Siebentes Bild


[560] Hochgericht.

Nacht. – Im Hinter gründe ragt der Galgen empor. Links vorn, am Fuß einer knorrigen Eiche, liegt ein Felsblock, der den Auftretenden als Podium dient. Um den Felsblock lagern die Zuschauer, Männer, Weiber und Kinder, in phantastischen Trachten.


CHORUS von Tamburin begleitet.


Auf dem Dorf und in der Stadt

Schnarchen alle Menschen hinter dichtgeschloßnen Fenstern;

Siebentes Bild

Und was Haus und Bett nicht hat,

Dreht sich unterm Hochgericht mit fröhlichen Gespenstern!


Aus der Sonne Glanz verbannt,

Finden leisen Schrittes wir des Glückes Spur im Dunkeln


Und sind Herrn im weiten Land,

Wenn vom hohen Himmel die Gestirne freundlich funkeln.


EIN THEATERBESITZER mit Baßstimme redend zu einem Schauspieler. Zeig mir, was du gelernt hast, mein werter junger Freund! Hie Rhodus hic salta! Was ist dein Fach?

DER SCHAUSPIELER. Ich mache den Bajazzo, verehrter Meister.

DER THEATERBESITZER. Dann mach den Bajazzo, junger Freund. Aber mach ihn gut! Difficile est, satiram non scribere! Mein Publikum ist nur das Allerbeste gewöhnt!

DER SCHAUSPIELER. Ich werde sofort eine Probe meiner Kunst ablegen.

DER THEATERBESITZER. Wenn du Gefallen vor meinen Augen findest, junger Freund, dann hast du hundert Soldi pro[560] Monat. Pacta exacta – boni amici! Geh, junger Freund, und leg deine Probe ab!


Der Schauspieler besteigt den Felsen. Er wird von der Menge mit Klatschen und Bravorufen begrüßt.


DER SCHAUSPIELER bricht zuerst in Gelächter aus; dann spricht er die nachfolgenden Verse, jeden derselben mit einer anderen Art von Gekicher begleitend.

Graf Onofrio war ein Graf,

Dumm war er wie ein Schaf.

Er hatte sieben Töchter,

Die gerne verheiraten möcht er;

Es zeigte sich aber kein Freier –

Faule Eier! Faule Eier!

DIE ZUSCHAUER haben den Vortrag mehrfach durch Zischen und Pfeifen unterbrochen. Die letzten Worte werden von ihnen wiederholt. Faule Eier! Faule Eier!

DER THEATERBESITZER der dem Felsen gegenüber auf einem Baumstumpf steht, den Lärm überbrüllend. Nieder mit dem Kerl! Apage Gott der Herr hat ihn in seinem Zorn geschaffen! Alea est jacta!


Der Schauspieler verläßt den Felsen.


CHORUS.

Glaub nur nicht, o Menschenbrut,

Daß in eitel Träumen unser Dasein wir verläppern!

Weißt doch nicht, wie Liebe tut,

Wenn vom lichten Galgen die Gerippe dazu scheppern!


Der König, Prinzessin Alma und eine Kupplerin treten auf.


DIE KUPPLERIN. Nun, Bänkelsänger, wieviel verlangst du von mir für deinen hübschen Buben? – Höre den lieblichen Klang der Goldstücke in meiner Tasche!

DER KÖNIG. Soeben hat ihn mir hier schon ein Kunstreiter abkaufen wollen. Laßt mir doch nur meinen Buben in Frieden! Deshalb komme ich nicht hierher auf die Elendenkirchweih. Was kannst du denn überhaupt mit dem Buben wollen!

DIE KUPPLERIN. Halt mich doch nicht für so dumm, Bänkelsänger,[561] daß ich dem Buben nicht ansehen sollte, daß er ein Mädel ist! Das süße Kind bekommt in mir eine Mutter, wie sie sie liebevoller nirgends in der weiten Welt findet. Zu Alma. Zier dich nicht so, mein hübsches Täubchen! Ich fresse dich nicht! Wenn man so ebenmäßig gewachsen ist wie du und ein rundes rosiges Gesicht mit so frischen Kirschenlippen und so dunklen Glutaugen hat, dann schläft man unter seidenen Decken statt auf freiem Feld. Die Laute zu schlagen brauchst du bei mir nicht. Nur lieb sein! Was kann sich das muntre junge Blut Schöneres wünschen! Du findest Minister und Barone bei mir; brauchst nur zu wählen. Hast du dich schon einmal von einem richtigen Baron küssen lassen? Das schmeckt besser als eines Landstreichers Bartstoppeln! – Schau her, Bänkelsänger! Hier sind zwei unbeschnittene Dukaten! Das Mädel gehört mir! Abgemacht!

DER KÖNIG der die Kupplerin argwöhnisch im Auge behalten hat. Häng dich an den Galgen mit deinem Geld. – Zu Alma. Das alberne Weib sieht dich in seiner Dummheit wirklich für ein verkleidetes Mädel an! Warum bist du es nicht! Wärst du jetzt ein Mädel, du hättest die beste Gelegenheit, dir den struppigen Bänkelsänger vom Hälse zu schaffen! Schlimmeres gibt es nun doch einmal nicht, als den Hut hinhalten und Pfennige auffangen! Hast du nicht vielleicht schon Pfennige aufgenommen, die uns die mitleidigen Pflegetöchter dieser würdigen Dame herabwarfen?! Dabei haben sie immer noch Aussicht, der erhabenen bürgerlichen Gesellschaft wieder als vollwertig aufgenötigt zu werden. Der Stern leuchtet über unseren Wegen nicht!

DIE KUPPLERIN zu Alma. Laß dir, mein Herzblatt, um Gottes willen von dem Strolch den Kopf nicht heiß machen! Du glaubst nicht, wie wonnig mein Haus ist! Den ganzen Tag verbringst du mit einer Schar der muntersten Gespielinnen. Wenn dich der Bänkelsänger mir nicht verkauft, dann laß ihn hinter uns herjammern. Fürchte dich nicht vor ihm! Du bist unter meiner Obhut so sicher, als wenn dich ein ganzes Kriegsheer begleitete!

ALMA sich aus den Armen der Kupplerin frei machend. Ich[562] werde mit ihm reden. Geht an ihr vorüber zum König, mit zitternder Stimme. Ihr wißt doch noch, mein Vater, weshalb wir auf die Elendenkirchweih kamen!

DER KÖNIG. Ich weiß es, mein Kind. Er besteigt den Felsen. Von den Zuschauern wird er mit trockenem Husten empfangen. Darauf spricht er mit klarem Ton, aber innerlich bewegt.

Ich bin der Herrscher hier in diesem Land,

Von Gott ernannt, von niemand erkannt!

Und wenn ich's schriee, daß die Felsen dröhnen,

Daß ich in diesem Lande Herrscher bin,

Der Vögel Zwitschern würde mich verhöhnen!

Wozu gereicht mein königlicher Sinn?

Daß ausgehungert ich mit gierigen Zähnen

Aufschnappe, wie zur Winterszeit das Tier. –

Doch nicht, um meiner Leiden zu erwähnen,

Red ich, mein Volk, mit dir!

DIE ZUSCHAUER brechen in ein schallendes Gelächter aus, klatschen stürmisch in die Hände und rufen begeistert. Da capo! Da capo!

DER KÖNIG angstvoll und beklommen. Geehrte Zuhörer! Mein Fach auf der Bühne ist die große ernste Tragödie!

DIE ZUHÖRER laut auflachend. Bravo! Bravo!

DER KÖNIG mit Anstrengung aller Seelenkraft. Was ich euch soeben vortrug, ist mir das Teuerste, das Heiligste, was ich bis jetzt in den Tiefen meiner Seele verschlossen hielt!

DIE ZUSCHAUER erheben einen neuen Beifallssturm, aus dem man deutlich die Worte heraushört. Ein großartiger Komiker! – Ein unbezahlbarer Charakterkomiker!

DER THEATERBESITZER auf dem Baumstumpf stehend. Sprich deinen Monolog zu Ende, mein teurer junger Freund! Oder beherbergt dein armes Hirn nur diese paar Brocken? – Si tacuisses, philosophus mansisses!

DER KÖNIG. Wohlan denn! Dann aber bitte ich euch inbrünstig, meine lieben Zuhörer, bringt meinen Worten die ernste Würdigung entgegen, die ihnen gebührt! Wie sollte es mir gelingen, eure Herzen zu rühren, wenn ihr den Klagen, die aus meinem Munde kommen, keinen Glauben schenkt![563]

DIE ZUSCHAUER lachen und klatschen begeistert in die Hände. Welch eine Stellung er dabei einnimmt! – Und sein drolliges Mienenspiel! – Weiter in deiner Posse!

DER THEATERBESITZER zischend. Kinder, Kinder! Nichts ist für den Mimen verderblicher als der Beifall! Zwingt ihr ihn, sich zu überbieten, dann ist der arme Schlucker nur noch auf niederträchtigen Schmieren zu verwenden! Odi profanum vulgus et arceo! Zum König. Sprich weiter, mein Sohn! Mir scheint, deine Parodien würden mein erlauchtes Publikum erheitern können!

DER KÖNIG indem er mit allen Mitteln den Ernst seiner Rede hervorzuheben sucht.

Ich bin der Herrscher! – In die Knie mit euch!

Was soll das ungebärdig tolle Lachen! –

Durch meine Schuld zwar weiß in meinem Reich

Kein Mensch von mir. Es schlafen meine Wachen;

Mein tapfres Kriegsheer steht in fremdem Sold! –

Es fehlt die höchste irdische Macht, das Gold! –

Doch hat ein echter König je gelebt,

Um Talerstück an Talerstück zu reihen?

Dies Amt vertraut er gnädig dem Lakaien!

Der Heller, dran der Schmutz der Menge klebt,

Ward nicht geprägt, daß er die schneeigen Hände

Der Majestät von Gottes Gnaden schände!

DIE ZUSCHAUER in wildes Gelächter ausbrechend. Da capo! – Bravo! – Da capo!

DER THEATERBESITZER. Dieser Mensch ist ein glänzender Satiriker! Ein zweiter Juvenal!

DER KÖNIG wie oben.

Ich bin der Herrscher! – Wer das hier nicht glaubt,

Der trete vor! Er mag mich drauf erproben!

Sonst liebt ich's nicht, mein eignes Ich zu loben!

Doch hat die Welt mir diesen Stolz geraubt. –

Wer einen Degen führt, dem will ich weisen,

Wie er mit Anmut das gespitzte Eisen

Mild lächelnd senkt in seines Gegners Brust,

Auf daß der Zweikampf, statt mit Angst und Grauen,

Als muntrer Elfenreigen ist zu schauen,

Und jenem auch der Tod noch süße Lust! – –

Ich bin der Herrscher! – Aus der Berberherde[564]

Bringt mir das bissigste der Wüstenpferde!

Ich leg ihm Zügel nicht noch Sattel an;

Spürt es nur meine Fersen in den Weichen,

Wird's unter mir in span'scher Gangart keuchen

Und ist fortan dem Reiter untertan! –

Ich bin der Herrscher! – Laßt zum Fest euch laden!

Die Welt bleibt fern mit ihrer garst'gen Qual;

Die Abendsonne leuchtet uns zum Mahl,

Gesang ertönt aus luftigen Arkaden;

Der Gast dringt hoffnungsfroh ins düstre Grün,

Wo neben traulich plätschernden Kaskaden

Ihn Nymphen kosend zu sich niederziehn. –

Ich bin der König! Schafft ein Mädchen her!

Doch sei es wie der Morgenreif so keusch!

Ich weck ihr nicht der Unschuld Wehgekreisch;

Als Bettler komm ich, meine Taschen leer;

Sechs Schritt bleib ich ihr fern! vor Satansschlichen

Sei sie gewarnt – und eh ein Stern verblichen,

Erlag in ihr die Tugend schon dem Fleisch! –

Bringt mir die treusten aller treuen Frauen!

Sie zweifeln bang, ob Grauen, ob Vertrauen

Mehr Kuppler sind zu sündigem Genuß;

Und zweifelnd bieten sie sich mir zum Kuß! – –

Ich bin der König! – Wo war je so schmal

Ein Kind an Hand und Füßen in den Knöcheln:

Verächtlich seh ich euch, ihr Hörer, lächeln:

Die Füße tänzeln und die Hände fächeln;

Was oben sich im Schädel birgt, ist schal!

Sei's drum! Das schlankste Mädchen hier mag wagen,

In luft'gem Tanz den Sieg davonzutragen!

Nie zückte sie zu blut'gem Kampf den Stahl,

Und ihre Knöchel sind wie meine schmal ...


Da sich niemand meldet, zu Alma.


Reich mir eine Fackel, mein Kind!

DER THEATERBESITZER zum König. Ich nehme dich als Tanzmeister und als Charakterkomiker in Dienst und biete dir hundert Soldi pro Monat.

EIN ANDERER THEATERBESITZER spricht in Fistelstimme. Hundert Soldi, hihihi? Hundert Soldi will dir der Schaute geben? – Ich schmeiße dir hundertundfünfzig ins Gesicht, du[565] Schuft! Was sagst du, hihihi? – Willst du nun oder willst du nicht?!

DER KÖNIG der den Felsen verlassen hat, zum ersten Theaterbesitzer. Glaubt Ihr denn nicht, verehrter Meister, daß ich mich besser zum Tragöden als zum Komiker eigne?

DER ERSTE THEATERBESITZER. Zum Tragöden fehlt dir jede Spur von Begabung; als Charakterkomiker hingegen kann es dir überhaupt nicht mehr schlecht ergehen in dieser Welt. Glaub mir, mein teurer Freund, ich kenne die Könige. Ich habe schon mit zwei Königen auf einmal zu Mittag gespeist! Dein Königsmonolog ist die Karikatur eines wirklichen Königs und muß als solche gewürdigt werden.

DER ZWEITE THEATERBESITZER. Laß dich von dem Pferdehändler nicht anpfeffern, du Schuft! Was versteht der vom Komödienspiel!

DER KÖNIG zum zweiten Theaterbesitzer. Glaubt Ihr denn nicht, verehrter Meister, daß ich mich besser zum Tragöden als zum Komiker eigne?

DER ZWEITE THEATERBESITZER. Ach, Unsinn! Von Tragödie hast du keinen Begriff! Ich habe meinen Beruf an den Universitäten von Rom und Bologna studiert. Wie ist es mit zweihundert Soldi, hihihi?

DER ERSTE THEATERBESITZER dem König auf die Schulter klopfend. Ich gebe dir dreihundert Soldi, mein teurer junger Freund!

DER ZWEITE THEATERBESITZER. Ich gebe dir vierhundert Soldi, du dreckiger Schuft, hihihi!

DER ERSTE THEATERBESITZER gibt ihm seinen Geldbeutel. Hier hast du meine Börse! Steck sie ein und behalte sie als Andenken an mich!

DER KÖNIG den Beutel einsteckend. Würdet Ihr denn auch meinen Buben in Euren Dienst nehmen?

DER ERSTE THEATERBESITZER. Deinen Buben? Was hat er gelernt?

ALMA. Ich mache den Hanswurst, verehrter Meister.

DER ERSTE THEATERBESITZER. Gleich laß ihn mich sehen, deinen Hanswurst!

ALMA steigt auf den Felsen und spricht in frischem, munterem Ton.[566]


Seltsam sind des Glückes Launen,

Wie kein Hirn sie noch ersann,

Daß ich meist vor lauter Staunen

Lachen nicht noch weinen kann!


Aber freilich steht auf festen

Füßen selbst der Himmel kaum,

Drum schlägt auch der Mensch am besten

Täglich seinen Purzelbaum.


Wem die Beine noch geschmeidig,

Noch die Arme schmiegsam sind,

Den stimmt Unheil auch so freudig,

Daß er's innig liebgewinnt!


DER ERSTE THEATERBESITZER. Dieses Hühnchen nehme ich als jugendlichen Hanswurst in Dienst. – Wir wandern diese Nacht noch per pedes apostolorum nach Siena, wo meine Gesellschaft Trauerspiele, Lustspiele und Tragikomödien zur Aufführung bringt. Von dort geht es nach Modena, nach Perugia ...

DER KÖNIG. Eh wir nach Perugia kommen, müßt Ihr meinen Kontrakt lösen, da ich auf Lebenszeit aus der Stadt verwiesen bin.

DER ERSTE THEATERBESITZER. Unter welchem Namen passierte dir das, mein junger Freund?

DER KÖNIG. Ich heiße Ludovicus.

DER ERSTE THEATERBESITZER. Ich nenne dich Epaminondas Alexandrion! Diesen Namen trug ein bewundernswürdiger Charakterkomiker, der vor kurzem mit meiner Frau durchgebrannt ist. Nomen est omen! Kommt, meine Kinder! –


Mit dem König und Alma ab.


CHORUS.

Sonne bald den Berg erklimmt,

Und bis übers Jahr in alle Winde zu verschlagen,

Die vom Schicksal wir bestimmt,

Unerreichte Truggebilde krampfhaft zu erjagen!

Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 560-567.
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