Die einundsechzigste Fabel.

Vom Hanen und der Katzen.

[97] Zu einem hanen kam ein katz

Und legt sich mit im in den hatz;

Zu freßen wolt sich understan,

Het doch kein ursach zu dem han,

Denn daß sie sprach: »Du böser vogel,

Des nachtes schlegst mit deinen flögeln,

Mit deiner stimm tustu erschrecken

Und aus dem schlaf die leut erwecken.«

Da sprach der han: »Ja, das ist gut;

Ich wach und halt die leut in hut[97]

Und tu sie stetes wacker machen,

Daß sie zur arbeit auferwachen.«

Da sprach die katz: »Du böser wicht,

Lest dich dünken, seist schüldig nicht?

Du schonst nicht deiner mutter zwar,

Hasts mit deinr schwester offenbar

Zu schaffen da vor jederman:

Demnach wiltu nichts han getan.«

Dasselb wolt auch der han vortedigen,

Daß in die katz nicht solt beschedigen.

Die katz sprach: »Laß ich dich vorbaß

Antwort geben auf alles das,

So hab ich warlich nichts an dir,

Das früstück must jetzt geben mir.«

Wenn der boshaft ein frommen man

Denkt mit schaden zu fechten an,

So findt er wol ursach dazu,

Damit er im denn schaden tu.

Vom wolf und lamb ist oben ghört,

Wie uns die ander fabel lert.


Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 1, Leipzig 1882, S. 97-98.
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