Vier und zwantigstes Exempel.

Ein Jüngling, deme man auf der Richtstatt das Haupt wolte abschlagen, wird von dem Heil. Schutz-Engel beym Leben erhalten.

[41] Zu Constantinopel, so eine der vornehmsten Stätten in Europa ist, befande sich ein adelicher Jüngling, mit Namen Falco; der von Kindheit auf mit sonderer Andacht dem Heil. Schutz-Engel zugethan ware; ihm auch zu Ehren sich mit einem Gelübd verbunden hatte, niemahlen zu lügen, solte es ihn auch Leib und Leben kosten. Das ware nun eine schwere Sach in einem solchen Alter, deme eben sobald eine Lug, als einem der Fuß auf dein Eiß entwischt. Gleichwohl ware Falco des gäntzlichen Schluß, seinem heiligen Schutz-Engel zu Ehren, niemahlen zu lügen. Uber ein Zeit hernach begab es sich, daß er mit einem seiner Spies-Gesellen uneinig worden, also daß es gar zum Degen kommen. In welchem Gefecht Falco den andern erstochen hat. Die That geschahe in Geheim, und ware niemand bekannt, als dem allwissenden GOtt. Nachdem der Tod des Entleibten durch die Statt erschollen, forschte man dem Thäter allenthalben streng nach, und warffe endlich auch aus einem geringen Anzeigen den Argwohn auf den Falco. Er wird darüber in Verhaft gezogen, und gerichtlich gefragt. Was solte nun der arme Jüngling thun? wolte er sich schuldig geben? so war das Leben hin. Wolte er laugnen? so handlete er wider das Gelübd. Er gienge lang mit seinen Gedancken zu Rath, und die natürliche Forcht sagte ihm: dem Heil. Schutz-Engel wird ja mit Menschen-Blut nicht gedient seyn; als welcher nicht verlangt, seinem Pfleg-Kind das Leben zu benehmen, sondern zu erhalten. Die Schand ist groß; die Freyheit ist lieb: und weil kein andere genugsame Zeugnuß vorhanden, so ist es nur um ein keckes Laugnen zu thun, so hin ich der Banden loß, [41] und wider auf freyem Fuß. Anderer Seits aber sagte ihm das Gewissen: wilt du dann dem Heil. Schutz-Engel untreu, und an deinem Gelübd eydbrichig werden? nein, sagte er: das thue ich nicht. Leben hin, Leben her: tausendmahl ehender will ich sterben, als lügen. Aus solche Weiß geschihet der Gerechtigkeit ein Genügen; und werd ich zu einem Schlacht-Opfer der Treu und Liebe gegen meinem Heil. Schutz-Engel. So bekennete er dann die That, und wurde zu dem Schwerdt verdammt. Als der Tag angebrochen, an welchem er das Urtheil solte ausstehen, wurde er in Beyseyn einer grossen Menge Volcks zur Richtstatt hinaus geführt. Jedermänniglich truge Mitleyden mit ihm; er aber befahle sich noch einmahl durch ein eyfriges Schuß-Ge bettlein seinem Heil. Schutz-Engel; und sein Hertz sagte ihm, er werde ihn nicht lassen: worauf er seinen Hals darstreckte. Ingleichem zuckte auch der Scharf-Richter schon das Schwerdt, und wolte den Streich führen. Aber sihe Wunder! ein schöner Jüngling stunde gegen über, gleichfals mit einem entblößten Schwerdt, und trohete dem Scharf-Richter den Tod, wofern er nicht wurde inhalten: worüber diser dermassen erschrocken, daß er das Schwerd fallen lassen, und auf ein Seiten gesprungen. Weilen aber die Sach dem Blut-Richter verdächtig vorkame, wurde die Vollziehung des Urtheils einem anderen anbefohlen: welcher aber gemeldter Ursach halber eben so wenig, als der erste, konte zu Streichen kommen. Eben das widerfuhre auch dem dritten. Letztlich erbotte sich einer aus den Befreundten des entleibten zu solchem Henckers-Handwerck, aus Begierd der Rach. Und als er Erlaubnuß erhalten, nahme er das Schwerdt in die Hand, des gäntzlichen Willens, dem unterdessen zwischen Forcht und Hoffnung zitterenden armen Sünder das Haupt auf einen Streich abzuschlagen. Aber auch solches Blut-begieriges Beginnen ware umsonst: dann nicht allein, wie denen drey vorigen, erschine ihm der Heil. Schutz-Engel mit zornigen Angesicht? sondern befahle ihm auch mit bedrohlichen Worten das Schwerd einzustecken, mit vermelden: es seye nicht billich, daß derjenige sterben soll, der ihm zu Ehren lieber das Leben verliehren, als mit einer Lug hätte erhalten wollen. Solches, als nun auch dieser offentlich erzählt, konte und wolte der Richter weiter nicht verfahren lassen; sondern sprach den Falco loß; und liesse ihn seines Gefallens gehen, wo er wolte: welcher dann nach gethaner so grosser Wohlthat auf ein neues in der Lieb und andächtiger Verehrung seines Heil. Schutz-Engels gestärckt worden; bald hernach die Welt verlassen, in einen geistlichen Ordens-Stand eingetretten, darinnen den Namen Engel bekommen; wie ein Engel gelebt, und seelig gestorben. [42] Hautinus in Angelo Custode pag. 471.


O wie verlaßt der Heil. Schutz-Engel seine Pfleg-Kinder so gar nicht, wann sie treu an ihm bleiben, und ihn beständig verehren! es heißt bey ihm: ein Dienst ist des anderen werth. Und laßt er ihm wohl nichts umsonst thun. Verehrt man ihn, so hat man es hundertfältig wiederum zu geniessen; absonderlich, wann es zum sterben kommt, und die Seel etwann in Gefahr stehet. O wie bemühet er sich alsdann, selbige aus den Klauen des bösen Feinds zu erretten! wie viel giengen zu Grund, ohne seinen Schutz und Beystand! O wie viel! das das (wann sonst nichts anders wär) soll uns ein Antrib seyn, ihn beständig zu verehren, und uns täglich in seinen Schutz zu befehlen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 41-43.
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