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[153] Nach seiner Rückkehr aus Afrika war Felix Imhof ein nahezu ruinierter Mann. Mißglückte Minenspekulationen hatten den größten Teil seines Vermögens verschlungen. Doch seiner Haltung tat dies keine Einbuße.

Steter Aufenthalt in Luft und Sonne hatte ihm die Haut schwärzlich gebräunt. Seine Freunde aus der Boheme nannten ihn den Abessinierfürsten. Er war noch hagerer geworden, seine Augen quollen noch gieriger aus den Höhlen, sein Lachen und Reden war noch lärmender, sein Lebenstempo noch überstürzter. Fragte man ihn nach seinem Befinden, so antwortete er: »Für zwei Jahre habe ich noch Puste, dann heißts: Zieh Kitt, Junge.«

Er hatte eine Wohnung in München und eine in Berlin, aber seine verwickelten und zahlreichen Geschäfte führten ihn jede Woche in eine andre Stadt.

Politische Freunde beredeten ihn, sich an der Gründung einer großen linksliberalen Zeitung zu beteiligen. Er sagte zu. Das Schlagwort vom Theater der Massen tauchte auf; er setzte einen Ehrgeiz darein, unter denen genannt zu werden, die für die neue Heilsidee wirkten. In dem von ihm finanzierten Verlag veranstaltete er eine Ausgabe klassischer Dichter und Schriftsteller, die durch erlesene Wahl und geschmackvollen Prunk Epoche machte. Er erhielt täglich zwanzig bis dreißig Telegramme, verschickte fünfzig bis sechzig, beschäftigte drei Schreibmaschinendamen und litt darunter, daß man das Telephon entbehren mußte, während man im Auto oder im[153] Schnellzug saß. Er entdeckte die Eignung eines verschollenen Quattrocentisten für den modernen Kunstmarkt und trieb mit Hilfe literarischer Reklame die Preise für die früher wenig beachteten Bilder zu schwindelhafter Höhe. Bei einer Emission amerikanischer Werte gewann er viermalhunderttausend Mark; gleich hernach verlor er doppelt so viel bei einem Einkauf rumänischen Holzes.

Im Dampfbad entwarf er die Skizze zu einem komischen Heldengedicht; nachts zwischen drei und fünf diktierte er abwechselnd die Übersetzung eines Romans von Lesage und einen nationalökonomischen Essay; er unterhielt einen schriftlichen Meinungsaustausch mit dem Haupt einer theosophischen Vereinigung, zechte wie ein Korpsstudent, gab Geld mit vollen Händen aus, unterstützte junge Talente, war beständig auf der Fährte nach neuen Erfindungen und machte förmlich Jagd auf Leute, die mit dergleichen umgingen, Ingenieure, Luftschiffer, Chemiker. Eines seiner kühnsten Projekte war die Fundierung einer Aktiengesellschaft, die die verborgenen Kohlenlager der Antarktis ausbeuten sollte. Den Zweiflern versicherte er, daß es sich dabei um Milliardengewinn handle und die Schwierigkeiten belanglos seien.

Eines Tages lernte er einen Techniker namens Schlehdorn kennen, ein nicht ganz vertrauenswürdiges Individuum, dessen Herabgekommenheit er gutmütig übersah. Wie beiläufig erwähnte der Mann des Übelstands, unter welchem die deutsche Schiffahrt leide, indem alle Gläser für die Fensterverschalungen aus Belgien und Frankreich bezogen werden müßten, da das Verfahren zu ihrer Herstellung streng bewahrtes Geheimnis einiger dortiger Fabriken sei. Wem es gelinge, es sich zu verschaffen, der sei für sein Leben geborgen. Imhof schnappte nach dem Köder. Er ließ sich von dem Mann über die Wege und Möglichkeiten unterrichten, vereinbarte eine Chiffernschrift für Depeschen mit ihm und gab reichlich Geld. Die Telegramme lauteten hoffnungsvoll; allerdings verlangte[154] Schlehdorn immer größere Beträge; er erklärte es mit der Notwendigkeit, Personen von Einfluß bestechen zu müssen; doch Imhof enthielt sich des Argwohns; er wollte sehen, wohin das Unternehmen führte. Da bekam er ein Telegramm Schlehdorns, worin er aufgefordert wurde, sofort mit fünfzigtausend Franken nach Andenne zu kommen, das Geschäft sei so gut wie perfekt. Er steckte fünfzigtausend Franken und seinen Revolver zu sich und reiste. Schlehdorn erwartete ihn, es war spät abends, und geleitete ihn in ein verdächtig aussehendes Gasthaus. Das Zimmer lag am Ende eines langen Flurs, und als er es betrat, wußte Imhof, woran er war. Er hatte sich noch nicht recht darin umgesehen, als zwei elegant gekleidete Herren mit Aktentaschen erschienen. Man setzte sich um den runden Tisch; Schlehdorn legte Papiere vor sich hin und blickte einen seiner Komplizen bedeutend an, der gerade die Aktentasche öffnen wollte, als Imhof aufsprang, sich mit dem Rücken gegen die Wand stellte, seinen Revolver zog und kaltblütig sagte: »Meine Herren, geben Sie sich keine Mühe; der Kaufschilling erliegt bei meinem Brüsseler Bankier, das Manöver ist zu simpel, das Lokal zu verräterisch. Keine Hand rührt sich! Sonst können Sie sich morgen beim Schneider das Loch im Anzug flicken lassen.« Diese Entschlossenheit rettete ihn. Die drei Burschen sahen eingeschüchtert zu, wie er nach seinem Reisekoffer griff und sich entfernte. Natürlich suchten sie dann auch ihrerseits mit großer Schnelligkeit das Weite.

Dieses Erlebnis, das er scherzhaft einen Ausflug in die Kolportage nannte, übte eine lähmende Nachwirkung auf Imhof. Durch einen für seine inneren Spannungen geringfügigen Anlaß wurden Erscheinungen von Überdruß und Müdigkeit ausgelöst, die sich häuften und in der Folge bemerkbar wurden. Sein Zynismus steigerte sich zur Wildheit, um plötzlich ins Sentimentale umzubrechen. »Gebt mir ein Gärtchen, zwei Stübchen, einen Hund und eine Kuh, und ich pfeife auf die[155] große Hure Babylon,« perorierte er verlogen. Eine heftige Krankheit warf ihn nieder; theatralisch traf er letzte Verfügungen, rief Freunde herbei zu letzten Gesprächen. Als er genesen war, gab er ein Fest, von dem drei Wochen lang ganz München sprach und das ihn sechzigtausend Mark kostete.

Bei diesem Fest lernte er Sybil Scharnitzer kennen und verliebte sich in sie. Es war wie eine Explosion. Er gebärdete sich wie ein Verrückter; er sagte, für dieses Frauenzimmer sei er zu jedem Verbrechen fähig. Man fragte Sybil, wie er ihr gefalle; lakonisch antwortete sie: »I don't like niggers.«

Das Wort wurde ihm hinterbracht, dreimal; von dreien, die es gehört. Der Stachel fuhr tief. In der Nacht stellte er sich vor den Spiegel, lachte bitter und zerschlug das Glas mit der Faust, die dann blutete.

Sybils Bild verfolgte ihn. Er ging überall hin, wo er sicher war, sie zu treffen. In des Mädchens Gegenwart wurde er zum Knaben, verlor die Sprache, errötete, erblaßte, machte sich zum Gespött der Zeugen. Eines Abends wagte er es, in scheuester Art von seinem Gefühl zu ihr zu reden. Sie sah ihn kalt an. Der Blick sagte: I don't like niggers. Hart, selbstisch, verbohrt, amerikanisch.

I don't like niggers. Das Wort wurde seine Erinnye. Als er vier Wochen später in Geschäften nach Paris fuhr, sah er in einem Kabarett eine junge Negerin, die einen Schlangentanz vorführte. Es reizte ihn rachsüchtig, sich ihr zu nähern. Galt die Rache nicht dem unempfindlichen Wesen, das ihn ohne Gnade zurückgestoßen, so richtete sie sich gegen ihn selbst. Es war die trotzige Wut der Lüste. Er prahlte mit der Beziehung zu der Schwarzen, zeigte sich öffentlich mit ihr. Was ihn dann weitertrieb, von Ausschweifung zu Ausschweifung, war die Angst vor dem leeren Raum, der Übergriff an der Grenze, wo die innerste Natur Schicksalserfüllung verlangt.

Und das Schicksal erfüllte sich.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 153-156.
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