44. Auf Diogenes

[357] Der eine macht die Jacht zum höchsten Guth der Welt,

Ein andrer den Genuss verbotner Frücht' in Frauen;

Der eine seine Küch', ein andrer Guth und Geld;

Der eine Küh' und Schaff, ein andrer Häuser bauen;

Der eine den Betrug, ein andrer Wucherey;

Der eine Liebs-Geschicht', ein andrer Vers' und Reime;

Der eine stete Klag', ein andrer Artzeney,

Der eine Blum' und Kraut, ein andrer Frücht' und Bäume;

Der eine neue Tracht, ein andrer alten Wein;

Der ein Löffeley, ein anderer das Freyen;

Der eine schöne Pferd', ein andrer Edelstein';

Der eine frembde Müntz', ein andrer Schildereyen;

Der eine viel Gewehr, ein andrer viele Röck';

Der eine viel Gewinst, ein andrer das Verzehren;

Der eine seine Kolb', ein andrer Bienenstöck';

Der eine seine Kart', ein andrer das Verkehren;

Der eine das was er aus Eitelkeit verschenckt,

Ein andrer krumme Händ' und ungerechte Gaben;

Diogenes allein, der ärgste Thor, gedenckt,

Das höchste Gut besteh' in keinem Guth zu haben.
[357]

Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 357-358.
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