12. Ein verliebter Abschied

[157] 1.

Meines Hertzens Königin!

Soll ich ietzo von dir scheiden,

Und die lieben Oerter meiden,

Da ich vor gewesen bin?

O, du meines Lebens Leben!

Ist denn dieß der strenge Schluß,

Daß ich gute Nacht sol geben?

Ja mein liebstes Kind! ich muß.


2.

Du wirst es schon selbst verstehn,

Hier ist doch kein ewig bleiben,

Und wir müsten uns verschreiben

Ferner in die Welt zu gehn,

Unser Leben und Studieren

Giebet uns den guten Rath,

Bester massen außzuführen,

Was man angefangen hat.


3.

Drum so nimm die treue Hand,

Gib ihr noch zum letztenmahle,

Hier bey diesem Rosenthale,

Ein gewisses Freundschaffts-Pfand,[157]

Drucke die betrübten Glieder,

Denn es ist doch nun geschehn,

Und wer weiß, wann ich dich wieder,

Liebste Seele! werde sehn.


4.

Dencke mein geliebtes Kind!

Und erwege meine Sorgen,

Wann der Abend und der Morgen,

Meine Seufftzer, durch den Wind,

Wird zu deiner Seele führen,

So wird mein vergnügter Geist

Dein Gedächtniß nicht verliehren,

Biß der Lebens-Faden reist.


5.

Schönste! lebe dir und mir,

Ach! ich habe deinem Leben

Alles Wohlergehn ergeben,

Drum gedencke für und für,

Wilst du mir die Freude gönnen,

So erhalte deinen Schein,

Biß wir endlich wieder können

Höchst vergnügt beysammen seyn.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 157-158.
Lizenz:
Kategorien: