Die neununddreißigste Fabel.

Vom Schmit und seiner Katzen.

[223] Im Harz da saß ein armer schmit,

Der het kein ander narung nit,

Denn daß er sich des hammers nert,

Damit des hungers sich erwert.

War ein einfeltig frommer man,

Der setzt im für und nam sich an,

Er wolt den leuten schmiden umbsunst

Aus brüderlicher lieb und gunst;

Was im von gutem willn wurd geben,

Nur von demselben wolt er leben,

Dacht: wenn sie sehn dein guten willen,

Werdens mit woltat wol erfüllen.[223]

Da solchs die leut an im vernamen,

Mit viler arbeit zu im kamen;

Der ein bracht diß, der ander das,

Beschwerten in on underlaß,

Dankten dafür und giengen hin.

Niemand gab nichts; das wundert in.

Das wert nun eben lange zeit;

Er dacht: das sein undankbar leut!

Es solt je dennoch so nit sein;

Niemand gibt nit, er dankt allein.

Hat ir danken so vil in sich,

Daß sie damit bezalen mich,

Das wil ich gar bald werden inne,

Wenn ich ein ander weis beginne!

Nun het er selb ein schöne katzen,

Die fieng die meus und große ratzen;

Davon ward hübsch, auch feißt und glat.

Dieselb band er in die werkstatt,

Daß sie kein maus noch ratz mer fieng;

Und an sein arbeit wider gieng

Und werket, wie er vor het tan

Und die leut warn an im gewon.

Und wenn die arbeit war bereit,

So namen sies mit dankbarkeit,

Dankten und giengen aus der tür.

Der schmit sprach: »Katz, das geb ich dir!«

Die katz nam ab und ward bald mager,

Dieweil sie nit aus irem lager

Mocht gen, daß nach der narung tracht,

Und man ir sonst nichts zeßen bracht.

Damit verschmacht und gar verdarb,

Daß sie zuletst auch hungers starb.

Da solchs der schmit nun innen wart,

Er sprach: »Wil mir ein ander fart

Nit gnügen lan an solchen fratzen,

Sonst get mirs gleich wie meiner katzen.«

Dem schmit es eben gangen ist,

Wie man von einem heiden list,[224]

Der het in künsten lang studiert

Und oft von seinem meister gehört,

Man solt sich nemen tugent an

Und stets woltun auch jederman,

Und einr dem andern willig geben:

Das ghört zum erbarlichen leben.

Denn wer das tet, wurd hoch gelobt

Und dafür reichlich wider bgobt.

Er dacht: das wil ich werden in,

Ob dem so sei! und gieng bald hin

Und ließ zu solchen guten sachen

Zwen große hübsche kasten machen

Und alle beid beschmiden wol.

Den einen stopfet er ganz vol

Mit kleidern, geld und hausgeret

Und was im Gott verliehen het,

Zu geben nach eins jeden bger;

Den andern ließ er bleiben ler,

Daß er darein auch legen mocht,

Was im von leuten wurd wider bracht.

Er tet den vollen kasten auf,

Da gwan er bald guten zulauf,

Gab jederman und war ganz bider;

Wenn er ward ler, so füllt ern wider

Und gab fast aus alln, wer da kam.

Zuletzt mit schaden auch vernam,

In andern kasten kam gar nüt;

Da ward er auch des gebens müd

Und sprach: »Ich sehe wol, wie sichs helt;

Es ist gar ein undankbar welt.

Man solt nur niemand tun zu gut;

Niemand ist, ders bedenken tut.

Drumb wil ich bhalten, was ich hab,

Nit hoffen auf eins andern gab.«

Wir christen aber han die ler,

Wie uns heißt Christus, unser herr,

Daß wir solln unser milde gaben

Mitteiln alln, dies von nöten haben,[225]

Auch unsern feinden lieb beweisen,

Damit den himlisch vatter preisen,

Warten dafür ein größern lon,

Den uns kein mensch hie geben kan;

Haben den trost und die zusag,

Daß uns nit bleibt an jenem tag

Ein waßertrunk, eim armen bracht,

Unvergolten oder unbedacht.

Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 2, Leipzig 1882, S. 223-226.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon