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[365] Amadeus Voß legte Christian folgenden Plan vor: er wollte nach Berlin, als Hospitant die Universität besuchen und für das medizinische Examen arbeiten.

Christian nickte billigend und sagte, er werde in Kürze ebenfalls nach Berlin kommen. Voß ging im Zimmer auf und ab; er fragte brüsk: »Wovon soll ich leben? Soll ich Akten kopieren? Soll ich mich um Stipendien bewerben? Wenn du mir deine Gunst entziehen willst, so gesteh es offen; durch den Dreck zu waten, hab ich ja gelernt. Der neue wird nicht zäher sein als der alte.«

Christian war überrascht. Vor einer Woche, in Holland noch, hatte er Amadeus zehntausend Franken geschenkt. »Wieviel brauchst du?« fragte er.

»Kost, Logis, Kleidung, Bücher ...« zählte Voß auf, und seine Miene war die eines Fordernden, der nur aus Rücksicht den Bittsteller spielt. »Ich werde mich billig einrichten.«

»Ich lasse dir monatlich zweitausend Mark anweisen,« sagte Christian mit einem Ausdruck von Widerwillen. Das freche Verlangen nach Geld peinigte ihn. Besitz lastete wie ein Berg auf ihm; er konnte die Arme nicht freibekommen, die Brust nicht heben, das Gewicht wurde schwerer und schwerer.

In einer Chrysolitschale auf dem Tisch lag eine Krawattennadel mit einer großen, schwarzen Perle. Voß, dessen Hände immer Beschäftigung suchten, griff nach ihr, nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt sie gegen das Licht. »Willst du sie haben?« fragte Christian. »Nimm sie nur,« überredete er den Zaudernden, »ich mag sie ohnehin nicht.«

Voß trat vor den Spiegel und steckte die Nadel schweigend, mit einem eigentümlichen Lächeln in seinen Schlips.

Als Christian allein war, stand er lange nachdenkend; dann setzte er sich hin und schrieb an seinen Verwalter nach Christiansruh.[366] »Geehrter Herr Borkowski,« schrieb er in seiner steilen Schrift und seinem nicht minder ungelenken Stil, »ich habe mich entschlossen, Christiansruh zu verkaufen, und zwar samt allen Mobilien und Kunstgegenständen, samt dem Park, den Forsten und Ökonomien. Ich beauftrage Sie hiermit, einen verläßlichen und tüchtigen Agenten ausfindig zu machen, der mir etwaige günstige Offerten telegraphisch mitteilen soll. Sie kennen sich ja unter den Leuten aus und brauchen bloß einmal nach Frankfurt hinüberzufahren. Seien Sie so freundlich, die Angelegenheit in möglichster Stille zu erledigen. Inserate in Zeitungen müssen unterbleiben.«

Hierauf schrieb er einen zweiten Brief an den Aufseher des Rennstalls in Waldleiningen. Diesen abzufassen, kostete mehr Überwindung als der erste, denn er sah fortwährend die sanften und feurigen Augen der edlen Tiere auf sich gerichtet. Er schrieb: – »Geehrter Herr Schaller, ich habe mich entschlossen, meinen Rennstall aufzulösen. Die Tiere sollen ehestens zur Auktion gebracht oder unter der Hand an Liebhaber abgegeben werden. Letzteres wäre mir natürlich angenehmer, was ich auch von Ihnen voraussetze. Baron Deidinger auf Deidingshausen hat sich seinerzeit sehr für ›Columbus‹ und für ›Lovely‹ interessiert. Ziehen Sie mal Erkundigungen ein. ›Admirable‹ und ›Windsbraut‹ könnte man dem Fürsten Pleß oder Herrn von Strathmann anbieten. Sir Denis Lays ›Exzelsior‹ lassen Sie nach Baden-Baden schaffen und einstweilen im Stall des Grafen Treuberg versorgen. Ich möchte nicht, daß er allein in Waldleiningen bleibt.«

Als er die Briefe versiegelt hatte, atmete er auf. Er läutete dem Diener und gab ihm die Briefe zur Beförderung. Der Diener hatte sich schon zum Gehen gewandt, da rief ihn Christian zurück. »Ich muß Ihnen leider Ihre Stelle kündigen, Wilhelm,« sagte er; »ich will mich von jetzt an alleinbehelfen.«

Der Mann traute seinen Ohren nicht. Er war seit drei Jahren in Christians Diensten und ihm aufrichtig zugetan.[367]

»Leider, es muß sein,« sagte Christian, blickte an ihm vorüber und lächelte fast genau so eigentümlich wie Amadeus Voß, als er vor dem Spiegel die Perlennadel in seinen Schlips gesteckt hatte.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 365-368.
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