Atalanta an Phaethon

[238] Ich stand am See. Der Mond schien ebenso hell auf die stille dämmernde Gegend wie einst, als wir miteinander in den Kahn traten. Blasses Gewölk küßte die verschwimmenden Bilder der Berge. Der Wind spielte wie ein liebender Geist in den Blättern. Überall war ein sanftes inniges Wogen der Natur, in den silbernen zitternden Wellen, im wankenden Laub, in den Bildern der Bäume auf dem Wasserspiegel, in den Wolken des lautern Äthers. Selbst der dunkle Himmel schien zu quillen und zu wogen wie ein seelenvolles lieberfülltes Auge. Und doch war's so eine heilige Stille, so ein überschwänglichsüßes Schweigen.

Ich schaukelte mich allein im Kahne. Mein Auge hob sich zum Mond und weinte seine Tränen hinauf und trank Ruhe, Demut und Frieden aus seinem Lichte. Immer stiller und stiller ward mein Gemüt und immer lauterer, voller. Ein unbegreiflich seliges Sehnen schwang mich fort. Dann verlor sich mein nasses Auge in Himmel und Wasser, drang tiefer und immer tiefer, bis es schwamm in Licht und Dunkel.[239]

Ich schlummerte ein im Kahne. Mir träumte, es wäre auch Mondnacht und ich triebe in der nämlichen Gegend auf dem See. An Dich dacht' ich. Vom Ufer herüber aus dem Laube schwebten unendlich zarte Töne, drangen durch mein Tiefinnerstes, voll Liebe, voll Innigkeit, voll reiner Seele. Mit einemmal hob sich der Kahn im Gewässer. Ich erschrak. Ein weißer zarter Knabe mit blonden Locken und duftenden Rosenkränzen lenkte mit rosenroten Banden ein paar blendendweiße Schwäne durch die Luft. Seine Nähe war wunderbar beseligend. Er schwebte zu mir in den Kahn und legte seine Händchen um meinen Hals und blickte mich so liebend an mit seinem blauen Auge und küßte meine Lippen. Dann zogen die Schwäne den Kahn durch die Luftwellen weiter und immer weiter. Es schwand das Dunkel. Mich umwogte das glänzendste reinste Licht. Da wachte ich auf. Der Kahn war wieder ans Ufer getrieben. Ich stieg aus; aber den Traum sagte ich weder dem Vater noch Cäcilien.

Die Guten sagen, ich sei blaß geworden. Diese Tage fühlte ich körperliche Schmerzen. Vielleicht schwebe ich bald hinüber! Eine Ahnung sagt es mir.

Erschrick nicht, Du bange zerrüttete Seele! Ich bringe zu Gott einen Busen voll unsterblicher Liebe.[240]


Mit starrem Entsetzen legte Phaethon den Brief aus der Hand. Von nun an war alle Ruhe für ihn dahin. Er rang mit dem Wahnsinn.

Alles Maß verlor er in Genüssen. Der Fürst erfuhr davon und verwies es ihm nachdrücklich. Phaethon wurde trotzig, stolz und übermütig. Es war umsonst, daß ihn Freunde warnten. Er hielt sie für keine Freunde.

Eine Krankheit warf ihn nieder; aber seine Natur war stark und hielt die Stürme aus.

Um diese Zeit kam unvermutet sein Theodor an, den er noch immer warm und treu liebte. Er erschrak über Phaethons Aussehen.

Er gab sich alle Mühe, die Gemütskrankheit des Freundes zu lindern oder gar zu heilen. Er hätte ihm eine Reise zu Atalanta vorgeschlagen, aber er kannte den Unglücklichen und wußte wohl, wie dann seine entflammten Lebensgeister vollends rasten, alles Maß verlören.

Phaethon war oft mürrisch, immer empfindlich, leicht zu beleidigen; und wenn er es war, so tobte er bald; bald weinte er wieder. Theodor gab ihm nach, fügte sich ihm ganz. Er duldete alle seine Launen und Stimmungen; kam ihm überall entgegen mit Liebe. Phaethon fühlte es wohl.

Halbe Tage lang sprach er von Griechenland, aber immer unzusammenhängend. Er versicherte, daß er dahin gehe, sobald es der Fürst erlaube.

Auf seinem Klavier spielte er wilde grelle Phantasien; und wenn er etwas ruhiger wurde, hauchte er ein brennendes Gefühl in unendlich traurigen Elegien aus.[241]

Theodor erfuhr seine Ausschweifungen. Er war entsetzt. Fast gab er den Armen verloren.

Er war immer um ihn; bat ihn oft mit Tränen, an seinem Halse liegend, sich zu bessern. Phaethon ward dann rasend. Seine Augen rollten wütend im Kreise; Zuckungen wandelten den Unglücklichen an. Er weinte laut; raufte sich die Haare.

Theodor schwieg endlich.

Einst kam er des Morgens auf sein Zimmer. Vor Schreck blieb er stehen. Phaethon kniete an der Wand. Sein Kopf lag auf einem Stuhle. Theodor lief auf ihn zu. Der Arme regte sich nicht. Er schüttelte ihn voll Entsetzen. Endlich bewegte er sich, drehte den Kopf zurück und sah den Freund mit einem fürchterlich irren verglühenden Blick an, voll verbissenem Schmerz, voll Wahnsinn. Die Haare hingen ihm wild über das Gesicht. Plötzlich sprang er auf und ergriff den Freund am Halse mit einem wütenden Schrei. Dieser hielt ihm mit Mühe die Arme. Phaethon stürzte stumm zu Boden.

Ein Brief lag auf dem Tische. Mit Zittern ergriff ihn Theodor. Er war von Atalanta.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 238-242.
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