Zweyte Begebenheit.

Ein Mutter klagt über den unzeitigen Tod ihres Sohns unmässiglich.

[605] Eine vornehme Gräfin sasse auf einem Schloß, als ihrem Wittib-Sitz, und hatte bey sich ihren Herrn Sohn, einen so wohl von Leibsgestalt, als vortreflichen Gaaben der Natur, und allerhand Tugenden gezierten Jüngling, der nicht unlängst aus den Ländern mit höchstem Vergnügen der gantzen Freundschaft anheim kommen, und nunmehr mit einem gleichem Stands und Geblüts hochadelichen Fräulein zur Ehe-Verlobnuß wolte schreitten; und also seinem Stammen-Baum etliche junge Zweiglein zu setzen. Die gantze Zeit des Braut-Stands hindurch hienge der Himmel voller Geigen, und schiene, als hätte die Fröhlichkeit selbst in dem Schloß dieser Frau Gräfin den Einkehr genommen, der Vermählung und Hochzeit beyzuwohnen. Also lustig und freudig gienge es zu. Aber wie seynd so gar anderst die Urtheil und Rathschlüß GOttes, als der Menschen beschaffen! dann wenig Täg vorher, ehe der Handstreich geschehen, fiele der angehende Hochzeiter in ein hitziges Fieber, und ware in wenig Tägen eine Leich. Nicht auszusprechen ist, wie sehr die Frau Mutter diesen Streich empfunden. Derjenige Toden-Pfeil, welcher ihren lieben Sohn getroffen, hatte auch ihr Hertz verwundet; weil ihr Hertz gantz an das Seinige gewachsen, ja, (besser zu reden) beyde ein Hertz waren. Nachdem der Artzt dem Krancken das Leben abgesprochen, schickte man um die Geistliche, die um der Seelen Heyl sich solten annehmen; weil es doch mit der leiblichen Gesundheit verhauset war. Zwey Patres aus der Gesellschaft JEsu waren bald vorhanden; beyde trösteten nach bestem Vermögen den Krancken; hatten aber mehr Mühe mit der Mutter als mit dem Sohn, als welcher sich auf die Reise in die Ewigkeit bestens schickte, und bald hernach auch glücklich abdruckte. Wie solches die Frau Mutter ersehen, wußte sie ihre Leids kein End. Sie fienge an, erbärmlich zu weinen und zu schreyen; die Stuben auf und ab zu lauffen; Himmel und Erden um Hülf anzuruffen, und das gantze Haus mit Seuftzen und Weheklagen anzufüllen. Ach! daß es GOtt geklagt seye (sagte sie) so ist dann mein liebstes Kind tod? Ach! mein Sigismund, wilst du mich, deine Frau Mutter, also verlassen? und mit diesen Worten warfe sie sich auf den todten Leichnam, kussete, halsete ihn, und schüttete einen gantzen Bach der Zäheren über sein erblaßtes Angesicht aus, und rufte ohne Unterlaß Sigismund! ach! Sigismund. Mein Hertz! lebest du dann nicht mehr? Die Umstehende wolten sie mit glimpflichen Worten bereden, von so unmässigen Trauren abzustehen, [606] und sich in ein anderes Zimmer zu begeben. Sie wolte aber nicht; sondern fienge ihr Klag auf ein neues an; Ist das das schöne Braut-Beth, mein liebster Sohn, das ich dir zubereitet hab? so muß ich dann Blumen und Kräntz, so nunmehr zur Hochzeit fertig, auf deine Toden-Bahr streuen? O Tod, du grausamer Mörder! wie hab ich dieses um dich verdient? warum hast du nicht die Mutter genommen vor dem Sohn? oder aufs wenigst den Sohn samt der Mutter? warum scheidest du uns von einander, die wir allzeit einerley Hertz gewesen? wo ist anjetzo die Fortpflantzung seines Stammens? wo die Ehr auch meines Geschlechts? wo das Liecht meiner Augen? der Stab meines Alters? mein Trost? mein Aufenthalt im Wittib-Stand? ach! wie wird es mir armen Wittib gehen? Indem sie also jammerte, und die Schmertzen je länger je mehr zunahmen, wurde sie auf Einrathen der Patrum mit Gewalt durch die Diener hinweg, und in ein anders Zimmer gebracht; worüber sie halb von Sinnen kommen, und in solcher Verwirrung in freventliche Klagen wider GOttes. Anordnung herfür gebrochen, als welcher ihr den Sohn nicht länger hätte gönnen mögen. Darauf sie in ein Ruh-Bethlein hin gesuncken, und in ein Ohnmacht gefallen. Wie sie bald wieder gelabet, und zu sich selbst kommen, redete sie die Patres gantz bescheidentlich an; bathe auch zugleich um Verzeihung, wann ihr etwann ein ungereimtes Wort entfallen wäre: weil sie einmahl vor Schmertzen nicht gewußt hätte, was sie redete. Und als man sie der obgedachten freventlichen Klagen wider GOttes Anordnung erinnerte, erzeigte sie grosse Reu darüber, und sagte mehr nicht, als diese Wort: So hat dann der unbarmhertzige Tod auch diese so schöne, und junge Blum schon abgebrochen? Diese Wort fassete ein Pater auf, und versetzte hinwieder: Gnädige Frau! jetzt haben Euer Gnaden recht von der Sach geurtheilt. Wegen dieser ihrer Red seye ihnen hiemit versprochen ein Nagelneues Lied, welches erweisen wird, daß dieser blinde Schnitter, der Tod, sich mit Gras und Heu-Blumen nicht vergnügen lasse; sondern auch in der König und Fürsten Gärten hinein platze, und die Sichel auf die Narcissen, Rosen, und Tulipanen wetze: Und dieses müssen wir gedulten; und dem lieben GOtt nicht einreden, der es also befiehlt, und am besten weißt, wann es Zeit ist, und was uns nutz ist. Hierauf hat er die Frau Gräfin wohl getröstet verlassen; er aber seinem Versprechen gemäß das kunstreiche und vielen bekannte Gesang verfasset, dessen erstes Gesätzlein also lautet:


Es ist ein Schnitter, heißt der Tod,

Hat Gwalt vom grossen GOtt.

Heut wetzt er das Messer,

Es geht schon viel besser:

Bald wird er drein schneiden,

Wir müssens nur leiden.

Hüt dich schöns Blümelein.


Albertus Kurz S.J. citatus à P. Rauscher in Dominicali 1. Conc. 15.

[607] Da ist aber zu mercken, daß nicht das Weinen einer Mutter über den Tod ihres Sohns; sondern nur das übermässige Weinen verbotten werde; damit es ihr nicht ergehe, wie jener, von welcher Cantipratanus schreibt, daß sie gar zu unmässiglich ihren verstorbenen Sohn beweint habe; der ihr aber einstens erschienen mit einem Geschirr voller Wasser auf dem Rucken, von dessen Schwere er gleichsam im Gehen verhindert wurde. Wie sie ihn nun in solcher Gestalt gesehen, und erkannnt, fragte sie ihn gantz mitleidig, was dieses bedeuten solle; und ob sie ihm nicht helfen könnte? hierauf gabe der Geist zur Antwort: Meine Mutter! wann du mir helfen wilst, so höre auf zu weinen: dann dieses Geschirr voller Wasser seynd deine Zäher, welche mir nichts nutzen. Bette vielmehr für mich: giebe Allmosen, und lasse Messen lesen. Das wird mir weit ersprießlicher seyn. Und mit diesem ist er verschwunden.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 605-608.
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