Die zweiundsiebzigste Fabel.

Von einem Holzhauer.

[66] Holz hieb ein armer man im walt;

Bei einem waßer im entfallt

Sein bil, entsprang im aus dem helb

Und fiel ins waßer gleich daselb.

Er wolts suchen, es war zu tief;

Aus angst Mercurium anrief

Und sprach: »Du tust mich oft ernern,

Woltst mir ein ander bil beschern.«

Mercurius tet sichs erbarmen,

Erschein zu hand demselben armen

Und zeigt im da ein gülden bil

Und sprach: »Ists das, welchs dir entfiel?«

Er besahs und sprach: »Es ists nit, herr.«

Da bracht er im ein silberns her

Und sprach: »Besihs, ist das nit dein?«

Als ers besehen het, sprach: »Nein.«

Er zeigt im eins von eisen gmacht;

Sprach: »Das ist mein!« Mercuri lacht,[66]

Sahe, daß er from, one schulden,

Gab im das silbern mit dem gulden.

Ward fro; sagt solchs daheime nach.

Da solchs seinr gsellen einer sach,

Warf sein axt auch daselb hinein,

Setzt sich dabei nider und grein.

Mercurius die sach vernam,

Mit einer gülden axt herkam,

Sprach: »Ist die dein, so nims zu dir.«

Er sprach: »Sie ists, gebt sie nur mir.«

Mercurius sein meinung sach,

Mit zorn zum selben bauren sprach:

»Wie darfstu so frevelich liegen?

Meinst auch die götter zu betriegen?

Derhalben bistu gar wol wert,

Daß dir dein axt nicht wider werd.«

So gets: wer allzu vil wil haben,

Tut im selber ind eisen traben.

So ser als Gott beliebt die schlechten,

So straft er auch die ungerechten.

Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 2, Leipzig 1882, S. 66-67.
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