Die zweiundzwanzigste Fabel.

Vom alten Jaghunde.

[46] Ein jäger het ein alten hund;

Mit dem ein hasen jagen bgund

Und tet in auf den hasen hetzen,

Daß er solt weidlich an in setzen.

Der hund lief, was er leibes mocht,

Am hasen seine macht versucht[46]

Und het gar gern getan sein best;

Mit mü erwüscht er in zu letst.

Er kunt in aber nicht ermannen:

Sein bein warn im vor alter gspannen,

Sein rücken schwach, sein zän verschlißen.

Bald het sich der has von im gerißen.

Der jäger schlug mit knütteln zu.

Der hund sprach: »Herr, verstet mich nu:

Billich soltst mirs zu gute halten

Und sehen an mich schwachen alten.

Du weist wol, als ich jünger war,

Gieng ich in sprüngen stets daher.

Da dorft ich wol dem hasen nahen

Und kunt in in eim sprunge fahen.

Ich was ganz wacker und auch risch,

Und ward gespeist von deinem tisch.

Nun ich aber bin worden alt,

Mit krankheit bladen manigfalt,

Mein zäne stumpf, mein beine schwach,

Jetzt weigerstu mir mein gemach.

Ich sehe, du bist zu widern mir,

Weil ich nicht mer kan nutzen dir.

Wenn du nun werst ein redlich man,

Soltst gegen mir dich anderst han

Und laßen mich genießen des

Ich dir gethan, du weist wol wes.

In meiner jugent war ich dir nütze:

Drumb soltst mich auch im alter schützen

Und mich zum besten genießen lan,

Was ich in der jugent hab getan.«

Wer der gemein dient sein lebenlank,

Verdient aufs letst gar wenig dank,

Leßt in der treue nicht genießen:

Solchs möcht den teufel wol verdrießen.

Ich halt vom jäger zwar nicht vil,

Der den alten hund nicht bedenken wil,

Daß er in seinen jungen tagen[47]

Hat gejagt nach alle seim behagen.

Die Welt hat noch gar vil der jäger,

Auf iren vorteil seind gute pfleger.

Dieweil sie eins genießen mögen,

Tun sie im zimlich er erzeigen;

Wenn er aber nicht mer kan nützen,

So leßt man in dahinden sitzen,

Und ist nichts in der welt so gut,

Daß mans one nutz belieben tut.

Vor zeiten hat mans auch getan:

Das klagt Ovidius von Sulmon:

»Wiewol es laut ganz lesterlich«,

Spricht er, »dennoch muß sagen ich:

Die welt ist jetzt so gar vergeßen,

Freundschaft tuts nach der woltat meßen;

Und wo die woltat jetzund wendt,

Da hat die freundschaft auch ein end.«

Die pferd, wenns nicht können ziehen baß,

Nimt in den habern und schlechts ins gras.


Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 1, Leipzig 1882, S. 46-48.
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