Sechster Auftritt

[147] Marie, die Vorigen. Marie ist häuslich gekleidet, kommt bescheiden näher, und will der Baroninn die Hand küssen.


BARONINN. O – lassen Sie das. Was haben Sie da für eine dumme Haube auf? ohne Band, ohne Spitzen, ich kann das Armthun nicht leiden.

MARIE. Niemand bemerkt mich.

BARONINN. Doch Ihren Anzug. Zu den Mädchen. Warum laßt ihr sie denn so dürftig daher gehen? das wirft ein schlechtes Licht auf uns![147]

EMY. Ach die gute Marie will ja nicht tragen, was wir ihr geben.

BARONINN. Stolz, dummer Stolz. O Madam, Sie geben es mit Ihren dürftigen Kleidern und sentimentalen Hauben sehr hoch; Sie wollen mich anklagen, die Leute sollen glauben, ich ließe es Ihnen an allem fehlen.

MARIE. An Kleidern gewiß nicht.

BARONINN. An was denn?

MARIE. An – Besinnt sich. an nichts.

BARONINN. Da schwimmt das Auge schon wieder in Thränen. – O Sie wasserziehende Sonne! – doch – ich habe jetzt nicht Zeit Ihre Thränengüsse abzuwarten, auch will ich mich heute nicht ärgern. Sie besorgen für den Abend ein glänzendes Soupé.

MARIE. Die gewöhnliche Gesellschaft?

BARONINN. Muß heute ungewöhnlich bewirthet werden. Daß Sie mir nicht wie neulich mit den Lichtern sparen, Tageshelle soll sich in den Gemächern verbreiten, auch besorgen Sie Blumen.

MARIE. Die sind jetzt –

BARONINN. Theuer? diese Einwendung kenne ich schon. Aber ich will, daß heute meine Zimmer wie Gärten duften sollen; sogar durch die Nase will ich Neid und Bewunderung erregen, allen Sinnen flattiren –

MARIE. Aber – das Geld –

BARONINN. Das wird sich finden – jetzt können Sie gehen.

MARIE will ab.

NINA. Marie – bleib noch.

EMY schmeichelnd zur Baroninn. Seyn Sie heute freundlich mit unsrer guten Schwester.[148]

NINA fällt Marie um den Hals. Liebe gute Marie, ich wünsche dir Glück.

EMY eben so. Auch ich, Marie, von ganzem Herzen!

NINA. Du weißt, wir lieben dich, bleib uns gut!

EMY. Habe Geduld mit uns wie bisher!

MARIE. Gute Kinder! Küßt sie.

BARONINN. Was gibt es denn da?

EMY. Heute ist ihr Geburtstag!

BARONINN. So? ich gratulire. Ab.


Die Vorigen, ohne die Baroninn.


NINA. O meine gute Schwester, Mama war wieder recht hart mit dir.

EMY. Mich soll sie ausschelten, ich verdiene es so oft –

NINA. Es thut uns so weh, wenn sie dich wie eine Magd behandelt.

EMY. Und heute, an diesem Tag –

MARIE. Tröstet euch, gute Kinder! dieser Tag, der mir das Leben gab, war nie ein Tag der Freude für mich, denn er raubte mir die Mutter.

EMY. Darum sollte unsre Mutter auch deine Mutter seyn. Sind wir denn Schwestern, wenn sie nicht deine Mutter ist?

MARIE umarmt sie. Wir sind Schwestern, wir hatten einen Vater, jede von uns trägt sein Herz im Busen, jede liebt mich, wie er, möchte, wie er, Gram und Sorge von mir entfernen, die Mutter mit mir versöhnen, Freude und Fröhlichkeit um mich verbreiten. Ach – eure[149] Schuld ist es nicht, wenn ich nicht glücklich bin, so wie es meines guten Vaters Schuld nicht war.

NINA. Du willst nicht, daß ich böse werde, wenn Mama so mit dir spricht. Du sagst, gute Kinder dürfen ihre Ältern nicht richten; aber dürfen Ältern ein gutes Kind hassen, und Kinder lieben, die lange nicht so gut sind, wie du? Ja Marie, wir sind nicht so gut, wir ertrügen nicht mit dieser Geduld die Kränkungen aller Art, die sie dir täglich zubereitet.

EMY. Mir ist oft, als sollte ich dich zur Mutter führen, und sie kniend bitten, dich zu lieben, dich, die alles liebt.

MARIE. O meine guten Schwestern, was ertrüge ich nicht, um bey euch zu bleiben, jeden schädlichen Eindruck, des geräuschvollen Lebens dadurch zu schwächen, daß ich den Flitter wegreiße, und euch das wahre Glück des Lebens in stillen Hausfreuden ahnen lasse, daß ich euch zu nützlichen Hausfrauen, zu guten Gattinnen und Müttern bilde. Werdet das Beyde, und jede Thräne, die mir eurer Mutter Härte auspreßte, ist dann reich belohnt.

NINA. Apropos – von Hausfrauen.

EMY. Und von Hausmüttern.

NINA. Eine von uns ist Braut.

MARIE. Wie? Braut?

NINA. Mama will es so haben.

MARIE. Welche?

EMY. Das wissen wir noch nicht; der Herr darf nehmen, welche er will.

NINA. Ach, wir haben dir so viel zu sagen.[150]

EMY. Der Onkel ist gestorben.

NINA. Du hast ihn nicht gekannt, du warst schon verheirathet, als wir ihn mit Mama besuchten.

EMY. Es war ein guter Mann.

NINA. Mama will nicht, daß wir um ihn weinen, aber wenn wir einmahl recht lange allein sind, erzähle ich dir von ihm, und da weinen wir und bethen für ihn.

EMY. Gehen wir auf dein Zimmer, Mama möchte zurück kommen, und trifft sie dich noch hier, so schilt sie wieder, und heute soll dir niemand wehe thun, heute wollen wir dir recht viele Freude machen.

NINA. Ich habe ein Angebinde.

EMY. Ich auch.

NINA. Ein Kleid, ich habe es selbst gestickt, du mußt es tragen.

EMY. Und ich habe hier gearbeitet, um nicht von dir überrascht zu werden. Nimmt aus einer Schublade eine Zeichnung. Erkennst du das? – du, sie – Deutet auf Nina. – und ich.

MARIE erstaunt. Mädchen, das hast du gemacht?

NINA. Sie ganz allein. Der Meister sagt, es sey sehr gut, das Herz habe mit gezeichnet. Siehe, da liegt sie im Bette wie vor einem halben Jahr, als wir sie schon todt glaubten, du wirfst dich auf sie und erwärmst sie mit deinen Küssen. Ich stehe da in der Ecke, und weine, ja sonst konnte ich auch nichts als weinen, aber du hast geholfen. Deine Pflege, deine Liebe hat ihr das Leben gerettet, das sagen alle Leute, auch der Doctor. Seit sie nun gesund ist, arbeitet sie in der Stille daran, – da lies, was steht hier?[151]

MARIE gerührt, liest. Der Retterinn meines Lebens, von ihrer dankbaren Schwester Emy. Drückt beyde mit Ungestüm an sich, und sagt mit gerührter Freude. Was mir auch das Schicksal genommen, solche Schwestern gab es mir, solche Herzen hängen an mir – ich bin nicht unglücklich!


Ende des ersten Acks.
[152]

Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 2, Wien 1817, S. 147-153.
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