Erstes Exempel.

Ein Knab zieht samt einem Franciscaner-Röcklein eine ungemeine Gottseeligkeit an sich.

[1] Um das Jahr Christi 1220 lebte in Niederlanden ein Knab Namens Achas, so nicht gar 7. Jahr alt worden. Seine Elteren waren vermögliche Leut, so den armen Geistlichen viel Guts thaten. Nun truge es sich einstens zu, daß zwey arme Franciscaner bey ihnen den Einkehr genommen. Da gefielen dann dem Knaben ihr Ordens-Kleyd, und demüthige Sitten sowohl, daß er seine Elteren mit weynenden Augen gebetten, sie wolten ihm doch auch ein Franciscaner Röcklein machen lassen. Wie er nun solches erhalten, da ist nicht auszusprechen, was Gottseeligkeit und heiligen Eifer er samt dem Röcklein an sich gezogen. Dann so er ungefehr hörte, daß andere Knaben unter sich zanckten, oder einander gar schlugen, da strafte er sie mit ernstlichen Worten, und sagte zu ihnen: sie sollen gedencken, was für eine grosse Straf in der anderen Welt auf sie warte, wann sie sich nicht besseren wurden. Sahe er aber, daß andere fridsam und eingezogen waren, da lobte er sie: und sagte zu ihnen: sie solten mir getröst seyn; dann sie hätten einen grossen Lohn in dem Himmel zu gewarten. Ja so gar gegen seinen Elteren konte er seinen heiligen Eyfer nicht einhalten. Dannenhero so etwann sein Vatter truncken nach Hauß kame, (und wie es halt geht, wann man zu viel getruncken hat) mithin etwann fluchte, oder unehrbare Wort ausstoßte, da fienge der Knab an zu weinen, und sagte: Ach mein Vatter! erinneret euch doch dessen was der Prediger erst neulich auf der Cantzel gesagt hat, daß nemlich die Trunckene das Reich GOttes nicht besitzen werden. Und da einstens seine Mutter etwas üppiges gekleydet [1] in die Kirchen gehen wolte, deutete er ihr auf ein Crucifix-Bild, und sagte: Ach liebe Mutter! sehet doch, wie unser lieber HErr so arm, und mit Blut überronnen am Creutz hangt; und ihr zieher so üppig daher! das stehet ja nicht wohl? Solche Ermahnungen aber, weil sie mit Beobachtung schuldiger Ehrerbietung, und aus einem heiligen Eifer geschahen, nahmen die Elteren dem Knaben nicht allein nicht übel auf; sonderen vilmehr liebten sie ihn darum, und liessen es ihnen gesagt seyn. Neben seinem heiligen Eyfer, die Beleydigung GOttes bey anderen zu verhinderen, truge er zur heiligen Armuth (zu welcher sich die Franciscaner strenger, als andere Ordens-Geistliche verbinden) eine solche Lieb, und Hochachtung, daß er nicht einmahl Geld anrühren wolte Als er nun in solcher Gottseeligkeit eine Zeit lang zugebracht, gefiele es GOtt, ihne aus diser Welt abzuforderen, und als eine schöne, und noch frische Tugend-Blum in den himmlischen Lust-Garten zu übersetzen, ehe und bevor sie etwann mit der Zeit verwelcken, und durch anderer böse Exempel möchte verderbt werden. So wurde er dann von GOtt mit einer tödlichen Kranckheit heimgesucht. Wie nun der gottseelige Knab das End seines Lebens vor sich sahe, da legte er eine Beicht ab von allem dem, was nur den Schatten einer Sünd haben möchte; worauf er auch das Heil Sacrament des Altars, als die letzte Weeg-Zehrung der Sterbenden verlangte. Weil ihm aber solches, als einem Kind abgeschlagen worden, da habe er seine unschuldige Händ gen Himmel, und sagte: HErr JEsu Christ du weist, wie gern ich dich in dem Heil. Sacrament des Altars bey mir hätte. Weil es mir aber nicht zugelassen wird, und ich meine seits gethan, was ich hab können, so hoffe ich, du werden meinen guten Willen für das Werck annehmen, und ich werde dort in dem Himmel ewig bey dir seyn. Dises geredt, hat er sein unschuldiges Leben geendiget. Cap. tiprat. L. 2. Apum.


Lasse mir das ein seltsames Exempel von einem frommen Knaben seyn. Wo findet man heut zu Tag der gleichen?

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 1-2.
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