Dreyzehende Fabel.

Der arme Esel muß ein schlechtes Verbrechen mit der Haut bezahlen.

[754] Ein arbeitsamer Esel wurde bey einem Fluß auf die Weyd getrieben zur Zeit, als sich bey solchem ein Wolf und Löw eingefunden. Ungefehr machten sie miteinander einen Ueberschlag über ihr gantzes Leben, und wurden von dem bösen Gewissen ihrer Mordthaten erinneret. Gedachten also, selbiges durch eine rechtschaffene Beicht zu reinigen, beichteten mithin einander, und erzähleten ihre Mordthaten nach der Länge; wußten aber selbige so meisterlich zu verkleineren und zu vermäntlen, daß einer den anderen nach geringer auferlegter Buß lossprach. Der einfältige Esel, so die wilde Natur dieser Thieren nicht erkannte, kame herbey, und wurde angestrengt zu beichten. Der arme Tropf besinnet sich eine Zeit lang; endlich sprache er: was soll ich armes Thier doch gesündiget haben, deme der Muthwillen zum Bösen durch Stöß und Schläg genug benommen wird? Hab ich doch vor Arbeit nicht Zeit, auf etwas Böses zu gedencken. Ich wußte nicht, was ich beichten sollte. Nichts, nichts, sagten die andere Thier! du must ein für allemahl beichten, dann heut ist ein grosses Fest und ein Beicht-Tag, der alten Thieren gebotten ist. Wie der Esel gesehen, daß es seyn muß, fienge er mit guter langsamer Red seine Bekanntnus an, und sagte: Ich will nicht hoffen, daß mir für übel werde ausgedeutet werden das wenige, was ich mehr aus Noth als Boßheit gethan hab.


Bisweilen bin ich wider meinen Herrn ungedultig gewesen, wann er mich zu schwehr beladen. Ich bin auch über gar zu langer Arbeit faul worden. Ich hab bisweilen wider das Futter gemurret, welches aber so klein und wenig gewesen, daß ich einsmahls genöthiget worden, meinem Herrn das Stroh aus den Schuhen zu fressen, welches er, um selbige butzen zu lassen, hinein gesteckt hatte. Ja, das bekenne ich: weiter aber weiß ich nichts.


Ha ha, sagten die andere Thier: jetzt kommen wir einmahl aus dem Wunder. Wir haben bis auf diese Stund nicht gewußt, woher doch so mannigfaltige Straffen, welche der erzörnte Himmel über unser Land ergehen lassen, herkommen. Aber jetzt wissen wir den Thäter. So hören wir wohl, du bist jenes gottlose Thier, das seinem Herrn hat dörffen das Stroh aus den Schuhen fressen? gut für uns, daß wir endlich den Himmel versöhnen können. Weist du was? sterben must du, damit wir den gefaßten Zorn des Himmels besänftigen. [755] Dieses geredt, zerrissen sie den armen Esel in Stucken, und frassen ihn auf. Gerardus Pauli S.J. in seinen Sonntäglichen Predigen.


Wer siehet aus diesem Gedicht nicht die Art vieler Menschen, welche ihre eigene gröbste Laster nicht sehen; mithin fremde, wiewohl kleine Verbrechen zum höchsten anziehen? Ey! schalckhafte Gemüther, warthet nur, GOtt wird euch noch finden.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 754-756.
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