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[176] Am Dreikönigstag kam Randolph von Stettner mit mehreren Freunden nach Christiansruh. Sie hatten telephonisch angefragt, und Christian hatte Gesellschaft so lange entbehrt, daß er sie gern aufnahm und bewirtete. Randolph zu sehen, war ihm stets angenehm. In seiner Begleitung fanden sich zwei Kameraden, ein Baron Forbach und ein Hauptmann von Griesingen, ferner ein junger Privatdozent, Doktor Leonrod, der bei den Bonner Husaren sein Jahr abdiente und ebenfalls[176] in Uniform war. Christian kannte ihn von den Kommersabenden der Borussen her.

Es gab ein köstliches Mahl, und danach gab es köstliche Zigarren und Schnäpse.

»Ich sehe zu meiner Beruhigung, daß du die Leiblichkeit noch nicht verachtest,« sagte Randolph von Stettner zu Christian.

Hauptmann von Griesingen seufzte: »Wer könnte sie verachten, da sie uns so hart zusetzt und so verführerisch umgaukelt. Was ist nicht alles begehrenswert! Frauen, Pferde, Weine; Macht, Ruhm, Geld und Liebe. Ein Juwelenhändler in Frankfurt, David Markuse, hat jetzt einen Diamanten erworben und bietet ihn zum Kauf an, der über eine halbe Million kosten soll. Danach gelüstet mich zwar nicht, aber die Dinge sind doch da und werden besessen und geben Glück.«

»Es ist der Diamant Ignifer,« bemerkte Doktor Leonrod, »ein wahrer Abenteurer unter den Edelsteinen.«

»Ignifer, ein Name, der einem Diamanten ansteht,« sagte Randolph von Stettner; »aber warum sprechen Sie mit soviel Beziehung von ihm? Was unterscheidet ihn von seinesgleichen, die Höhe des Preises ausgenommen? Hat er so ungewöhnliche Schicksale gehabt?«

»Durchaus,« antwortete Doktor Leonrod, »durchaus ungewöhnliche. Ich weiß zufällig Genaueres über ihn, da ich mich, in meiner Eigenschaft als Mineraloge, manchmal auch für Edelsteine interessiere.«

»Also erzählen Sie!« riefen die jungen Offiziere.

»Der Käufer des Ignifer würde nicht wenig Mut beweisen,« fing Doktor Leonrod an; »denn der Stein ist von Verhängnis umwittert. Seine erste Besitzerin war nachweislich Madame de Montespan; sie ist gleich hernach von ihrem Herrn verstoßen worden. Dann war er Eigentum der Königin Marie Antoinette. Er wog damals fünfundneunzig Karat. Während der Revolution wurde er gestohlen und kam, entzweigespalten, erst fünfzig Jahre später wieder zum Vorschein; er wog[177] nur noch sechzig Karat. Es erwarb ihn ein Engländer, Thomas Horst, der durch Mord endete. Die Erben verkauften ihn nach Amerika; die Dame, die ihn trug, eine Mrs. Melmcoast, wurde auf einem Ball von einem Tobsüchtigen erdrosselt. Darauf kaufte ihn ein Fürst Alexander Tschernitscheff, brachte ihn nach Rußland und lieh ihn seiner Geliebten, einer Schauspielerin. Sie wurde von einem andern Liebhaber auf offener Szene erschossen, der Fürst selbst fiel durch die Kugel eines Nihilisten. Nun gelangte der Stein nach Paris, und der Sultan Abdul Hamid ließ ihn für seine Favoritin kaufen. Die Favoritin wurde vergiftet, das Ende des Sultans ist bekannt. Nach der türkischen Revolution wanderte der Ignifer wieder nach Westen, dann abermals nach Osten, denn der neue Besitzer, Tavernier war sein Name, reiste nach Indien und kam bei einem Schiffbruch in der Nähe von Singapore ums Leben. Man glaubte eine Zeitlang, daß der Diamant mit ihm verlorengegangen sei. Es war ein Irrtum; der Stein war in einem Bankhaus in Kalkutta deponiert, und jetzt ist er wieder in Europa und wieder feil.«

»Er muß einen bösen Geist beherbergen,« sagte Randolph von Stettner, »und ich gestehe, es verlangt mich nicht nach ihm. Ich bin ja nichts weniger als abergläubisch, sind aber die Tatsachen so aufdringlich, wie in diesem Fall, dann wird die erleuchtetste Skepsis zuschanden.«

»Was tut das, wenn der Stein schön ist, wenn er unvergleichlich schön ist!« sagte Christian mit einem trotzigen und in sich gekehrten Ausdruck. Er blieb wortkarg, auch als sich die Unterhaltung andern Gegenständen zuwandte.

Am nächsten Mittag befahl er, daß das Auto vorfahre. Er fuhr nach Frankfurt in die Hochstraße, wo das Geschäft des Juwelenhändlers David Markuse war.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 176-178.
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