Sechs und zwantzigstes Exempel.

Ein Knab stirbt seelig; weil er gegen seinem geistlichen Lehrmeister nicht allein ehrerbiethig gewesen, sondern auch seiner Lehr gefolget hat.

[45] In dem Kayserthum China (so in dem Welt-Theil Asia ligt) ware ein Knab, von vornehmen, aber heydnischen Elteren gebohren. Im 6ten Jahr seines Alter überfiele ihn eine tödliche Kranckheit, von welcher man glaubte, daß sie ihn aufreiben wurde. Als nun sein Herr Vatter bemühet war, ihn durch allerhand kostbahre Mittel vom Tod zu erretten, und aber selbige nicht anschlagen wolten; erbote sich ein Pater aus der Gesellschaft JEsu, mit Namen Adam Schall (der sich dazumahl in Sina befande, die Heyden zum Christlichen Glauben zu bekehren) daß wann der Herr Vatter ihm den Knaben überlassen wolte, er ihm, mit GOttes Hülf getraue, von der tödlichen Kranckheit wiederum aufzuhelffen. Allein, da müsse man ihm nichts einreden. Nun der Herr Vatter, aus Liebe gegen dem Knaben, gibt seinen Willen drein. Wie der Pater solchen erhalten, sprache er dem Knaben zu, er solte sich tauffen lassen; so wurde ihm geholffen werden. Der Knab sagt zu, laßt sich vom Pater tauffen, und im Heil. Tauf Johannes nennen. Und sihe! es stunde kaum ein Viertel Stund an, da stunde der Knab frisch und gesund aus dem Beth auf, mit höchster Verwunderung aller anweesenden Heyden. Wie der Knab erkennt, daß ihm durch das Heil. Tauf-Wasser das Leben erhalten worden, bedanckte er sich höchstens gegen dem Pater für so grosse Gutthat, welche er durch sein Zuthun erhalten hätte: mit demüthigster Bitt, er wolte ins künftig nicht weniger für sein Seel Sorg tragen, als er dem Leib geholffen hätte. Der Pater sagte: Mein Kind! du must diese Gutthat dem grossen GOtt zuschreiben. Diser hat dir durch das Heil. Tauf-Wasser geholffen. Saume dich also nicht, in unsere Christliche Kirch zu gehen, GOtt für diese grosse Gnad zu dancken, und die Bekanntnuß des wahren Glaubens abzuleg?. Der Knab folgt; geht zu seinem Herrn Vatter; fallt ihm zu Füssen, und bittet demüthigst, ihm zu erlauben, dem grossen GOtt [45] der Christen schuldigen Danck zu erstatten. Der Herr Vatter ein Heyd, und also dem Christenthum gar nicht günstig, kame ungern an die Einwilligung. Jedannoch, den Knaben nicht zu betrüben, liesse er es eben geschehen. Ja nicht alein das, sondern als der Knab ferners anhielte, daß er bey dem Pater auf eine Zeit lang möchte in die Kost gehen, und von ihm in dem Christenthum unterwisen werden, liesse der Herr Vatter auch dises zu. Dann anderst ware der Knab nicht zu trösten, und zu stillen. Da solte man gesehen haben, mit was Eyfer er den Pater anhörte, und ihm die gute Lehr liesse gesagt seyn. Alle Morgen und Abend fiele er vor einem Mariä-Bild auf seine Knye nieder und befahle sich in den Schutz dieser Jungfräulichen Mutter. Er war der erste, so mit Anbrechen des Tags die Kirchen besuchte, und auch der Letzte, so zu Abends selbige verliesse. Dem Heil. Meß-Opfer wohnte er bey mit ungemeiner Andacht. Nach dessen Vollendung warffe er sich samt dem Priester zur Erden, und danckte GOtt um die empfangene Gutthat des eingesetzten Heil. Meß-Opfers. Nachgehends verehrte er abermahl die grosse Himmels-Königin; wie auch andere Heilige: Einen jeden vor seinem Altar. Sein Andacht war dem Alter nach nicht kindisch, sondern ernsthaft. Da sahe man nichts ausgelassenes, nichts freches, nichts leichtfertiges, und was dergleichen sonst der Jugend pflegt anzuhangen. Sein Fähigkeit, die Glaubens-Sachen zu verstehen, war so groß, daß er selbst viel ungewöhnliche Fragen aufgabe, welche zu beantworten auch denen Gelehrten konten schwer fallen. Die Ehrerbiethung, und das Aufsehen, so er gegen dem Pater als seinem Lehrmeister truge, war bey ihm auch sonderbahr. Täglich, wann er aus der Kirchen kame, warffe er sich zu den Füssen des Paters; neigte das Haupt, und begehrte von ihm den Heil. Seegen. Was ihm von köstlichen Früchten, oder Zucker-Werck ver ehrt wurde, dises alles liesse er seinem Lehrmeister, als ein Confect, auf den Tisch setzen. Nichts wolte er verkosten ohne seine Erlaubnuß. Die allerbitterste Artzneyen nahme er auf seinen Befehl, als wärens die schleckerhafteste Bißlein. Wann der Pater etwann dem studieren oblage, oder sonst beschäftiget war, setzte er sich vor sein Thür hin; damit der Pater von den jenigen, so ihn zur Unzeit wolten heimsuchen, nicht beunruhiget; und verhinderet wurde.

Andere Tugend-Werck waren auch nicht klein, in diesem wie wohl noch kleinem Alter. Er wußte seine 5. Sinn dergestalten im Zaum zu halten, als hätte er vil Jahr in einem Closter gelebt. Die Speisen, nach welchen ihn sonst am meisten gelustete, genosse er am wenigsten. Sein Leib wurde mit der Zeit so voller Geschwär und Eiter-Beulen, daß er weder gehen, noch stehen konte; und dannoch überwande er den Schmertzen, [46] und hielte sich jederzeit ausser dem Beth. Man hörte nicht die geringste Klag über seine so schmertzhafte Kranckheit; man spührte in seinem Angesicht kein eintziges Zeichen einer Ungedult; auch dazumahl nicht, wann man ihm die Beulen mit scharffen Eisen eröfnen mußte. So oft man ihn fragte, wie er sich befinde, antwortete er: gantz wohl. Und dannoch bewegte sein Peyn voller Leib einen jeden zum Mitleyden. Einer aus denen, so ihm abzuwarten bestellt waren, anstatt, daß er die Gemächlichkeit des Krancken in allen hätte beobachten sollen, thate vilmahl das Gegenspihl, und war ihm überlästig. Dannenhero, als sein Lehrmeister dises auf eine Zeit vermerckt, wolte er ihm einen anderen Diener zugeben, welcher ihm mehr behülflich, als überlästig seyn wurde. Allein der Knab bathe ihm solches aus, und sagte: Mein Pater ihr habt mich unterwisen, das Böse mit Gutem zu vergelten. Wie solte ich dann diese Gelegenheit, solche Lehr im Werck zu üben, aus den Händen lassen? Nein, nein: ich bin wohl zu friden. Nach wenig Tagen, als der grobe Diener dem Knaben abermahl überlästig fiele, sagte der Pater: mein Kind! ich kan nicht länger gedulden, daß dir dieser ungeschlachte Diener so vil Verdruß anthun solle. Er muß mir weg, und ein anderer an seiner statt dich bedienen. Da antwortete der Knab: ich bite euch, ehrwürdiger Pater! lasset es uns nicht gereuen, daß wir ihm Gutes gethan haben. Wir haben nur einen grössern Verdienst davon.

Als die zunehmende Schwachheit seinen blöden Leib gäntzlich zu Beth gelegt, und der Tod allbereit den Bogen gespannt hatte, seinen Pfeil auf ihn abzuschiessen, liesse er den Pater nicht von seiner Seiten. Und da ihm die Sprach entfallen wolte, gabe er mit den Augen genugsam zu verstehen, daß er auch dazumahl in allem zu gehorsamen verlangte. Als er befragt wurde, ob er sich des Sterbens halber nicht entsetze? Antwortete er mit halb lautenden Worten: ich entsetze mich nicht ab dem Tod. Ich bin bereit von hinnen zu scheiden, so bald es meinem GOtt belieben wird. Endlich, als er ein gewisses Heiligthum, so ihm der Pater gegeben, jetzt auf die Brust, bald auf den Mund, und Augen gelegt; auch öfters die heylsame Namen JEsus, und Maria zum Beystand angeruffen, ward er als ein zarte Blühe von dem Baum des Lebens sänftiglich abgewähet, am Fest-Tag des Heil. Vorlauffers Christi Johannis, dessen Namen er in dem Heil. Tauf bekommen hatte. Wenig Tag hernach, als sich der Pater spat in der Nacht zur Ruhe begeben, vernahme er folgende Stimm: Pater! Pater! die sonst bekannte Wort, und Weis zu ruffen, führten dem Pater gleich seinen Johannes zu Gemüth. Deswegen fragte er ihn, wie es um ihn in der anderen[47] Welt stehe? Da antwortete der Knab (so mit einem hellen Glantz umgeben war, und die gantze Schlaf-Cammer des Paters erleuchtete) mit jenen Worten aus dem 26. Ps. Mein Vatter, und mein Mutter haben mich verlassen: aber der HErr hat mich aufgenommen. Woraus dann sein glückseeliger Stand in jener Welt unschwer abzunehmen war. Hezart im ersten Theil seiner Kirchen-Geschichten am 423. Blat.

Da siehet man, was grosse Gnab GOtt den Kindern gebe, wann sie gegen dem Geistlichen Lehrmeister ehrerbiethig seynd; seine Lehr aufmercksam anhören, und selbiger folgen. Das hat gethan ein Kind, so vor Heydnischen Eltern gebohren war. Was sollen dann der Christen Kinder thun? Wie schandlich wär es, wann sie sich von der Heyden Kindern überwinden liessen?

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 45-48.
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