Die elfte Fabel.

Vom Schultheiß und seinem Pfarrherrn.

[161] Der schultheiß von der Lichtenau

Het selb daheim ein schöne frau;

Dennoch seins nachbarn weib begert.

Wiewol er des nit ward gewert,

Doch rauet in die sünd im herzen.

Zur zeit, da man zur oster kerzen

Zurichtet und das wachs einweicht,

Da gieng der gut man auch zur beicht

Zu seim pfarrherrn, Niklaus vom Sturm,

Sprach: »Herr, auf gnad ich zu euch kum,

Mein sünd zu beichten und zu büßen,

Zu frieden stellen mein gewißen.«

Wie er nun beichtet, was er wust,

Sprach zuletst: »Auch hat mich gelüst

Meins nehsten weib, wiewol die tat

Nit mit dem werk erzeiget hat.«

Der pfarrherr sprach: »Mein lieber son,

Mit allen sünden wer gut ton;

Daß du aber deins nehsten weib

Berauben woltest seinem leib,

Wird gleich so hoch vor Gott geacht,

Als hettests mit der tat vollbracht,

Und ist ein casus reservat

Und nicht in meiner potestat.

Gen Heilsperg must zum bischof ziehen,

Der wird auf disen sambstag weihen:

Da wirst von im wol absolviert

Und leichtlich mit dir dispensiert.«

Er sprach: »Herr pfarrherr, lieber herr,

Dahin zu ziehen wurd mir schwer,

Dazu ein großes aufsehn machen;

Man sprech: was mag der han vor sachen,

Daß er jetzt hin gen Heilsperg lauft?

Wer weiß, leicht aus dem bann sich kauft.[162]

Wenn ir mich könten absolviern,

Ich wolt mich gerne laßen lern.«

Der pfarrherr sprach: »Ein frommer hirt

Sol seine schäflin, die geirrt,

An iren brechen treulich heilen

Und alles gutes mit in teilen.

So ir euch schicken in die sachen,

Wöllen wir sehen, wie wirs machen.

Als ich letsten zu Rome war,

Erlangt beim penitentiar,

Daß ich ein guten freund von sünden

In solchem casu möcht entbinden.

Wiewol michs auch hat gelt gekost,

So weiß ich wol, daß irs nit loßt,

Werd mich desselben wol ergetzen.

So wil dafür zur buß euch setzen,

Drauf euch los von den sünden sag.

Nachdem morgen ists palmetag.

Muß ich den priestern tun ein eßen,

Welch die fasten han beicht geseßen,

Daß wie bißher hinfort auch noch

Das beste tuen die karwoch;

Dazu brengt mir ein karpfen groß

Und seid damit von sünden los.

Felt euch ein großer, nemt zwen kleinen,

Doch mittelmeßig, ich nems vor einen.«

Der schultheiß gieng zun selben stunden,

Kauft ein karpfen von siben pfunden,

Nam in heimlich in seinen gern,

Gieng in die kirche zum pfarrherrn,

Sprach: »Herr pastor, hie hab ich, das

Ich euch gelobt, ir wißt wol was.«

Er bsahe in und sprach: »Tragt in hin

Und brengt in meiner kellerin,

Daß in so lang in brunnen setz

Und morgen drauf ir meßer wetz.«

Wie der schultheiß des pfarrherrn wort

Nit wol verstan oder unrecht ghort,[163]

Bracht den fisch heim zu seim gesind,

Lebt wol davon mit weib und kind.

Des sonntags lud der pfarrherr gest

Und tet in, wie er mocht, das best,

Verließ sich auf denselben karpfen

Und tet darauf sein meßer scharpfen

Und meint, er solt kommen zu tisch;

Da must er eßen kleine fisch.

Darnach kam er zum schultheiß wider

Und sprach: »Du bist vorwar nit bider!

Ich het mich nach deim wort gericht

Zum karpfen groß und kriegt in nit.«

Der schultheiß sprach: »Ei, lieber herr,

Das glaub ich warlich nimmermer!

Ich halts dafür, daß ir eurn lust

An dem karpfen habt wol gebußt:

Ist doch die bgirde und der will

Gleich wie das werk und gilt so vil,

Wie ir mich selb berichtet habt;

Drumb nemt den willen vor die tat.«

Die pfaffen oft umb geldes willen,

Daß sie irn wanst nur mögen füllen,

In vilen sachen dispensieren,

Darunder sie die leut verfüren,

Und sein dabei nit ingedenk,

Daß Gott vor sünd nimt kein geschenk.

Dasselb verstund der schultheiß baß,

Drumb er den karpfen selber aß.

Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 2, Leipzig 1882, S. 161-164.
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