Zwölftes Gespräch.

[469] Schutzengel. Du sagst gantz recht, allein muß man in dem Dienst Mariä beständig seyn. Und wann man einmahl in die Bruderschaft des heiligen Rosenkrantzes eingeschrieben ist, in dem vorgeschriebenen Gebett fleissig fortfahren. Dann was ist das für eine Andacht, heut Mariam mit dem heiligen Rosenkrantz verehren; Morgen aber solchen unterlassen?

Pfleg-Kind. Es gedunckt mich auch, daß diejenige, welche so unbeständig seynd, sich der Gunst Mariä wenig zu erfreuen haben. Und vielleicht hat sich hierüber eine Begebenheit zugetragen, die mir noch nicht bekannt ist.

Schutz-Engel. Ja freylich ich will sie dir nicht bergen; und ist folgende:


Begebenheit.

Thomas von Kempten in Niederlanden, ein regulirter Chor-Herr des heiligen Augustini, als er noch gar jung ware, hatte er im Brauch, Mariam täglich mit gewissen Gebetten (und das eine Stund lang) zu verehren. Da er aber zum Studieren kommen, kürtzte er diese Stund ab; damit er mehrer Zeit zum Studieren hätte. Allein diese Unbeständigkeit ist ihm in einem Gesicht von unser lieben Frau empfindlich zu verstehen gegeben woden. Dann es kame ihm vor, als befinde er sich unter seinen Mitschuleren, denen unser liebe Frau in schönster Gestalt erschienen, und einen jeden aus ihnen liebreich umfangen hat.

Thomas hofte nichts anders, als daß diese Gnad auch ihm wurde wiederfahren. Aber es kame gantz anderst heraus. Dann unser liebe Frau sahe ihn ernstlich an, und sagte: Lasse dir nur nicht in Sinn kommen, daß ich dich umfangen werde. Dann, warum hast du die stündliche Andacht, mit welcher du mich vor diesem täglich verehrt hast, abgekürtzt? warum bist du darinn nicht fortgefahren? bin ich etwann nicht mehr so liebwürdig, als vor diesem? als sie dieses ausgeredt, ist sie aus den Augen verschwunden.


Thomas giegne hierauf in sich selbst; bekennete reumüthig seine Unbeständigkeit? Erneuerte seinen vorigen Eyfer, und verharrete darinn bis an das End seines Lebens. Ist darum glaubwürdig, er werde nach seinem gottseeligen Hinscheiden aus dieser Welt von Maria in dem Himmel auf das liebreichiste umfangen worden [469] seyn. Thomas Kempensis de se ipso sermon. ad. Novitios.


Darum unterliesse der Heil Franciscus Salesius, Genfischer Bischof, seine tägliche Andacht, den Heil Rosenkrantz zu betten, niemahlen mit wie vielen Geschäften er auch überladen war. Nun truge es sich auf einen Tag zu, daß er bis Abend alle Händ voll zu thun hatte; und ihme also die nächtliche Ruhe höchst vonnöthen war. Und als deswegen sein geheimer Schreiber zu ihm sagte: er solte sich der nothwendigen Ruhe bedienen, und den gewöhnlichen H. Rosenkrantz bis auf den anderen Tag verschieben, und also diese Versaumnuß wiederum herein bringen, da sagte er: mein guter Freund, diejenige Andachts-Ubungen, welche ihre bestimmte Zeit haben (als da ist, täglich den H. Rosenkrantz unser lieben Frau zu Ehren betten) die soll man nicht unterlassen, noch aufschieben, wann es schon schwer fallt. Und also hat er noch, (wiewohl ziemlich abgemattet) den Heil. Rosenkrantz gebettet, ehe und bevor er sich in die Ruhe begeben; wiewohl er gemeiniglich an einem Rosenkrantz zu betten eine gantze Stund zubrachte wegen andächtiger Betrachtung der Geheimnussen, so dieses Gebett in sich enthaltet. Barry S.J. in anno sancto pro 9. Octob.


Ist dieses nicht ein schönes, und überaus lobwürdiges Exempel von diesem Heil. Bischof?

Pfleg-Kind. Ja fürwahr. Dieses solle mir hinführo ein starcker Antrieb seyn, meine tägliche Andacht gegen unser lieben Frauen niemahlen zu unterlassen, noch auf den anderen Tag zu verschieben; es mögen auch Hindernussen sich in den Weeg legen, was für eine wollen. Die Lieb, und Hochachtung, die ich gegen der Mutter GOttes trage, sollen alle Hindernussen überwinden.

Schutz-Engel. So ist es recht. Das gefallt mir, daß du ein so gutes Gemüth hast. Seye versichert, daß dich die Mutter GOttes in ihren sonderbaren Schutz nehmen wird.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 469-470.
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