Erster Auftritt

[249] Julie, Rosalie. Julie stickt, Rosalie arbeitet an einem Hute.


ROSALIE. Fertig ist er. Nun meinst Du wohl, daß ich ihn trage Schwester? Nichts da – den Kopf her. Setzt ihr den Hut auf. Der Hut ist Dein.

JULIE steht auf. Aber Warum –

ROSALIE. Nicht gefragt, niedergesetzt – still gehalten. – So hübsch – recht hübsch – jetzt gefällt er mir erst; – das ist ein Hut, als ob ihn der letzte Postwagen aus Paris gebracht hätte.[249]

JULIE. Pfui deutsches Mädchen, als ob nichts schön sein könnte was dem lieben Vaterlande gehört.

ROSALIE. Nicht doch Julie. – Wir zwei gehören ihm ja auch an, und ich denke wir machen ihm Ehre. Meine Bemerkung war nur die gewöhnliche Redensart, mit der wir lächerlich alles loben, was aus der Fremde kommt. Jetzt sollst Du gleich die solide Deutsche hören – weißt Du, warum ich schon in die dritte Nacht nur wenig schlafe?

JULIE. Brautgedanken – Ehestandssorgen –

ROSALIE. Recht – aber – nicht für mich, meine Sorge betrifft unser ganzes Geschlecht.

JULIE. Viel umfassend –

ROSALIE. Ich studiere auf eine deutsche Tracht.

JULIE lacht. Und arbeitest an französischen Hüten?

ROSALIE. Man muß doch etwas aufsetzen bis die neue Tracht erfunden ist. Und weißt Du, was mich dazu bestimmt?

JULIE. Du willst etwas thun, das Aufsehen erregt, vielleicht gar – Dich verewigt –

ROSALIE. Ich will etwas thun, was aus Mädchen Bräute und glückliche Weiber macht.[250]

JULIE. Du glaubst –

ROSALIE. Daß unsre Hauben, Hüte, Shawls, die öfter als der Mond seine Hörner wechselt, ihre Formen ändern, manchen braven Mann abschrecken eine Frau zu nehmen. Darum studiere ich, wie sich die künftige Generation kleiden soll.

JULIE. Die künftige – ja wohl, die jetzige bedarf noch mit jeder Woche ihr Mode-Journal.

ROSALIE. Die werden in meinem Reiche verboten, mein Volk soll nicht nachäffen, erfinden.

JULIE. O weh eine Völkerwanderung beginnt – Euere Majestät stehen in Ihrem großen, weiten Reich allein.

ROSALIE. Wie? Die Deutschen mit diesem Geiste, mit dieser Kraft den Erdboden zu schütteln, sollten darin ewig Kinder bleiben, die sich nicht allein anziehen können? Nichts da – so lange sich alle 14 Tage der Schnitt des Kleides ändert, ändert sich auch des Menschen Sinn. Unsere Großmütter konnten in demselben Kleide in dem sie getraut wurden, auch ihre silberne und goldene Hochzeit feiern; und das alte Mütterchen meinte es auch noch eben so ehrlich, eben so gut, wie das blühende Mädchen. Jetzt macht man in dem Brautkleide höchstens noch ein paar Bälle mit, das Spinngewebe löst sich auf, und nicht selten hängt es in der Trödelbude, ehe noch die Flitterwochen vorüber[251] sind. – Der Mann geht vorüber, sieht es, – seufzt – und ruft: vergänglich wie dies Kleid, war auch mein Glück.

JULIE. Freilich sollte man –

ROSALIE. Die Menschen durch eine vernünftige Kleidertracht an Beständigkeit gewöhnen; was heute schön steht, muß morgen nicht häßlich stehn. So viel erwirbt der fleißige Mann immer, Weib und Kind zu ernähren, aber Schneider und Putzmacherin trägt sein Amt nicht, die ruiniren Familien, die erschweren den Ehestand, darum bleibt er ledig, und findet in einer braun gerauchten Meerschaumpfeife sein ganzes häusliches Glück.

JULIE. Höre Schwester, alles was Du seit 8 Tagen denkst und thust, hat nur einen Zweck. – Alle Mädchen sollen Männer haben, damit ich auch einen bekomme, nicht wahr?

ROSALIE. Ach, Du verdienst mehr wie alle einen braven Mann, es giebt nur so wenige, die Deine stille Eingezogenheit erkennen.

JULIE. Und lieben

ROSALIE. Darum sind die Menschen verdorben, darum soll das anders werden, oder ich lege mein Haupt nicht sanft.[252]


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neueste Schauspiele. Band 9, Berlin 1821, S. 249-253.
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