Acht und zwanzigstes Exempel.

Ein adelicher Herr, aus Forcht der Justiz hoher Obrigkeit in die Händ geliefert, und durch ein grausamen Tod hingericht zu werden, verdingt sich zu einem Bauren, und gibt (mit Gunst zu melden) einen Sau Hirt ab.

[214] Im Jahr 1308. machten die vornehmste von Adel an des Kaysers Alberti Hof mit einander einen Bund, gedachten Kayser, ab dessen Alter und Weis zu regieren sie allgemach verdrüßig waren, bey nächster Gelegenheit umzubringen. Der Rädelführer diser rebellischen Rott ware Johannes, Hertzog von Schwaben, erst gedachten Kaysers nächster Anverwandter. Unter seinem Anhang befande sich neben anderen auch einer, mit Namen Walther von Eschenbach (so dazumahl ein Freyherrliches Geschlecht in der Schweitz, im Lucerner Gebiet war) ein Mann hohen Ansehens, und grosser Reichthumen. Nachdem sie nun ihren mörderischen Anschlag hemlich miteinander abgelegt, griffen sie zum Werck: und zwar bedienten sie sich der Gelegenheit, als gedachter Kayser von Baden nach Rheinfelden ritte, um seine Gemahlin und seine Tochter, die Ungarische Königin zu besuchen. Dann sie umringten ihn feindthätlicher Weis, da er an nichts weniger gedachte. Der erste, so ihm den Degen in Leib stiesse, ware Johannes. Darauf fielen auch die andere zu: versetzten dem armen Kayser unterschiedliche Hieb und Stich, wie sie könnten zu kommen: stiessen ihn vom Pferd; gaben ihm völlig den Rest, und liessen ihn also in seinem Blut ligen. Mein GOtt! was für eine erschröckliche That war dieses? was für ein Erbarmnuß-würdiger Anblick? einen Römischen Kayser, deme man alle Ehr, Reverentz, und Gehorsam schuldig ist, nicht von gewaltsamer Hand ausländischer Feinden, sonderen von seiner eigenen Befreundten, u. Hofherren Untreu also grausam ermordet, auf offener Straß gantz mit Blut überronnen, und voller Wunden antreffen! könte wohl etwas kläglichers seyn? allein der gerechte GOtt hatte dieses verhängt, allen hohen Häupteren zur Warnung, daß auch sie nicht allein der Sterblichkeit unterworffen; sondern wohl zu Zeiten auch eines gewaltsamen Tods sich zu besorgen haben. Wie gehts weiters? nachdem des Kaysers erbärmlicher Tod erschollen, wurde das gantze Reich höchlich darüber bestürtzt. Man griffe zu den Waffen; schickte allenthalben Parthey-Reuter aus; setzte grosses Geld auf der Thäter Köpf, wann einer sie lebendig, oder tod der Justitz überlieferen wurde. Herentgegen wurden alle diejenige mit schweren Straffen betrohet, welche denen Flüchtigen Hülf leisten, oder Unterschluf geben [215] wurden. Es ware auch solcher Ernst nicht umsonst: indem alle, so an der Mordthat Theil hatten (Hertzog Johannes, und Walther ausgenommen) erwischt; einer da aus einem Winckel; dort ein anderer aus einem Wald herfür gezogen, und mit wohl verdienter Straf angesehen worden. Hertzog Johannes, nachdem er lang im Elend herum gefahren, versteckte sich letztlich in eine Mönchs-Kutten und entranne also dem Rach-Schwerdt: entweders weil er im Closter verborgen gebliben; oder weil man durch die Finger gesehen, und sich mit dieser freywillig angenommenen, und für einen Hertzog strengen Buß genug vergnügen lassen. Walther aber suchte sein Heyl ferners in Füssen. Dann es war ihm nicht verborgen, wie erschröcklich man mit seinen Mitverhaften unterdessen verfuhre, und einen nach dem anderen durch einen grausamen Tod in die andere Welt schickte. Was aber in ihm die Forcht vermehrte, war die Einbildung, die ihm vorstellte die Kettē und Band, die man ihm wurde anwerffen; die finstere Gefängnuß, in die man ihn wurde stecken; die glüende Zangen, mit welchen man ihn wurde zerfetzen; die Radbrechung, in welcher man ihm alle Glider wurde abstossen: vor allem aber die Bildnuß des ermordeten Kaysers, die ihm weder bey Tag noch Nacht einige Ruh liesse. So glaubte er auch, nirgends, weder bey denen Befreundten, noch in denen GOtt geweyhten Kirchen sicher genug zu seyn. Entwiche also von einem Ort in das andere. Unter Tags verkroche er sich in denen Wälderen und Berg-Höhlen; zu Nachts setzte er seine Reis weiters fort; und wußte doch nicht, wohin? veränderte bald die Kleyder; bald Haar und Bart; zitterte ab einem Eschbaum-Laub; erschracke ab seinem eigenen Schatten, und wo er nur jemand von weitem sahe, meinte er anderst nicht, als wären es eben die ausgeschickte Gerichts-Diener, die ihn fangen wolten. Einsmals setzte er sich seinem betrübten Hertzen ein wenig Luft zu machen, in den Schatten unter einem Baum nieder, wo ihn dann ein Geschwader der schwermüthigsten Gedancken überfallen. »So ist dann das (sprache er bey sich selbst) der Zweck meiner Glückseeligkeit nach welcher ich grausamer Mörder getrachtet hab? vorhin war ich ein reicher Herr; anjetzo der ärmeste Bettler. Vorhin in Ehren und Würden; anjetzo ein allenthalben verruffener, verbannisirter, und zum Tod gesuchter Maleficant. Wie? soll ich dann dem Hencker unter die Händ kommen? soll ich mir den Kopf lassen abschlagen? was sag ich, den Kopf abschlagen? Feur und Rad warten auf mich. Mit vier Rossen wird man mich zerreissen, und nicht gütiger mit mir verfahren, als man mit den anderen meines gleichen schon verfahren ist. Das hab ich verdient, muß bekennen; hab auch anderst nichts zu gewarten, wann ich erdappt werde. Werd ich es aber auch können ausstehen? was für Schand (will [216] ich nicht sagen, Peyn und Qual) hat solches auf sich? ach! hätte ich es vorbedacht! jetzt ist es zu spath. Es wäre dann Sach, daß mich mein adeliches Geschlecht wurde erretten; oder meine Befreundte mir Gnad ausbitten, oder meine Reichthum mir hinaus helffen. Aber was Hoffnung kan ich setzen auf mein adeliches Geschlecht? Dem ich einen ewigen Schandfleck angehengt. Auf meine Befreundte? die sich meiner schämen müssen. Auf meine Reichthum? mit denen das Kayserliche Blut nicht kan bezahlt werden. Und was hab ich für Reichthum mehr? meine Güter seynd der kayserlichen Cammer heimgefallen. Das wenige Geld, so ich zu mir genommen, ist allbereit durch so vil Reisen drauf gangen. Nichts ist übrig, als der goldene Ring an denen Fingeren, und der mit Silber verbrämte Rock. Wie kan aber solches, wann ich sie schon versetzte, in die Länge erklecken, und wer weißt, ob mich nicht eben diese Sachen verrathen, und in die Händ der ausgeschickten Gerichts-Dieneren liferen wurden, was fang ich dann weiters an? wo will ich hin? wo die Lebens-Mittel nehmen? wo bin ich sicher?« indem Walther mit solchen kleinmüthigen Rathschlägen umgienge, und mit seinen eigenen Gedancken stritte, da hörte er in denen nächsten Thäleren von Hunden und Pferdten ein Geräusch. Gleich beredte ihn die Forcht: jetzt seye es mit ihm geschehen. Und zwar nicht ohne Grund; dann es war eben ein Hauffen der ausgeschickten Gerichts-Dienern, die ihn aufsuchen solten. Da wurde ihm mehr nicht als daß er Hut, Degen, Rock, und Ring von sich warffe, und eines eylens sich in den Wald hinein verlieffe, und in einer Berg-Höhle verschloffen, um allda ungeessen und getruncken zu übernachten. Bald hernach kamen auch die ausgeschickte Gerichts-Diener an das Ort, wo er die Kleyder von sich geworffen; aus welchem sie nicht uneben geargwohnet, was für einem Herren sie zugehörten. Weilen sie aber selbige neben einem fürüber lauffenden Fluß gefunden, kamen sie auf die Gedancken, Walther müßte sich selbst aus Verzweiflung in dem Fluß ertränckt haben. Kehrten demnach zuruck, und sprengten dieses Gerücht aller Orten aus: weswegen dann auch die hohe Obrigkeit ihm weiters nachzusetzen unterliesse. Zoge aber seine Güter ein; und weil sie die Person selbst nicht haben konte, nahme sie zur ewigen Schmach, und üblen Nachklang die Straf seiner Bildnuß vor. Unterdessen bekame Walther Luft; kroche aus seiner Berg-Höhle herfür: wo ihm aber bey erstem Anblick des Tags-Liechts nichts anders, als Jammer und Elend in die Augen schlugen, und ihm manchen heissen Zäher ausdruckte. Gleichwohl weilen er Unsicherheit halber, und aus Mangel der Lebens-Mittel länger allda nicht zu bleiben hatte, suchte er sein Heyl weiter, [217] und kame letztlich im Würtemberger-Land an. Da fiele ihm zwar ein, was Gestalten bey dergleichen Unglücks-Fällen vor Zeiten etwann Fürsten und Herren mit Schul halten, Sing-Kunst oder einer Handthierung in unbekannter Kleydung eine Zeit lang sich hindurch gebracht hätten, bis gleichwohl das Ungewitter sich verzogen, und die liebe Sonn mit besseren Jahren sie wiederum angeschienen. Allein er ware in keinem dergleichen erfahren. Mithin von Haus zu Haus bettlen, wolte ihm in die Länge auch zu schwer fallen. Zu einem Bauren sich verdingen dörfte er sich auch nicht: weil er weder zum Ackeren geschickt, noch seine zarte Händ des Holtzhackens gewohnt waren. Letztlich nach vilem Berathschlagen, drange ihn der Hunger und äusserste Noth, einen harten Schluß zu fassen, über welchen sich die gantze Welt billich verwunderen, und die Urtheil GOttes verehren solle. Kurtz zu sagen: er gienge hin, und dingte sich auf ein Dorf um einen gar schlechten Lohn in Dienst (mit Gunst zu melden) eines Säuhirtens, und veharrete in solchem verächtlichen Aemtlein bis in sein hohes Alter auf die 35. Jahr. Nach so langem Elend, und betrübten Leben erkranckte er endlich; und der vor diesem pflegte auf linden Federen zu ligen, hatte anjetzo kein anders Beth, als ein arme Burde Stroh. Mithin weil die Schwachheiten je länger, je mehr zunahmen, wolte er samt dem Leben auch die Person ablegen, die er hishero gespilt hatte. Er rufte demnach die Hausgenossene für sich, und redete sie folgender Gestalten an: was es für eine Beschaffenheit mit mir habe, das sehet ihr mit Augen. Mein Leben stehet auf dem äussersten Ziegel des Tachs (wie man pflegt zu reden) und ist um einen schlechten Stoß zu thun, so wird es mit mir geschehen seyn. Doch hab ich vor meinem Hintritt nicht bergen wollen, daß ich nicht derjenige geweßt seye, für den ihr mich habt angesehen. Ich bin jener Walther von Eschenbach, den man schon vor etlich 30. Jahren Vogel-Frey gemacht, und wegen des grausamen Kaysers-Mords, an welchem ich Theil hatte, aller Orten zum Tod aufgesucht hat. Muß bekennen, daß in Erwegung der vorigen Freyheit meines hochadelichen Geschlechts meiner liebsten Ehe-Gemahlin und Kindern; Reichthümer und guter Täg, deren ich genossen, mir dieser verächtliche Stand, Armuth, und harte Dienstbarkeit bitter-schwer gefallen. Allein in Vergleichung des gewaltsamen Tods, Marter und Peyn, neben der offentlichen Schand, so ich von des Henckers Hand hätte müssen ausstehen, war alles lauter Zucker und Hönig. Der Justiz weltlicher Obrigkeit bin ich entgangen; wie ich aber vor der strengen Gerechtigkeit GOttes mit meiner Rechnung bestehen werde, das stehet dahin; und muß ich es gewärtig seyn. Dieses [218] geredt, vergossen die guthertzige Zuhörer aus Mitleiden die Zäher; er aber senckte das Haupt, und gabe bald hernach den Geist auf. Bidermannus S.J. Acroamatum l. 2. Acroamate primo.


O GOtt! wann dieser Edelmann, einer zeitlichen Pein und Marter zu entgehen, (die etwann auf dem Rad 2. 3. Tag gewährt hätte) so viel Jahr in so verächtlichem Stand gelebt; so viel Kummer, Elend, und Betrübnuß, neben dem harten Dienst ausgestanden: was soll man dann nicht leiden? was soll man nicht ausstehen? was soll man nicht gedulten, daß man der ewigen Straf entgehen möge? wie entsetzlich ist es: leiden müssen unaussprechliche Pein? leiden müssen an allen Kräften Leibs und der Seelen? leiden müssen ohne Linderung; ohne Nachlaß; fort und fort; immer und ewig, so lang GOTT GOtt seyn wird, ohne die geringste Hofnung, davon erlößt zu werden? wer dieses zu Gemüth führt, wird sich so sehr nicht verwunderen über das, was jener gottselige, und zugleich hochgelehrte Pater, aus der Gesellschaft JEsu, mit Namen Sebastian Barradius, ein Spanier von sich selbsten bekennt hat: nemlich, als er einstens die Ewigkeit der höllischen Pein etwas tiefers zu Gemüth geführt, da seye ihn ein solche Forcht und Schrecken ankommen, daß er von freyen Stucken von solchem Nachdencken habe aufhören müssen; sonst wurde er vor lauter Forcht verschmachtet, und dahin gestorben seyn. So entsetzlich ist die Ewigkeit der höllischen Pein.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 214-219.
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