Sieben und fünftzigstes Exempel.

Ein Edelmann wird durch Zerspringung eines Glas mit Wein des bevorstehenden Tods gewarnet, und zum Beichten angetrieben; stirbt aber ohne Beicht dahin.

[306] Im Elsaß lebte in dem vorigen Jahrhundert auf einem Schloß ein vornehmer Edelmann, welcher ihm recht wohl seyn liesse. Sein Brauch war, nach eingenommenen Mittag-Mahl entweders eine Weil in der Stuben auf- und abzugehen; oder zu einem Fenster hinaus zu schauen, und mit Besichtigung seiner nicht weit von dem Schloß herum liegenden Dorfschaften die Augen zu ergötzen; bald aber darauf sich auf ein Ruhe-Bethlein zu legen, und ein Schläflein zu thun. Es mußte aber allzeit auf einem Tischlein, so neben dem Ruhe-Bethlein war, ein grosses Crystallenes Glaß mit dem besten Elsasser-Wein stehen; damit er nach gethanem Schläflein einen guten Zug daraus thun, und sich damit laben möchte. Als er sich nun einstens, seiner täglichen Gewohnheit nach, auf das Ruhe-Bethlein gelegt, da fiele ihm (weiß nicht, aus was Ursach) ein ernsthafter Gedancken von der Ewigkeit ein. Dieser nahme nach und nach sein Gemüth dergestalten ein, daß er nicht einschlaffen konte. Er bemühete sich zwar, solchen Gedancken mit Anschauung des auf dem Tischlein stehenden crystallenen Glas zu vertreiben; aber umsonst Dann siehe! gedachtes Glas zersprange von ihm selbst, und ohne daß es von jemand angerührt worden, mit starckem Knall in viel Trümmern; also daß der köstliche Wein über das Tischlein hinab flosse. Weil ihn nun über diese Begebenheit ein Schröcken ankommen, gabe er mit einem Glöcklein, so neben dem Ruhe-Bethlein war, seinen Dienern ein Zeichen, daß sie zur Aufwarth kommen sollten. Diese stellten sich gleich ein, und fragten den Edelmann, was er zu befehlen hätte? da erzählte er ihnen mit zitterender Stimm, was sich mit dem crystallenen Glas begeben hätte. Und setzte hinzu: er sorge (wiewohl er dermahlen kein Kranckheit an sich spühre) die Zerspringung des crystallenen Glas wolle nichts anders andeuten, als daß es auch mit seinem Leben bald werde ein End haben. Die Diener trösteten ihn, und sagten: er sollte diese traurige Gedancken ausschlagen: das Glas seye von ohngefähr zersprungen; und habe also nichts zu bedeuten. Dann wie bald könne sich etwas von ohngefähr zutragen, an welches man niemahl gedenckt habe? das seye ja nichts neues; und lehre es die tägliche Erfahrnuß. Zu dem pflege man ja im Sprich-Wort zu sagen: Glück und Glas, wir bald bricht das? Ein eintzige [307] gähe Aenderung des Lufts von Hitz, oder Kälte, könne ein Glas springen ma chen. Dieses also geredt, thaten sie die Scherben des zersprungenen Glas auf ein Seiten, und stellten ein anders dergleichen mit Wein angefüllt auf das Tischlein hin; mit angehängter Bitt, der Herr wolle sich zur Ruhe legen, und der Sach nicht mehr nachdencken: worauf sie aus der Stuben abgetretten. Allein es war darum die Traurigkeit von dem Edelmann nicht auch abgewichen. Dann er sagte bey sich selbst also: Weil doch das Glück mit dem zerbrechlichen Glas verglichen wird, wer weißt, ob nicht auch mein Glück, das ich so viel Jahr genossen, werde einen Bruch bekommen? vielleicht ist es der Heil. Schutz-Engel geweßt, der das Glas zerbrochen; um mich dardurch zu gewarnen, es därfte auch mit meinem Leben bald ein End haben. Dann viel seynd, denen der Heil. Schutz-Engel ein Zeichen ihres bevorstehenden Tods gegeben. Indem er nun eine halbe Stund mit solchen Gedancken zugebracht, siehe Wunder! da zerspringt auch das anderte Glas, und lauft der Wein wiederum über das Tischlein hinunter. Wie der Edelmann das gesehen, erschrickt er noch heftiger, als das erste mahl. Giebt also wiederum ein Zeichen mit dem Glöcklein: auf welches nicht allein die Diener, sondern auch des Edelmanns Frau herzu geloffen. Und als er befragt worden, was er verlange? gabe er Befehl, man solle ihm aus einer nicht weit entlegenen Stadt, aus einem gewissen Closter, lassen einen Beicht-Vatter kommen: dann es einmahl mit seinem Leben geschehen seye; in Erwegung, daß auch das anderte Glas mit Wein zersprungen wäre. Die gute Frau, welche sich über diese Reden heftig entsetzte, sprache ihrem Herrn zu, er wolle doch nichts daraus machen: dies alles habe geschehen können von ohngefähr. Allein weil sie ihm es nicht ausreden konte, versprache sie, dem Befehl nachzukommen, und einen Beicht-Vatter abhohlen zu lassen. Unterdessen, damit ihrem Herrn die gefaßte Einbildung möchte geringert werden, befahle sie das dritte Glas mit Wein auf das Tischlein zu setzen; selbiges aber vorher wohl zu besichtigen, ob es nicht irgends möchte einen Spalt haben? als dieses geschehen, und man das Glas unversehrt befunden, wurde der Edelmann in etwas gestillet. Dessentwegen auch die Frau unterlassen, nach einem Beicht-Vatter zu schicken. Was geschiehet? indem sich der Edelmann zur Ruhe bequemen wollte, siehe abermahl Wunder! da zersprange auch das dritte Glas, mit starckem Knall. Ueber dieses erschrickt der Edelmann auf ein neues, und zweiflet keineswegs, dieses müsse das letzte Zeichen seyn, daß es mit seinem Leben bald aus seyn werde. Ersucht also nicht allein seine Frau, sondern auch die Diener, durch das jüngste Gericht, sie wollten sich doch nicht saumen, ihme einen Beicht-Vatter kommen zu lassen; dann von seinem [308] Leben seye eine kurtze Zeit übrig: diese wolle er nicht versaumen; sondern ihme noch zu Nutz machen, und mithin der Warnung des Heil. Schutz-Engels folgen. Allein, weil die Frau samt denen Dieneren glaubten, der Herr müsse im Verstand etwas verruckt worden seyn, unterliesse sie es eben, nach dem Beicht-Vatter zu schicken. Mithin geht die Zeit fürüber, und rucket die Nacht herbey. Da fienge dann der Edelmann gähling im Angesicht zu erbleichen; die Puls-Ader gienge gantz schwach; und die Kräften nahmen immer zu ab. Da glaubte endlich die Frau samt denen Dieneren, es müsse einmahl Ernst seyn. Demnach wurde eilends ein Diener zu Pferd nach der Stadt geschickt, einen Beicht-Vatter abzuholen. Aber, O wie unerforschlich seynd die Urtheil GOttes! dann siehe! wie wohl die Stadt nicht weit entlegen war, und nur ein kleines Wäldlein entzwischen lage, geschahe es doch, daß der ausgeschickte Diener (so vielleicht von einem Gespenst verführt worden) die gantze Nacht in dem Wäldlein irr geritten, und erst mit anbrechendem Tag den Weeg hinaus gefunden hat: worauf er zwar in die Stadt kommen, und einen Beicht-Vatter abgeholet: allein zu spat; weilen der Edelmann um Mitternacht schon mit Tod abgangen war. Da hatte dann der Beicht-Vatter, als er auf das Schloß kommen, genug zu thun, daß er die hinterlassene Frau samt denen Dieneren tröstete. Ein so grosses Gewissen machten sie ihnen darum, daß wegen ihrer Schuld der Edelmann ohne Beicht dahin gestorben. Wie er aber werde gefahren seyn, das weißt GOtt. Stengelius in Ovis Paschal. Embl. 75.


O wie viel seynd, denen GOtt innerlich zuspricht, und sie anmahnet, in sich selbst zu gehen, zu beichten, und Buß zu thun; schlagen aber solches Zusprechen und Anmahnen in den Wind! was Wunder ist es alsdann, wann GOtt solche Leut in ihren Sünden laßt sterben, und verderben? O wie mancher wird dorten in der anderen Welt mit jenem Kriegs-Helden, da er die Gelegenheit, sich einer Stadt zu bemächtigen, versaumt hatte, sagen müssen: Da ich hab können, hab ich nicht wollen; da ich aber hab wollen, hab ich nicht können. Nemlich: da ich die Gelegenheit hatte, zu beichten, wollte ich nicht; da ich aber wollte, konte ich nicht. Darum mahnet der David Psal. 94. Heut, wann ihr sein Stimm (nemlich GOttes) hören werdet, so verstopfet euere Hertzen nicht. Wann nemlich GOTT durch innerliche Einsprechung an unserem Hertzen klopft, sollen wir ihm aufmachen; sonsten därfte er nicht mehr klopfen, und uns mithin ewig lassen zu Grund gehen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 306-309.
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