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[175] Lätizia war mit ihrem Mann im Opernhaus zu Buenos Aires. Man gab eine Operette, die schal war wie die Tümpel der Pampas.

In der Nachbarloge saß ein hübscher junger Mann, und Lätizia konnte nicht umhin, seine huldigenden Blicke bisweilen zu bemerken. Da fühlte sie sich hart am Arm gepackt. Es war Stephan, der ihr wortlos befahl, ihm zu folgen.

Draußen im verdunkelten Korridor näherte er sein bläulichweißes Gesicht ihrem Ohr und zischte: »Blinzelst du noch ein einziges Mal zu dem Laffen hinüber, so stoß ich dir meinen Dolch in die Brust. Richte dich danach. Hierzulande macht man in solchen Fällen kurzen Prozeß.«

Sie traten wieder in die Loge. Stephan lächelte mit glitzernden Zähnen wie ein Torero und steckte ein Stück Schokolade in den Mund. Lätizia sah ihn von der Seite an und dachte neugierig darüber nach, ob er wirklich einen Dolch bei sich trug.

Als sie in der Nacht auf die Estanzia zurückfuhren, erdrückte sie Stephan beinahe mit seinen Liebkosungen. Sie wehrte ihn ab und bat: »Zeig mir den Dolch, Stephan; gib ihn mir, ich will ihn sehen.«

»Was für einen Dolch, du Närrin?« fragte er verwundert.

»Den Dolch, den du mir ins Herz stoßen wolltest.«[175]

»Laß das nur sein,« entgegnete er dumpf; »jetzt ist nicht die Zeit, von Mord und Dolch zu reden.«

Aber Lätizia bestand eigensinnig darauf, sie wolle den Dolch sehen. Da ließ er von ihr und verfiel in düsteres Schweigen.

Und Lätizia sah, daß sie mit ihm spielen konnte. Sein düsteres Schweigen schreckte sie nicht mehr, der große Schädel nicht auf seinem Stiernacken, der lippenlose Mund nicht, das entfärbte Gesicht nicht, die außerordentlich kleinen Hände bei solcher Kraft nicht. Sie wußte, daß sie mit ihm spielen konnte.

Große Glühwürmer flogen durch die Luft und saßen allenthalben im Gras. Als der Wagen vor der Villa hielt, deutete Lätizia mit Rufen des Entzückens um sich. Es war ein Funkenregen; die leuchtenden Tiere umschwirrten die Fenster, das Dach, die Pflanzengewinde und waren sogar in den Flur gedrungen.

Lätizia blieb vor der finsteren Stiege stehen, betrachtete das phosphorische Geflimmer und fragte ängstlich, mit einer kaum vernehmlichen Selbstverspottung in der tiefen Stimme: »Sag, Stephan, mein Lieber, können sie nicht das Haus in Brand setzen?«

Der Neger Scipio, der mit der Lampe aus einer Tür trat, hörte es und grinste.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 175-176.
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