Fünftes Exempel.

Ein Edel-Knab ergibt sich dem bösen Feind, und stirbt unbußfertig.

[56] Um das Jahr Christi 1633. befande sich zu Würtzburg in Franckenland, an dem Hochfürstlichen Hof ein Edel-Knab, Ernestus mit Namen, der sich durch seine schöne Gestalt und annehmliche Sitten bey jedermann beliebt gemacht. Aber O des grossen Unglücks! dann weilen er in gedachter Stadt eine Bas hatte, die ihn als ihr Vetterlein öfters in ihr Hauß zu Gast geladen, ja bisweilen auch über Nacht bey sich behalten, ist er durch sie (als welche nichts besonders war) nach und nach also verführt worden, daß er nicht allein alle Zucht und Ehrbarkeit verlohren, sondern so weit kommen, daß er sich letztlich gar (O erschröckliche Sach!) dem bösen Feind unterschrieben, und bey nächtlicher Weil auf dem Hexen-Platz eingefunden. Wie nun seine Lasterthaten endlich an Tag kommen, hat man selbige dem Fürsten des Orts hinterbracht: welcher dann über diese unglückseelige Veränderung hertzlich geseuftzet, und sich des Weinens nicht enthalten können. Weil aber Ernestus noch jung, wollte der Fürst nicht der Schärffe nach mit ihm verfahren, sondern verlangte allein, Ernestus solle aufrichtig bekennen, von wem, und auf was Weis er so jämmerlich wäre verführt worden. Ernestus bekennte alles redlich, wie daß nemlich seine eigene Bas ihn zu so greulichen Lasterthaten angereitzet und verführt hätte. Allein es seye ihm hertzlich leyd darfür, wünsche auch nichts mehrers, als daß er von der Dienstbarkeit des bösen Feinds wiederum möchte los werden. Wie der Fürst das gehört, übergabe erihn gewissen Ordens-Geistlichen, mit Befehl, sie sollten alles anwenden, damit Ernestus wiederum auf den rechten Weeg gebracht wurde. Das liessen ihnen dann die Geistliche auf alle Weis angelegen seyn. Vor allem versahen sie ihn mit geweyhten Sachen, Heiligthümer: und damit der böse Feind ihm desto weniger möchte zukommen, und ihn bey nächtlicher Weil mit sich auf den Hexen-Platz führen, kamen sie niemahl von seiner Seiten. Sie betteten mit ihm, sie speißten mit ihm; sie führten ihm mit sich in und aus der Kirchen. Sie sagten ihm von den höllischen Peynen; von den himmlischen Freuden, von GOttes Barmhertzigkeit, von des [56] bösen Feinds Betrug, damit er sich vor dessen Nachstellungen zu hüten wußte: welches ihm Ernestus auch liesse gesagt seyn, und in allem zu folgen sich anerbotte. Aber wie hart machet sich von dem bösen Feind los derjenige, welcher sich ihm einmahl ergeben hat; dann sihe! bey nächtlicher Weil kame der böse Feind zu dem Ernesto in die Kammer, wo er ruhete; weckte ihn auf, und beredete ihn, die geweyhte Sachen von sich zu legen, welches da es Ernestus gethan, nahme ihn der böse Feind aus dem Beth, und führte ihn mit sich auf den Hexen-Platz: um 4. Uhr aber gegen Morgen, daß es die Geistliche, welche auf ihn genau acht hatten, nicht sollten gemerckt haben; indem sie oft ein Geräusch gehört, und das Beth Ernestileer gefunden. Wann nun die Geistliche Ernestum gefragt, wo er bey nächtlicher Weil hinkommen, pflegte er ihnen die Wahrheit mit weinenden Augen zu bekennen; versprache aber anbey, er wolle sich inskünftig bessern: welches er auch eine Zeitlang gehalten: aber ohne Bestand. Dann so bald der böse Feind wiederum zu ihm kommen, liesse sich Ernestus auf ein neues von ihm verführen; also daß die Geistliche nunmehr alle Hofnung, ihn wiederum auf den rechten Weeg zu bringen, verlohren gaben. Welches als es der Fürst vernommen, entsetzte er sich heftig darüber, und liesse Ernestum denen Blut-Richtern vorstellen, mit Befehl, nach denen Rechten mit ihme zu verfahren. Nun das geschahe, und war das Urthel gefällt, Ernestus sollte mit dem Schwerdt hingerichtet werden. Diesem nach wurde Ernestus aus Fürstlichem Befehl nach Hof geführt, und in einem Zimmer wohl verwahret. Bald darauf, an einem Morgen, mußten die Geistliche in aller Frühe zu dem Ernesto gehen, und ihm das Urthel des Tods ankünden. Ernestus lage eben dazumahl in dem Beth, ohne eintzige Sorg, und Gedancken an den bevorstehenden Tod. Wie nun die Geistliche in das Zimmer hinein getretten, wünschten sie Ernesto einen guten Morgen; und fragten ihn, wie er lebe? gantz wohl, antwortete Ernestus. Weil er sich aber schamte, in Gegenwart der Geistlichen länger im Beth zu liegen, so bate er, sie möchten einen kleinen Abtritt nehmen, bis er aufgestanden, und angekleydet wäre. Als dieses geschehen, kame er für die Geistliche, und nachdem er ihnen ein Reverentz gemacht, sagte er: Wohl-Ehrwürdige Herren! ich sage ihnen noch einmahl, daß ich mich wohl auf befinde: allein was verlangen sie? und was bedeutet es, daß sie sich hier so frühe einfinden? die Geistliche antworten mit traurigen Gebärden, wie daß sie nichts mehres wünschen, als daß Ernestus glückseliger, als bishero, leben möchte. Weilen nun das gegenwärtige Leben kurtz und zergänglich, so solle er sich zum künftigen und ewigen Leben bereiten; dann der Staab seye wircklich [57] über ihn gebrochen, und kein Hofnung übrig, Gnad zu erhalten. Ernestus über diese Ankündigung des Tods thate dergleichen, als förchtete er sich im geringsten nichts darfür; viel mehr lächelte er, und sagte: ey! wir haben einen gütigen GOtt: bekümmert euch nur nicht meinetwegen, ihr Herren! dieses gesagt, legte er seinen Mantel an, und gienge mit den Geistlichen in einen grossen Saal, allwo die Blut-Richter versammlet waren. Wie er nun hinein getretten, und die Blut-Richter an einem Tisch herum sitzend gesehen; anbey eine Traur-Bühne, mit schwartzen Tücheren überzogen, da entsetzte er sich heftig darüber, und das noch vielmehr, da er den Hencker mit entblößtem Schwerdt erblickt hatte. Da erbleichte er; da zitterte er; da lieffe ihm der kalte Schweis über den Rucken. Nachdem er sich aber in etwas wiederum erholet, lieffe er in dem Saal auf und ab; schrie erbärmlich, und brache in diese klägliche Wort aus: ach mich Unglückseligen! ist es dann an dem, daß ich sterben muß? und zwar durch des Henckers Hand? ich? dessen Herkommen von einem so adelichen Haus ist: dessen Jahr noch in der ersten Blühe seynd? Und auf den meine adeliche Eltern all ihr Hofnung gebauet haben? O Unglück! ist dann kein Gnad mehr zu hoffen? geht dann mein Elend niemand zu Hertzen? ach ihr Richter! lasset euch doch erweichen, und verschonet meiner blühenden Jugend! keiner war aus den Anwesenden, der sich des Weinens hätte enthalten können; ja die Richter selbst wurden zum Mitleiden bewegt: stunden also insgesamt auf, giengen zum Fürsten, und bathen ihn unterthänigst, er möchte doch Ernestum begnaden, und ihm das Leben schencken. Nun war der Fürst so mitleidig, daß er das Urtheil des Todes wiederrufte, der gäntzlichen Hofnung, jetzt werde Ernestus einmahl dem bösen Feind absagen, und sich von Hertzen zu GOtt bekehren; weswegen er dann den Geistlichen befohlen, ihm auf ein neues ernstlich zu zuprechen. Aber, O wie groß war der Gewalt, so der böse Geist über Ernestum hatte! dann siehe! es stunde nicht lang an, da liesse sich Ernestus auf ein neues von dem bösen Feind verführen. Wie nun der Fürst von dieser Unbeständigkeit berichtet worden, verkehrte sich sein Mitleiden in einen gerechten Zorn, mit dem Befehl, Ernestum ohne Verzug, und Barmhertzigkeit hinzurichten. Wird also Ernestus wiederum in den vorigen Saal geführt, allwo ihm die Geistliche abermahl ernstlich zugesprochen, er solle sich doch bekehren; dann jetzt seye es am letzten; nach wenig Augenblick werde er in der Ewigkeit seyn: solle also ein gute Anstalt darzu machen, damit selbige für ihn glückselig seye. Aber alles Zusprechen war umsonst; dann anstatt, daß Ernestus sich bekehrt hätte, fienge er wiederum an, in dem Saal auf und ab zu lauffen, erbärmlich zu schreyen, und zu lamentiren. Allein die Richter gaben dem Hencker Befehl, die Gelegenheit [58] in Acht zu nehmen, und diesem Traur-Spiel mit dem Schwerdt ein End zu machen; welches dieser auch gethan, und Ernesto, da er ihm unter den Streich lieffe, den Kopf abgeschlagen, die unbußfertige Seel aber in die unglückselige Ewigkeit geschickt hat. Stengelius Tom.4. Judic. Divin. c. 61. n. 2. & seqq.


O wie bald ist die Jugend verführt! Und wie solle ihm ein Jüngling lassen gesagt seyn die Warnung des weisen Salomons in seinen Sprüchen am 5. Cap. Daß man nemlich dem Liebkosen eines Weibs nicht trauen solle, wann einer nicht wolle betrogen werden! wie der arme Ernestus erfahren; welcher ja anfänglich ihm nicht eingebildet, daß es mit ihme so weit kommen solte: und dannoch hat ihne ein Weib erstlich zur abscheulichen Unzucht verführt; letztlich aber gar dahin gebracht, daß er (wem sollen da die Haar nicht gen Berg stehen?) GOtt verlaugnet, und sich dem bösen Feind mit Leib und Seel ergeben hat.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 56-59.
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