Die dreiundfunfzigste Fabel.

Vom Fuchs und dem Eichhorn.

[272] Das eichhorn ist ein tierlin gring,

Ein langen schwanz, ein kleines ding,

Sein wonung hats auf hohen esten,

Mit haselnüßen tut sichs mesten.

Das stieg vom hohen baum herab,

Under ein heseln sich begab,

Die nüß daselben aufzulesen.

Ongfer het da ein fuchs sein wesen

In einem loch, mit dorn verdüscht;

Lief raus, bald het das tier erwischt.

Es kert sich umb, zum fuchsen sprach:

»Herr Reinhart, tut ein wenig gmach!

Gunt mir ein wort zu guter weis:

Es glangt zu eurem lob und preis,

Wenn ir mir solchs zu gute gebt.«

Und sprach: »Ich hab nu lang gelebt

Und denk gar vil der alten jar,

Wie das zeugen mein graue har;

In diser buchen stets genist,

Eurs vatters loch allda gewist.

Der het kein vieh noch farend hab,

Nert sich nur des, was im Gott gab.

Wenn er des morgens frü ausschlief,

Etwan beim zaun ein hun ergriff,

Trug ers auf disen platz allhie,

Da fiel er nider auf sein knie,[272]

Sprach ein andechtigs gratias

Vor dasselb hun, ee denn er aß,

Und sprach drei mal drüber den segen,

Gleich wie sonst alle füchse pflegen.

Wenn ir euch auch dermaßen nert,

So wurd euch nachmals mer beschert.«

Der fuchs sprach: »Wie mein vatter pflag,

So dank ich Gott auch alle tag«,

Und wolt seins vatters lob nit schwechen,

Kniet nider, sein gebet zu sprechen.

Das eichhörnlin dieweil entfloch,

War sicher auf der buchen hoch.

Da sprach der fuchs: »Ich armer tropf!

Wer wert, der mich schlüg umb den kopf.

Jetzt wolt ich mein Gottsdienst erheben

Ueber die in den klöstern leben:

Das gratias keiner ausrüllt,

Er hab denn erst den balg gefüllt.«

Die haut sol man zu mark nit tragen,

Man hab denn erst den beren gschlagen.

Es ist ein narr, der dafür dankt,

Welchs er noch weit nit hat erlangt;

E man im gibt die globten gab,

Leuft vil waßers den Rhein hinab.

Drumb dank nit ee vor das schwein,

Du hasts denn gschoben in sack hinein.

Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 2, Leipzig 1882, S. 272-273.
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