Die sechste Fabel.

Von einem verwundten Landsknecht.

[153] Zur zeit, da keiser Maximilian

Krieg het mit den venetian,

Oft und an vilen enden siegt,

Im Foriaul vil städt bekriegt

Und gwann daselb viel feiner städt,

Das macht, daß er vil landsknecht het,

Darunder manches wildes kind,

Wie man sie da gemeinlich findt.

Da kummen zamen gut gsellen,

Die vatter, mutter nicht hören wöllen.

Under den war ein junger knecht;

Hab ich sein nam behalten recht,

So nennt er sich den schwarzen Türk,

Und war geborn von Offenburg,

Gar einen wundernaßen boßen.

Derselb ward in eim sturm geschoßen

Und heftig in den tot verwundt,

Lebt nur biß in die dritte stunt.

Wie der sturm ward erobert kaum,

Ward er bracht undern kestenbaum;

Bald kam ein pfaff zu im geloffen,

Het noch vom wein nit ausgeschlofen,

Der solt im etwas guts vorsagen,

Het selb sein tag nicht oft gepflagen,

Sprach: »Hans, ich solt dich jetzt wol lern,

Ist vil zu spat; denk auf den Herrn!

Denk auf den Herrn; hör, was ich sag:

Denk auf den Herrn an disem tag!

Denk auf den Herrn, das rat ich dir,

Und gib zuletst ein antwort mir.«

Er sprach: »Was wölt ir mich bekern?

Ich weiß zwar keinen andern herrn[154]

Denn herrn keiser Maximilian:

Was solt ich vor ein herrn sonst han?

Drauf wil ich sterben unverzagt.

Habs oft in stürmen, schlachten gwagt,

Und ward kein mal nit feldflüchtig:

Solt ich denn jetzt werden untüchtig?

Wil hie auch wie ein kriegsman sterben.«

Da gieng der topf zu kleinen scherben.

Bei disem landsknecht wol betracht,

Was ein verrüchten menschen macht.

Wie einr sein ganzes leben fert,

So wird im auch das end beschert.

Man sagt, was ein gut hak wil werden,

Das krümt sich zeitlich bei der erden.

Doch sein etlich so übergeben,

Sprechen: »Ist gleich vil, wie wir leben,

Wenn wir uns an dem end bekeren

Und uns dann lan das Gottswort leren,

Das eim nur an seim end mag nützen.

Ist gleich wie mit den armbrustschützen:

Leit nit am spannen oder bschicken,

Wenn sie nur recht und wol abdrücken,

Und daß das weiß am zweck werd troffen:

So wölln wir auch des besten hoffen.«

Und wird Gott selb damit veracht,

Sein wort und ganze schrift verlacht.

Drumb gets zuletst auch, wie es kan,

Wird glont, gleich wie sie garbeit han,

Daß auch kein andern herren wißen,

Denn des sich han im leben gflißen;

Denn die weis, darin man betagt,

Verleßt man nit, wie der poet sagt.

Das faß schmeckt nach dem ersten wein.

Was in der jugent wird gnomen ein,

Wescht im im alter nit ab der Rhein.


Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 2, Leipzig 1882, S. 153-155.
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