Phaethon an Theodor!

[200] Von einem Dorf aus schreib' ich Dir, mein Lieber, das zwei Tagereisen entfernt ist von Cäciliens Schlosse.

O ihr Träume, ihr seligen Träume von ewiger Wonne, die ihr mich umquollet wie der Kuß des Mondlichts, warum seid ihr entflohn wie wesenlose Dunstgebilde? Ach, warum so bald entflohn?

Man weckte mich. Ich kleidete mich an. O Gott, mit welcher Empfindung! Dann blickt' ich noch einmal die dunkeln Häuser an, wo die Geliebte schlummerte.

Es war so schaurig still umher. Jedes verwehende Ach! wäre hörbar gewesen.

Lebe wohl, Geliebte, lebe wohl! rief ich noch einmal in heißen Tränen, schwang mich aufs Pferd und flog zum Hoftor hinaus.

Nach und nach ward der Osten von dämmerndem Blaßgelb umsäumt. Die Nacht war nicht mehr so grausig still. Ein Vogel sang hie und da sein Morgenlied auf einem Zweige.

Mit jedem Schritte ward's mir schwerer ums Herz. Eine namenlose Gewalt zog mich zurück.[201] Vielleicht, dacht' ich, schlägt sie nun die Augen auf und – weint!

Die Morgenglocken vom Dorfe klangen herüber mit ihren wohlbekannten Tönen durch die Stille.

Da ging die Sonne auf und schwebte wie ein glutroter Flammenball in ihrer ganzen unermeßlichen Größe hinter grauem am Horizont gelagertem Dufte. Der trübe dünngewobene Schleier des hüllenden Morgennebels verbarg die ferne Landschaft dem Blick.

Ich war auf einem Hügel, wo auf dem einsam verlassenen Boden alte breitästige Eichen und einzelnstehende Tannen dunkelschattend in großartigen Gruppen dem Aug' entgegentraten.

Die dichten, mit Gezweig vermählten Bäume breiteten einen ernsten hellgrauen Schatten umher, und die Sonne goß durch die Äste zitternd mit mondähnlicher Beleuchtung einen ungewissen Lichtton über die saftgrünen Wiesengründe.

Durch die Eichenblätter flüsterte der wallende Windhauch wie Küsse der Liebe.

Ich stieg ab, blieb lange sitzen auf einem Stein und weinte wie ein Kind. Wohin ich komme, wußte ich nicht, aber woher, ach, das fühlte ich nur zu lebhaft!

Bruder, ich kann Dir dieses Gefühl nicht schildern. Die Welt war mir anders; ich hatte mich selbst verloren.

Der Morgennebel verschwand nach und nach, und die Sonne versilberte den verklärten Himmel mit milchweißen Feuerstrahlen. Es war, als ob der Herr durch das Silbermeer in edler stiller Majestät nach geöffneten Himmelstoren sich enthüllte und mitteilte,[202] und um ihn selige Geister und Engel schwebten wie ausfließende Lichtstrahlen seiner grenzenlosen Herrlichkeit. Mein Schmerz aber blieb in meiner Brust.

O, wenn ich in die Zukunft blicke, da klingt's mir wie eine Ahnung. Das werd' ich nicht überleben! Mein heißes Herz wird sich verbluten.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 200-203.
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