Zweyter Auftritt.

[54] Faust, Ithuriel.


FAUST lißt. Faust es wird Abend – O schreckbater Abend! – Welch eine himmlische Warnung! – Ich schaue mit Zittern über den schmalen Rand meines Lebens hinab – Bald fall ich tief – Ithuriel!

ITHURIEL. Deine Augen scheuen sich den Meinigen zu begegnen – Sorgloser, weckt dich nichts von deinen göldnen Träumen? – Wann folgst du mir?

FAUST. Morgen, Freund, Morgen!

ITHURIEL. Heut, heut! denn morgen bist du nicht mehr!

FAUST. Grausamer, warum errinnerst du mich auf mein Elend? Laß mir doch diesen Tag, well er der letzte ist.[54]

ITHURIEL. O Freund, noch ist es Zeit, noch kannst du zur Weisheit und Tugend kehren. Fasse die Allmacht, eh sie dich fasset! – Sieh auf, sie bittet dich, sie beut dir Gnade an; sie verspricht dir eine fröhlige Ewigkeit, und du siossest sie von dir? Undankbarer, der Himmmel ist gütig; aber must du deswegen ein Unmensch seyn? Du bist einen Schritt weit vom Tode, und du Thor tänzest noch auf deinem Grabe herum!

FAUST. Ich schenke noch wenige Minuten der Freude.

ITHURIEL. Minuten, Minuten! – Aber diese Minuten machen Stunden, die Stunde Jahre, und Jahre dein ganzes Leben. Sey itzt weise, der Thor sagt, ich werde weise seyn. Folg mir, flieh diese Wohnung der Lüste. Hier begegnest du stäts der Verführung. Hier lauern deine Feinde. Sieh dort jenen Kundschafter stäts um dich. Er späht auf dein schwachen Augenblicke; er sieht dich von Wollust eingewiegt; gleich eilt er, und weckt die Hölle auf. Eil, entflieh, folg mir!

FAUST. Ich solle mich von allem was ich liebe, losreissen; ich solle diese Wohnung des Ueberflusses mit der Hütte des Elends vertauschen; Ich solle Helena verlassen, die mich liebt, und die ich liebe; Ich solle sie und meinen Sohn dem ungewissen Schicksaale, der Schande, der Verzweiflung überlassen? Sprich, was foderst du vom meinem Herzen. Ich folge dir; aber erlaube mir wenigstens, daß sie mich begleiten.[55]

ITHURIEL. Wie sinnreich! Dein Feind hat deine Augen ganz verblendet. Reisender Thor mit welchem prächtigen Gefolge willst du die schmalen Gleise der Tugend antreten! Nimm deinen Zug mit dir. Bergiß dein Gold nicht. Schleppe dein ganzes Haus mit fort auf deinem Rücken. Blinder, ich will dich den Verführungen entreissen, und du eilst ihnen entgegen. Du bist ganz Feuer, und schleppest Pechkränzen mit fort. Ich frage dich zum leztenmale, willst du folgen? Du wankst, du hörst mich nicht –


Quelle:
Weidmann, Paul: Johann Faust. Ein allegorisches Drama von fünf Aufzügen, Prag 1775, S. 54-56.
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Johann Faust. Ein allegorisches Drama in fünf Aufzügen