CAP. XXVIII.

[136] Indessen als dieses in der Herberge vorgieng, kaufften Gelanor und Florindo zu Kleidern ein, und verwunderten sich wohl über die Närrische Welt, daß alle halbe Jahr fast eine hauptsächliche Veränderung in Zeugen und Kleidern vorgenommen wird. Doch weil die Narrheit so gemeine ist, so lacht sichs nicht mehr, wann man viel von ihren Gedancken wolte anführen. Ferner kamen sie in den Buchladen, da traff Gelanor etliche von seiner Tischgesellschafft auß dem Wirthshause an, mit diesen gerieth er in einen discurs von den neuen Büchern. Absonderlich war ein neuer Prophete auffgestanden, der hatte etliche zwantzig Jahr hinauß geweissaget, was sich in der Welt unfehlbar begeben würde. Zum Exempel von dem Jahr 1672. hatte er folgende Muthmassung:


VENIO NUNC AD ANNUM

M. DC. LXXII.

Cui

Ob visum in Cassiopeia sidus seculare,

sed ominosum debemus Jubileum.

Reviviscent seculares historiæ.

Ebulliet

Effusus in laniena Parisiensi

Hugonottarum sanguis.

Nam seculum est

Quod clamavit ad cœlum.

Quem quidem clamorem compescere

videbatur

Edicti Nannetensis lenitas,

Henrico IV.

Regie & fideliter præstita, nisi

quietem turbasset

Indigna Rupellæ oppressio,

Fallor?

An à Ludovico Rege, an ab Armando

ministro cum stupore universi

orbis suscepta & perfecta.

[137] Ab hujus enim civitatis interitu

dependere videtur,

Quicquid calamitatis ac miseriæ

Hugonottarum

postea pressit Ecclesiam.

Sed

Extollite capita vestra, Cives Europæi,

Lilia

Hugonottis denuo infesta sunt,

Aut extirpaturi religionem,

Aut Daturi pœnas.

Galli exercitum conscribunt.

Nam forte

Sic visum est superis,

Ut illata Religioni injuria,

Per neminem,

Nisi per ejusdem religionis asseclas

vindicetur.

O Europa, quando vidisti aut videbis

tantum belli apparatum?

Interim

Vos spectatores cavete,

Ne, qui fabulam agunt,

Spectaculi mercedem à vobis exigant,

Imprimis O Germani!

Præparate vos ad futuri

Anni solennitates:

Quatuor enim tunc effluxerint

Secula

Ab instaurata Habsburgensium

Felicitate,

Fortassis quod numerum septimum

dimidiat,

Et seculi septimi medium obtinet,

Vim habet climacterici.

Hungaria parturit, & Lucina Seu

Mahometis Luna opem feret.

O notabilem & posterorum historiis

Annum celebratissimum!

[138] Nam etiam

Seculum tunc est,

Ex quo

Romani ultimum viderunt Papam,

Qui fuerit pius.

Cui parentandum esse, nisi opinantur

Itali,

Turca judicabit.

O annum admirabilem!

Ne quid addam amplius.


Gelanor sahe sich in den Weissagungen etwas umb. Endlich ruffte er überlaut. Ach sind das nicht Schwachheiten mit den elenden Stroh-Propheten, die alle zukünfftige Dinge auß den blossen Zahlen erzwingen wollen. Was hat es auff sich, ob nun hundert oder mehr Jahr verflossen sind? Ich sehe keine Nothwendigkeit die mir anzeigte, warumb ietzund eben viel mehr als sonst, diß oder jenes vorgehen solte. Es steckt ein betrüglicher Gänse-Glauben dahinter: dann dieses ist gewiß, daß in dem eitelen Weltwesen nichts über hundert Jahr in einem Lauffe verbleiben kan. Also daß man sich schwerlich verrechnet, wann man spricht, über hundert Jahr werde diß Reich stärcker, ein anders schwächer seyn. Aber warum es nicht eher oder längsamer geschehen möge, das sehe ich nicht. Hier gaben die andern ihr Wort auch darzu, und kamen also von einer Frage auf die andere. Einer lachte dieselben auß, welche meynen, sie haben unserm Herrn Gott in das Cabinet gekuckt, und haben observirt, was er in seinem Calender vor einen Tag zum Jüngsten Gericht anberaumet. Ein ander nahm diejenigen vor, welche in ihren annis Climactericis grosse Wunderwercke suchen, da es doch hiesse, wie Käyser Maximilianus II. gesagt: Quilibet annus mihi est climactericus, die andern brachten was anders vor. Letzlich kam die Frage auf die Bahn, was man von Nativitätstellen halten solte? da sagte ein Unbekanter, der sich in das Gespräche mit eingemischet, ihr Herren, diese Frage ist etwas kürtzlich, es denckt offt einer etwas, das er doch nicht sagen mag, immittelst wil ich sagen was meine Meynung ist: die Sterne und des[139] Himmels Einfluß kan niemand leugnen; ob iemand auß denselben könne urtheilen, mag ich nicht decidirn, gesetzt die principia träffen ein, und man könte einem den gantzen Lebens-lauff gleichsam als in einem Spiegel vorstellen, so ist doch diß zu beklagen, daß die meisten, welche sich dergleichen Rath geben lassen, solches auß einem blossen, und ich hätte bald gesagt Atheistischen, Fürwitz thun. Da ist die Verheissung Gottes viel zu wenig, daß man auf sie trauen solte; Man muß bessere Versicherung auß der Constellation erhalten und niemand giebt achtung auff das allgemeine Nativität, welches Gott nicht lang nach Erschaffung der Welt allen Menschen gestellet hat: bistu fromm, so bist du angenehm, bist du aber nicht fromm, so ruhet die Sünde vor deiner Thür. Das heist so viel, wirst du dich ümb einen gnädigen GOtt bekümmern, so wirstu wohl leben, alles soll dir zum Besten außschlagen, es mag Armuth, Kranckheit, Verachtung, Krieg und ander Unglück einbrechen, so soll es dir doch zu lauter Glücke gedeyen. Wirst du aber auf andere Sachen dich verlassen, und gleichsam andere Götter machen, so wird alles Glücke, es mag an deiner Hand, oder in deinem Themate natalitio stehen, zu lauter bellenden Hunden werden, welche dich endlich in Noth und Tod so erschrecken sollen, daß die böse Stunde aller vorigen Freude und Herrligkeit vergessen wird. Ach was vor ein schön Fundament haben die Atheisten zu ihrem absoluto decreto, zu ihrer prædeterminatione voluntatis, und was die andern Grillen sein, dadurch man Gott entweder per directum oder per indirectum zu der Sünden Ursache machen will. Und dieses ist die Ursache, daß bißher vornehme Politici in ihren Schrifften solches ziemlich hochgehalten, weil sie durch die allgemeine Nothwendigkeit, etwas erzwingen können, das in ihrem Statistischen Kram dienet. Hier fiel ihm ein ander in die Rede, und sagte, das wäre die beste Nativität, hastu viel Geld, so wirst du reich, lebst du lang, so wirst du alt: Und wüste er einen Studenten, dem habe die Mutter sollen Geld schicken, allein sie hätte sich entschuldiget, das Bier, davon sie sich nehren müste, verdürbe so offt, er solte zuvor ein Mittel schicken, damit das Bier gut würde: drauff[140] hätte der Sohn einen Zettel genommen, und darauff geschrieben: Liebe Mutter brauet gut Bier so habt ihr guten Abgang. Solchen hätte die Mutter angehenckt, und wäre auch ihre Braunahrung besser von statten gangen. Andere Sachen giengen weiter vor, welche doch von keiner Wichtigkeit waren, daß man sie auffzeichnen solte. Es lieff auch hernach nichts denckwürdiges vor, weil sie den Tag darauff, so bald etliche Kleider gemacht waren, auß der Stadt reiseten und anderswo mehr Narren suchen wolten.

Quelle:
Christian Weise: Die drei ärgsten Erznarren in der ganzen Welt. Halle an der Saale 1878, S. 136-141.
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