Phaethons letzte Aufzeichnungen

[258] In lieblicher Bläue blüht mit dem metallnen Dache der Kirchturm. Den umschwebt Geschrei der Schwalben; den umgibt die rührendste Bläue. Die Sonne geht hoch darüber und färbt das Blech im Winde; aber oben stille kräht die Fahne. Wenn einer unter der Glocke dann herabgeht, jene Treppen; ein stilles Leben ist es, weil, wenn abgesondert so sehr die Gestalt ist, die Bildsamkeit herauskommt dann des Menschen. Die Fenster, daraus die Glocken tönen, sind wie Tore an Schönheit. Nämlich, weil noch der Natur nach sind die Tore, haben diese die Ähnlichkeit von Bäumen des Waldes. Reinheit aber ist auch Schönheit. Innen aus Verschiedenem entsteht ein ernster Geist. So sehr einfältig aber die Bilder, so sehr heilig sind die, daß man wirklich oft fürchtet, die zu beschreiben. Die Himmlischen aber, die immer gut sind, alles zumal wie Reiche, haben diese Tugend und Freude. Der Mensch darf das nachahmen. Darf, wenn lauter Mühe das Leben, ein Mensch aufschauen und sagen: So will ich auch sein? Ja. So lange die[259] Freundlichkeit noch am Herzen, die reine, dauert, mißt nicht unglücklich der Mensch sich mit der Gottheit. Ist unbekannt Gott? Ist er offenbar wie der Himmel? Dieses glaub' ich eher. Des Menschen Maß ist's. Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnt der Mensch auf dieser Erde. Doch reiner ist nicht der Schatten der Nacht mit den Sternen, wenn ich so sagen könnte, als der Mensch; der heißt ein Bild der Gottheit.[260]


Gibt es auf Erden ein Maß? Es gibt keines. Nämlich es hemmen den Donnergang nie die Welten des Schöpfers. Auch eine Blume ist schön, weil sie blüht unter der Sonne. Es findet das Auge oft im Leben Wesen, die viel schöner noch zu nennen wären als die Blumen. O, ich weiß das wohl! Denn zu bluten an Gestalt und Herz und ganz nicht mehr zu sein, gefällt das Gott? Die Seele aber, wie ich glaube, muß rein bleiben; sonst reicht an das Mächtige auf Fittichen der Adler mit lobendem Gesange und der Stimme so vieler Vögel. Es ist die Wesenheit, die Gestalt ist's! Du schönes Bächlein, du scheinst rührend, indem du rollst so klar wie das Auge der Gottheit durch die Milchstraße. Ich kenne dich wohl; aber Tränen quillen aus dem Auge. Ein heiteres Leben seh ich in den Gestalten mich umblühen der Schöpfung, weil ich es nicht unbillig vergleiche den einsamen Tauben auf dem Kirchhofe. Das Lachen aber scheint mich zu grämen der Menschen; nämlich ich hab ein Herz. Möcht ich ein Komet sein? Ich glaube. Denn sie haben die Schnelligkeit der Vögel; sie blühen am Feuer und sind wie Kinder an Reinheit. Größeres zu wünschen, kann nicht des Menschen Natur sich vermessen. Der Tugend Heiterkeit verdient auch gelobt zu werden vom ernsten Geiste, der zwischen den drei Säulen wehet des Gartens. Eine schöne Jungfrau muß das Haupt umkränzen mit Myrtenblumen, weil sie einfach ist ihrem Wesen nach und ihrem Gefühl. Myrten aber gibt es in Griechenland.[261]


Wenn einer in den Spiegel sieht, ein Mann, und sieht darin sein Bild wie abgemalt; es gleicht dem Manne. Augen hat des Menschen Bild; hingegen Licht der Mond. Der König Ödipus hat ein Auge zu viel vielleicht. Die Leiden dieses Mannes, sie scheinen unbeschreiblich, unaussprechlich, unausdrücklich. Wenn das Schauspiel ein solches darstellt, kommt's daher. Wie ist mir's aber, gedenk ich Deiner jetzt? Wie Bäche reißt das Ende von Etwas mich dahin, das sich wie Asien ausdehnt. Natürlich dieses Leiden, das hat Ödipus. Natürlich ist's darum. Hat auch Herkules gelitten? Wohl. Die Dioskuren in ihrer Freundschaft, haben die nicht Leiden auch getragen? Nämlich wie Herkules mit Gott zu streiten, das ist Leiden! Und die Unsterblichkeit im Neide dieses Lebens, diese zu teilen, ist ein Leiden auch. Doch das ist auch ein Leiden, wenn mit Sonnenflecken bedeckt ein Mensch, mit manchen Flecken ganz überdeckt zu sein! Das tut die schöne Sonne; nämlich die zieht alles auf. Die Jünglinge führt die Bahn sie mit Reizen ihrer Strahlen wie mit Rosen. Die Leiden scheinen so, die Ödipus getragen, als wie ein armer Mann klagt, daß ihm etwas fehle. Sohn Laios, armer Fremdling in Griechenland! Leben ist Tod, und Tod ist auch ein Leben.[262]


Solche Papiere verwahrte er sorgfältig. Wenn er zeichnete, waren es lauter Figuren, die keinen Sinn hatten.

Plötzlich starb Cäcilie. Von Atalantas Tod an war sie nicht mehr gesund. Katons Schmerz war unermeßlich. Der wahnsinnige Phaethon schmückte ihren Leichnam auch mit Blumen.

Noch ein Jahr blieb Katon auf dem Schlosse. Dann gab er den unglücklichen Freund einem wackern Tischler in sein Haus, der im Dorfe wohnte.

Katon verschwand an einem Morgen vom Schlosse. Die drei Särge seiner Geliebten hatte er mit sich genommen. Er hatte das Schloß verkauft. Man glaubte, er sei nach Griechenland gegangen.

Phaethons Zustand ward immer elender. Er spielte nicht mehr Klavier; schrieb kein Wort mehr. Den ganzen Tag lief er in seinem Zimmer auf und ab.

Im Sommer klagte er immer über Unruhe und Beklemmung. Er wandelte dann gewöhnlich bei Nacht im Hause umher.

Der Tischler nahm ihn oft mit sich aufs Feld. Er mußte ihn aber hüten.[263]


Ein alter Freund Phaethons schrieb nach vielen Jahren einmal an einen andern Freund:

Ich kam durchs Dorf T *** Hier besuchte ich den wahnsinnigen Phaethon, der in der ganzen Umgegend bekannt ist.

Wir waren einst Jugendfreunde. Sein hoher strebender Geist, sein edler kräftiger Sinn, sein heißes Herz, selbst seine körperliche Schönheit machte ihm alle Herzen gewogen. Geliebt, geachtet ward er, wohin er kam.

Uns allen war er ein Rätsel. Er galt für einen Schwärmer. Immer klagte er über tausenderlei Dinge, wollte alles in größerem Maße, als wir begreifen, als wir geben konnten. Mit unserer Freundschaft war er nie zufrieden. Das wolle nichts heißen. Wir sollten ihn viel glühender lieben.

O, denke Dir den schönen wunderbaren Jüngling mit den blauen Augen, dem blassen lieben Angesicht, den langen braunen Locken! Denke ihn Dir zurück!

Seine Geschichte ist Dir bekannt. Laß Dir erzählen und schaudere, wie ich ihn traf.

Ich stieg eine enge steinerne Treppe hinab, die von einem kleinen Bergabhang zu einem einsamen Tischlerhause führte. Da sollte er wohnen. Ich ging eine schmale Stiege hinauf. Ein freundliches junges Mädchen trat mir entgegen. Ich fragte das hübsche Kind nach Phaethon. Sie öffnete eine Türe!

In einem kleinen engen Stübchen stand ein Mann mit langem wildem Barte, nur halb angekleidet, mit[264] großen unbeschnittenen Nägeln, die Hände auf dem Rücken zusammenschließend, sich unaufhörlich gegen mich verneigend. Er ist's, sagte das Mädchen. Ich stand da wie ein Gerichteter. Die Worte starben mir auf der Zunge. Das Mädchen sprach mir Mut ein. Ich ging endlich auf ihn zu und gab mich ihm zu erkennen. Er verneigte sich noch tiefer, schüttelte den Kopf und lispelte: Eure königliche Majestät kenne ich nicht! Nein, nein! Kenne ich nicht! Nein!

Ich schauderte.

Er stand an der Türe, die Hand auf einen Stuhl gestützt und die Füße übereinanderlegend. Unaufhörlich sprach er mit sich selbst in einer Mischung fremder Sprachen und selbsterfundener Worte. Ich sah ihn starr an. Nur noch matte Spuren seiner alten Schönheit hatte die furchtbare Krankheit zurückgelassen. In seinem großen Auge allein war noch Geist; ein unaussprechlich sonderbarer Blick, der mir durch Mark und Bein schauerte.

Ich fragte ihn noch Einiges. Er antwortete aber auf alles mit unverständlichen Worten und versicherte mir, das könne, das dürfe er nicht beantworten.

Auf einmal verneigte er sich wieder und noch tiefer als vorher. Ich glaubte, er wolle, daß ich ihn verlasse, und trat hinaus. Außen blieb ich noch eine Zeit lang stehen und sah, wie er im Zimmer auf und abging. Ich dachte an die wilden Tiere, die so in ihrem Käfig wandeln, und rannte schaudernd die Treppen hinunter.[265]


Wird der verwegen aus den Schranken getretene, sich mit Gott zu messen erkühnende, in seinem Riesenschmerz in und durch sich selbst zermalmte Geist anderswo Licht, Maß und Wahrheit finden und wie?

Reizt ihn nicht, den höchsten Geist! Lernt ihn erkennen durch – Ruhe! Dann liebet! Dann betet an! Nur wer bei Fülle Maß hält, ist ihm ähnlich, dem Maße selbst.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920.
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