernimmst du die Treue nicht?


Isolde, die nichts um sie her vernommen, heftet das Auge mit wachsender Begeisterung auf Tristans Leiche.


ISOLDE.

Mild und leise

wie er lächelt,

wie das Auge

hold er öffnet –

seht ihr's, Freunde?

Säht ihr's nicht?

Immer lichter

wie er leuchtet,

Stern-umstrahlet

hoch sich hebt?

Seht ihr's nicht?

Wie das Herz ihm

mutig schwillt,

voll und hehr

im Busen ihm quillt?

Wie den Lippen,

wonnig mild,

süßer Atem[383]

sanft entweht?

Freunde! Seht!

Fühlt und seht ihr's nicht? –

Höre ich nur

diese Weise,

die so wunder-

voll und leise,

Wonne klagend,

Alles sagend,

mild versöhnend

aus ihm tönend

in mich dringet,

auf sich schwinget,

hold erhallend

um mich klinget?

Heller schallend,

mich umwallend,

sind es Wellen

sanfter Lüfte?

Sind es Wolken

wonniger Düfte?

Wie sie schwellen,

mich umrauschen,

soll ich atmen,

soll ich lauschen?

Soll ich schlürfen,

untertauchen?

Süß in Düften

mich verhauchen?

In dem wogenden Schwall,

in dem tönenden Schall,

in des Welt-Atems

wehendem All –,

ertrinken,

versinken –,

unbewußt –,

höchste Lust!


Isolde sinkt, wie verklärt, in Brangänes Armen, sanft auf Tristans Leiche. – Große Rührung und Entrücktheit unter den Umstehenden. – Der Vorhang fällt während der letzten Fermate.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 380-384.
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