Fünfter Auftritt

[102] Die Vorigen. Hannchen kommt hervor, fällt ihn um den Hals.


HANNCHEN. Nein! Nimmermehr! mein Christel, nimmermehr, und wenn ich hätte sterben sollen.


Ich habe meinen Christel wieder!

Ich habe Dich, ich halte Dich,

Und nie geb' ich Dich wieder:

O wie beglückt bin ich!

Mein Busen schlägt,

Von Lust bewegt,


Mir zittern vor Freude die Glieder. V.A. Aber – was fehlt Dir lieber Christel? – ich glaube gar, Du weinst?

CHRISTEL. Ich weine vor – vor – vor Freude – vor – Angst – wenn gleichwohl – –[102] vier ganzer Wochen – bey einem großen, reichen, und schönen Herrn –


Du warst zwar sonst ein gutes Kind,

Du liebtest mich, ich Dich:

Doch auch die besten Mädchen sind

Gar oft veränderlich.

Ein schönes Kleid, ein glattes Wort

Kann leicht ihr Herz verderben:

Bist Du auch so, so laß mich fort,

So laß mich gehn und – sterben.

HANNCHEN fängt an zu weinen. wer wird denn vom Sterben reden?

RÖSCHEN. Pfuy doch Christel, das arme Hannchen! nein, ich wollte drauf wetten: sie hat Dich stets lieb gehabt, sie hat Dich noch lieb, und sie wird Dich immer lieb haben.

Die den Bruder Christel liebt,

Die liebt keinen andern:[103]

Die ihr Herze Töffeln giebt:

Wird nicht weiter wandern!

Nichts verändert die Natur:

Gut bleibt gut, und böse, böse.

Hannchen liebte Christeln nur,

Töffeln liebte Röse.

HANNCHEN. Ja wohl! mein lieber Christel. Wenn man Dich liebt, so kann man keinen andern lieben. Das Vergnügen – aber warum siehst Du weg?

CHRISTEL. Ach mein liebes Mädchen, wenn ich Dich ansehe: so glaube ich, daß Du noch unschuldig bist! Aber wenn ich denke: vier Wochen lang – – ein so hübsches Mädchen – ganz allein – bey einem vornehmen, vornehmen Herrn – der sie liebt – ihr vermuthlich alles angeboten – o Hannchen! Hannchen![104]

HANNCHEN. Ach guter Christel! und wenn es vier Jahre gewesen wären! Mein Herz hätte Dir weder Zeit, noch Ort, noch Glück, noch Stand entreissen können.

RÖSCHEN. Ja, Du kannst ihr glauben. Sie hat mir alles, alles erzählt, wie es ihr gegangen ist: sie soll Dirs auch erzählen. – Ich weiß nicht, Bruder, was Du für ein Narr bist? her die Hand!

CHRISTEL. Also bist Du mir nicht untreu geworden? O mein Hannchen, mein allerliebstes Hannchen! Er fällt ihr um den Hals.


Trio.


CHRISTEL.

Ich sterbe fast vor Freuden,

Dich nach so vielen Leiden

Mir noch getreu zu sehn.[105]

HANNCHEN.

Ich sterbe fast vor Freuden,

Dich nach so vielen Leiden

So zärtlich noch zu sehn!

RÖSCHEN.

Und sterb' ich nicht vor Freuden,

So kann ich es doch leiden

Euch so beglückt zu sehn!

CHRISTEL.

Nach überstandnen Schmerzen

Ist einem treuen Herzen

Die Liebe doppelt schön!

HANNCHEN.

Nach überstandnen Schmerzen,

Ist einem treuen Herzen

Die Liebe zehnfach schön!

RÖSCHEN.

Nein! schwatzt mir nicht von Schmerzen!

Auch unter schlauen Scherzen

Bleibt doch die Liebe schön![106]

CHRISTEL.

Du Hannchen bist mein

Und Christel ist Dein!

HANNCHEN.

Christel ist mein

Und Hannchen ist Dein!

RÖSCHEN.

Töffel ist mein

Und Röschen sein!

CHRISTEL, HANNCHEN UND RÖSCHEN.

Kann ich mehr begehren?

Unter Glück und Schmerz

Unter Leid und Scherz,

Tag und Nacht

Soll die Macht

Unsrer Liebe währen!

RÖSCHEN. Stille! ich muß fort. Ich soll mit für das Abendessen sorgen helfen. Ich werd's recht von der Mutter kriegen, daß ich so spät komme. Wollt ihr mit?[107]

CHRISTEL. Nein, geh Du immer! – sage der Mutter ja noch nicht, daß ich hier bin. Ich will itzt mit zu Hannchen gehn, und Hannchen auf den Abend mit bringen. Röschen geht ab.


Quelle:
Johann Adam Hiller: Die Jagd. Leipzig 1770, S. 102-108.
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