Die neunundvierzigste Fabel.

Vom Hecht und Krebs.

[258] Ein fischer tet nach fischen farn

Und durch das waßer zoh sein garn,

Daß ers jenseit zum ufer brecht.

Er fieng ein krebs, dazu ein hecht.

Da sprang der hecht, je lenger, je baß,

Sprung über sprung ins grüne gras.

Der krebs kroch, wie sie gmeiniglich

Zu kriechen pflegen, hinder sich.

Des lacht der hecht, sprach: »Lieber bruder,

Du ferst nit wol mit solchem ruder;

Dein fart hast übel vorgenummen.

Wenn du dem unglück wilt entkummen,

So musts wie ich mit springen tun:

Mit deiner weis kumst nit davon;

Mit rücklings kriechen und mit schleichen

Wirstu das waßer nit erreichen.«

Da antwort im der krebs sechsfüßig:

»Du brauchst dich fast und bist unmüßig

Und gar hönisch belachest mich;

Bist selb ein größer narr denn ich.

Mit springen tust dich hoch begeben

In dlüft; kanst doch des lufts nit leben.

Denn wie ichs sehe, daß dus vornimst,

Gar langsam zu dein brüdern kümst;[258]

Je weiter du zu landwert springst,

Je mer du nach dem unglück ringst.

Das waßer, draus wir sein gefangen,

Dem ich mit unwilln bin entgangen,

Ist meins bedunkens recht dahinden:

Ich hoffs mit solcher weis zu finden.

Drumb wenn ichs gleich mit dir versuch,

Sprüng auf in dluft oder vor mich kruch,

So wurd mir doch, wie dir, nit baß,

Wurd mit dir in der pfannen naß.

Drumb mich dein gspött nit irren sol:

Des spötters haus brennt auch einmol.«

Es gschicht gar oft in gleichen dingen,

Daß der stolze veracht den gringen.

Wenn sie in gleichen nöten sein,

Erdenkt ein guten rat der klein;

Damit dem unfall fein entkümt,

Der billch den stolzen undernimt,

Daß er hernach gar traurig sicht.

Het er dem gfolgt, es gschehe im nicht.

Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 2, Leipzig 1882, S. 258-259.
Lizenz:
Kategorien: