Zweyter Auftritt

[89] Hauptmann, der König.


KÖNIG. Sind die Wachen verdoppelt?

HAUPTMANN. Ja, Eure Majestät.[89]

KÖNIG. Jeder Zugang zu dem Pallast besetzt?

HAUPTMANN. Nach Eurer Majestät Befehl.

KÖNIG. Seyd auf eurer Hut, Hauptmann.

HAUPTMANN. Ich war nie lässig in Erfüllung meiner Pflicht.

KÖNIG. Wie beträgt sich das Volk?

HAUPTMANN. Es ist ruhig.

KÖNIG. Traut dieser Ruhe nicht; des Volkes Schweigen ist oft gefährlicher als sein Geschrey. Nach einer Pause. Hört ihr nicht? Tumult im Schloßhof! eilt zu den Wachen.

HAUPTMANN tritt an's Fenster. Mein gnädigster Herr! – es herrschet Todesstille.

KÖNIG. Ja – todt – todt, dann wird es besser. Geht an's Fenster. Was schleicht dort um die Ecke?

HAUPTMANN. Ein alter blinder Bettler – er kommt täglich.

KÖNIG schnell. Nehmt ihn gefangen.

HAUPTMANN. Wie, gnädigster Herr?

KÖNIG. Dergleichen Leute sind oft die Führer gräßlicher Complotte.

HAUPTMANN. Der alte blinde Mann?

KÖNIG heftig. Nehmt ihn gefangen, der Augenblick erfordert jede Vorsicht.

HAUPTMANN. Ich gehorche. Will ab.

KÖNIG. Hauptmann!

HAUPTMANN kommt zurück. Mein König!

KÖNIG. Habt ihr ihn rein befunden, so laßt ihn nach drey Tagen wieder frey, und gebt ihm dieß. Gibt ihm einen Beutel mit Geld.[90]

HAUPTMANN fröhlich. Er bethe für Eure Majestät. Ab.

KÖNIG allein. Er bethe – habe ich bey Gott des Bettlers Stimme nöthig? ich ein König? was nützt mir ein Gebeth, das ich mit Gold erkaufe? Aus eigner Brust, die eigne Stimme rufe es himmelan, dann dringt es zu den Ohren des Erlösers – ich kann nicht bethen – o daß ich mich sammeln, daß ich wieder bethen könnte! mir würde besser werden.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 1, Wien 1817, S. 89-91.
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