Die zweiundsechzigste Fabel.

Von einem Arzt.

[58] Ein doctor tet ein kranken arzen

So lang, biß im vergieng das farzen.

Wie man in da zu grabe trug,

Sprach er: »Wer der gewesen klug,

Het sich enthalten von dem wein,

Es möcht im jetzund beßer sein,

Und het genommen ein clystier,

Er lebet noch, fürwar glaubt mir.«

Da sprach einr von denselben fründen,

Die dasselbig mal umb in stunden:

»Herr doctor, ir solt bei seim leben

Im ein solchen rat han geben,

So het er gtögt, jetzt taug er nicht;

Bös rat, der nach der tat geschicht!«

Wenn dir dein freunt ein rat wil geben,

Der tus zu rechter zeit und eben.

Gibt ern zu spat oder zu fru,

So denk, er spottet dein dazu.

Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 2, Leipzig 1882, S. 58-59.
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