Die achte Fabel.

Vom Löwen und Esel.

[21] Der grobe esel unbedacht

Einen löwen schimpflich belacht.

Der löw ergrimmet über in

Und sprach: »Wolan, nu ge jetzt hin!

Du hetst an mir verschuldet wol,

Daß ich dir schlüge die haut voll;

Ich wil aber mein zorn jetzt brechen,

Mich nicht an deiner grobheit rechen.

Ich dunk mich vil zu gut dazu,

Daß ich mich mit dir zanken tu.

Unvernunft hilft dir jetzt davon,

Daß du der strafe magst entgon:

Derhalben bist sicher vor mir,

Daß ich mich jetzt nicht rech an dir.«

Ein jeder wird hie unterricht,

Wenn eim leid oder schad geschicht

Von einem groben und unwißen,

Daß er denn allzeit sei geflißen,

In ungedult nicht wider schelten,

Dasselb mit rach im zu vergelten.

Die bösen und unwißen leut

Die freuen sich des allezeit,

Wenn sie bei frommen zorn erregen,

Daß sie sich inen widerlegen.

Ein großes pferd aus hohem mut

Das dunket sich gar vil zu gut,

Wenn es ein kleiner hund billt an,

Stillschweigens tuts fürüber gan.

Ein weiser nicht das lob ansicht,

Welchs im von einem narren gschicht.

Auch wenn ein bube schilt ein frommen,

Das kan im nicht zun unern kommen.

Eins schalkes lestern oder lob

Acht ein frommer in gleicher prob.


Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 1, Leipzig 1882, S. 21-22.
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