Siebenter Auftritt


[174] Cölestin. Schwigerling.


CÖLESTIN von links hinten mit Schwigerlings Gepäck, das er links niedersetzt. Der Herr Hauslehrer werden Seine Durchlaucht in etwas nervöser Gereiztheit antreffen.

SCHWIGERLING folgt ihm, elegant, gewandt, in den besten Jahren. Podagra?

CÖLESTIN. Gesichtsschmerzen!

SCHWIGERLING. Läßt sich hypnotisieren. – Gibt ihm ein Trinkgeld.


Cölestin nimmt es mit der Rechten und hält die Linke hin.


SCHWIGERLING. Melden Sie mich.


Cölestin nach rechts hinten.[174]


SCHWIGERLING. Lieber Freund ...

CÖLESTIN kommt zurück, streckt die Hand vor. Befehlen, Herr Professor?

SCHWIGERLING. Eine Dame wohnt auf dem Schloß?

CÖLESTIN enthusiasmiert. Na, ich sage Ihnen ...!

SCHWIGERLING gibt ihm Geld. Melden Sie mich.


Cölestin nach rechts hinten.


SCHWIGERLING. Lieber Freund ...

CÖLESTIN kommt zurück, streckt die Hand vor. Befehlen, Herr Baron?

SCHWIGERLING. Die Dame nimmt Reitunterricht?

CÖLESTIN. Man reitet musterhaft.

SCHWIGERLING gibt ihm Geld. Achtzehn Jahr?

CÖLESTIN. Siebenundvierzig.

SCHWIGERLING. Melden Sie mich.


Cölestin nach rechts hinten.


SCHWIGERLING. Sagen Sie mal ...

CÖLESTIN kommt zurück, streckt die Hand vor. Befehlen, Herr Graf?

SCHWIGERLING. Wo habe ich Sie schon gesehen?

CÖLESTIN. Es haben mich schon so unglaublich viele Menschen gesehen; aber ... Starrt ihn an. Aber ...

SCHWIGERLING ebenso. Teufel noch mal!

CÖLESTIN zurückfahrend. Schwigerling!

SCHWIGERLING ebenso. Lebœuf!

BEIDE sich in die Arme sinkend. O schönes Paris, glückselige Jugendtage!

CÖLESTIN. Ist es denn aber möglich ...!

SCHWIGERLING lachend. Du, Kammerdiener?!

CÖLESTIN lachend. Du, Hauslehrer?!

SCHWIGERLING. Schicksale, was willst du! – Aber ich beschwöre dich, vom Théâtre-Français, aus dem leuchtenden, jauchzenden Paris ...

CÖLESTIN. Das Théâtre-Francais hatte für mich keine Lorbeeren. Heute Jean, morgen Auguste! Wie oft ich damals die goldene Zeit zurücksehnte, da ich noch auf dem wackeligen Thespiskarren die sonnige Provence durchzog, einmal als Mitridate, einmal als Britannicus die einfachen[175] Landbewohner faszinierend. Welche Seelenglut, wenn ich so die Toga über die Schulter zurückwarf – so! so!

»Darfst du, Verräter, mir ins Auge treten,

Unreiner Überrest des Raubgezüchts,

Auswurf der Hölle du!«

SCHWIGERLING. Ein zweiter Talma! Ich habe es immer gesagt. Ich war der einzige! – Aber – das Théâtre-Français aufzugeben, um ...

CÖLESTIN. Bei dir, lieber Freund, in den Feengärten von Follies-Bergère war das etwas anderes. Was warst du dort nicht alles: Komiker, Maschinist, Akrobat, Kritiker, Ballettmeister, Clown, Dramaturg, Oberregisseur, Feuerwerker, Chef der Claque ... Für mich hatte Paris nichts als Brot. Davon lebt man nicht. Ich wäre am Théâtre-Francais einer der gewöhnlichen Alltagsmenschen geworden, wie sie zu Dutzenden dort das Pflaster treten ...

SCHWIGERLING. Ach, Einbildung!

CÖLESTIN. Indessen hatte ich Gelegenheit, mir spielend in des Wortes edelster Bedeutung die Routine des perfektionierten Kammerdieners zu eigen zu machen. Fürst Rogoschin engagierte mich denn auch warm von der Bühne weg.

SCHWIGERLING. Mich hat er schweißtriefend vom ungesattelten Trakehnerhengst herunter engagiert.

CÖLESTIN. Als Hauslehrer?

SCHWIGERLING. Er habe die Universitäten von Moskau und Petersburg umsonst abgesucht!

CÖLESTIN. Das will ich ihm glauben! – Der Fürst sieht mich in einer Molièreschen Komödie für meinen Herrn, einen ausgemachten Hasenfuß, ins Duell gehen und unter donnerndem Beifallklatschen den Heldentod sterben. Solchen Diener findet man nicht alle Tage, sagte er und bot mir Handgeld. Ich schlug ein, ohne dabei im geringsten zu ahnen, wie klug ich tat ...

SCHWIGERLING hin und her gehend. Wohl immer noch Idealist, mein himmlischer Cölestin?

CÖLESTIN. Man hat seine Stellung! Man verkehrt sozusagen in der Gesellschaft. – Ich taste hier sogleich in den ersten[176] Tagen blindlings nach links, nach rechts, und was finde ich ...?

SCHWIGERLING sich in einen Sessel werfend. Eine angelehnte Tapetentür!

CÖLESTIN. Du weißt?

SCHWIGERLING. Wie immer!

CÖLESTIN. Unsere Beziehungen sind rein! Es wäre mir platterdings unmöglich, Aug in Auge mit ihr etwas – wie nennt man das doch?

SCHWIGERLING. Etwas Erhebendes zu empfinden! Daran sind noch die kleinen Pariserinnen schuld.

CÖLESTIN. Du ahnst nicht, wie himmelhoch sie hier über ihrer korrumpierten Umgebung steht. Von einer Seelengröße! Dabei sammetweich; ach, so kindlich! Unerreichbar für die gemeine Wirklichkeit!

SCHWIGERLING aufspringend, ihm entgegen. Bei achtzehn Jahren?

CÖLESTIN. Bei siebenundvierzig.

SCHWIGERLING. Schafskopf.

CÖLESTIN. Eine Sphinx! – Eine Sphinx! – Laß mich nun deine Effekten besorgen, lieber Schwigerling, und sieh, wie du dich derweil mit Seiner Durchlaucht abfindest. Das Gepäck nehmend. Man schüttelt einem die Hand hier gern mit dem Stiefelabsatz.

SCHWIGERLING. Ich habe letzten Winter in Rom einem bengalischen Tiger die Drehorgel beigebracht.

CÖLESTIN. Eine passable Vorschule! Rechts hinten ab.


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 174-177.
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